"Macht das Licht an, die Türkei soll heller werden"

Erdoğan dreht das Rad der Geschichte zurück, aber das geht nur auf Kosten politischer und moralischer Werte

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"Macht das Licht an, die Türkei soll heller werden", lautet ein Werbeslogan der Erdoğan-Partei AKP. Ihr Symbol ist die Glühbirne.

Das genaue Gegenteil von Licht lähmt die heutige Türkei, kontert Erdoğan-Biografin Cigdem Akyol in ihrer gerade erschienenen Vita des Obertürken: Finstere Angst, Duckmäusertum und intellektuelle Lähmung beherrschen das Land am Bosporus. Erdoğan, faktisch Führer, Satzungsgeber und Richter in einer Person, hat sich vom Reformer zum Autokraten gewandelt. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. Die Moderne als Projekt ist ihm fremd, die Trennung von Staat und Religion hebelt er gerade wieder aus.

Logo der AKP

Ein Votum für den Geschassten

Erdoğan, ein typischer Aufsteiger. Versucht jemand, ihm, dem einstigen Underdog aus dem Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa, die Show zu stehlen, so endet das unfreundlich. So erfuhr es der geschasste Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Sein Fehler war, den Flüchtlingsdeal mit der EU aus- und dabei die Visa-Freiheit einzuhandeln. Davutoglus Landsleute klatschten dafür Beifall, und gerade das besiegelte seinen Untergang.

Die Visapflicht wird nämlich von vielen Türken als Demütigung empfunden, will sagen: Davutoglu war dabei, diese Kränkung quasi endlich auszuradieren - und genau damit hat er sich den Unmut seines Vorgesetzten zugezogen.

Zu viel für den machthungrigen und immer im Mittelpunkt stehen wollenden Erdoğan. Obwohl noch im November 49,5 Prozent der wahlberechtigten Türken oder mehr als 23 Millionen Menschen Davutoglu zum Ministerpräsidenten gewählt haben, musste er abtreten.

Özkan Canel Altintop

Ahmet Davutoglu’s Popularität wurde ihm schließlich zum Verhängnis.

"Ich bin der Staat"

Erdoğan sagt, wo es lang geht. Nach dem Abschied von Premier Davutoglu hat der türkische Gewalthaber alle Macht an sich gezogen. Recep Tayyip Erdoğan, 62 Jahre alt, seit dem 28. August 2014 der zwölfte Präsident der türkischen Republik, ganz und gar Effendi, misstrauisch, machtbewusst, moralisch dickfellig. "Ich bin der Staat", zitiert Cigdem Akyol den Mann, "der sich nie geduckt hat."

Die politische Karriere Erdoğans zeigt vor allem eins: Er ist - und darin gleicht er seinem deutschen Pendant Angela Merkel - durch und durch der pragmatische Machtmensch. Der duldet keinerlei Unehrerbietigkeit, schon gar keine Beleidigung, für Erdoğan heißt das auch: Keinerlei Schmähung des so genannten "Türkentums".

Denkt er dabei an Atatürk? Wohl kaum. Der Reformer brachte zwischen 1923 und 1938 die muslimische Türkei auf den Weg hin zu einem weltlichen Land mit westlich orientiertem Establishment. Erdoğan, der "Islamist mit Schlips und Kragen", wie die "Wirtschaftswoche" ihn einmal nannte, dreht das Rad der Geschichte zurück - mittels bornierter Gewalt, engstirniger Zensur und einem herrschaftlichen Lebensstil, der einem Kalifen alle Ehre macht. Sein Palast zählt 1.000 Zimmer und ist sechsmal so groß wie das Weiße Haus.

Gerade das - der barocke Reiz, der sagenhafte Luxus, der überbordende Reichtum der orientalischen Potentaten - gehört mit zu den Eigentümlichkeiten, die Goethe zu seinem "West-östlichen Divan" inspirierten. Der Zyklus erschien 1819, Goethe erklärt darin die helle Luft im Osten kurzerhand zur "Patriarchenluft" (J.W.v.Goethe, Gedichte, hrsg. v. Bernd Witte, Stuttgart 2001, 326).

Dachte er an die biblischen Erzväter? Oder meinte er orientalische Despoten vom Schlage eines Erdoğan mit ihren hochfahrenden Attitüden? Von Erdoğan weiß man, er zitiert gern Gedichte. Vielleicht ist ihm die folgende Sentenz aus des Altmeisters "Divan" ja bekannt, sie lautet:

Nord und West und Süd zersplittern | Throne bersten, Reiche zittern.

J.W.v.Goethe: West-östlicher Divan, Buch des Sängers

Das ist die Art Lyrik, die einen Bezug zur Realität hat.

Kranker Mann, starker Mann am Bosporus?

"Macht das Licht an, die Türkei soll heller werden": Der Werbeslogan der regierenden AKP klingt schön, aber das ist auch alles. Wie Erdoğan derweil gegen Springer-Chef Döpfner in die zweite Instanz geht, nicht klein beigibt - symptomatisch, wie der infantil Gekränkte nicht locker lässt, westliche "Fehlentwicklungen" zu stoppen. Ob das Licht auf die Weise heller wird?

Lange Zeit machte das politische Schlagwort vom "kranken Mann am Bosporus" die Runde. Europa blickte, bei aller Bewunderung für kulturelle Besonderheiten, herablassend in Richtung Osten. Das rächt sich vielleicht gerade. Sicher, Erdoğans Versuch, das Rad der Geschichte zurück zu drehen, geht nur auf Kosten politischer und moralischer Werte. Aber Vorsicht, bevor wir mit dem Finger Richtung Bosporus zeigen: Auch die abendländischen sind gemeint, auch sie stehen gerade auf dem Spiel.