Macht und Erfolg verführen

Verteidigungsminister Rumsfeld brüskiert europäische Staaten, Präsident Bush bestätigt globalen Führungsanspruch der USA und den Ausstieg aus dem ABM-Vertrag: die neue Weltordnung hat wieder klare Grenzen zwischen dem Guten und dem Bösen

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Der Erfolg im Krieg in Afghanistan scheint die US-Regierung noch selbstsicherer und überheblicher gemacht zu haben. Offenbar besteht die Tendenz, noch weitergehend als bislang Verpflichtungen, die die USA gegenüber der Staatengemeinschaft eingegangen ist oder eingehen könnte, möglichst abzubauen. Benötigt werden die anderen Länder vornehmlich als willige Mitglieder in der Allianz gegen den Terror, ansonsten pflegt man eher eine gewisse nationale Rambo-Attitüde.

Auf der Pressekonferenz am 11.12. hat Verteidigungsminister Rumsfeld Klartext geredet und sich über rechtliche Bedenken mancher Staaten, verdächtige Terroristen an die USA wegen der dort praktizierten Todesstrafe und der von Bush geforderten Militärtribunale auszuliefern, lächerlich gemacht.

"Wir wollen", so begann Rumsfeld, "mehr Transparenz schaffen, wie wir mit den Gefangenen in diesem Krieg umgehen. Wir wollen ein System schaffen, das so offen als möglich ist, so dass die amerikanischen Menschen einen gute Einsicht in den Prozess selbst haben können." Egal ob man die Gefangenen in Afghanistan behalte, auf ein Schiff nehme, in ihre Heimat oder in die USA zur Bestrafung schicke, so werde man dies auf die "richtige Weise" machen. Allerdings ließ Rumsfeld, gefragt, wie die US-Regierung denn konkret mit Gefangenen umgehen wolle, erst einmal nicht festlegen und ging auch nicht mehr auf die eben angekündigte Transparenz ein. Er sagte, dass man unterschiedlich verfahren werde. Jetzt würde man sowieso erst einmal nur Verhöre durchführen, um Informationen zu erhalten. Das habe auch nichts mit Strafverfolgung zu tun.

Ein weiterer Journalist führte an, dass es möglicherweise bei europäischen Staaten und vor allem bei Großbritannien Probleme mit der Auslieferung von Bin Ladin oder al-Qaida-Führern an die USA geben werde, woraufhin Rumsfeld lapidar entgegnete:

"Es wird keine geben. Entweder wird ein Land uns mitteilen, dass sie diese uns übergeben werden, ganz unabhängig davon, ob seine Gesetze im Hinblick auf die Todesstrafe sich von unseren unterscheiden, oder sie werden an Orten stationiert, wo es unwahrscheinlich ist, dass sie mit jemandem in Kontakt kommen, den wir gerne in unseren Händen hätten."

Das brüskiert vornehmlich die Briten, die bei der Friedenstruppe eine führende Rolle spielen wollen, und demonstriert, dass die US-Regierung dort, wo amerikanische Interessen berührt sind, keine Rücksicht auf andere Länder und deren Verfassung nehmen wird.

Diese Haltung hat die US-Regierung nicht nur unlängst durch den Abbruch der Verhandlungen über ein Zusatzprotokoll zum Biowaffen-Abkommen noch einmal deutlich gemacht (Nach uns die Sintflut), sondern offensichtlich wird Präsident Bush in den nächsten Tagen auch den Rückzug aus dem ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen aus dem Jahr 1972 verkünden. Damit sollen alle Hindernisse für die weitere Realisierung des umstrittenen Raketenschutzschilds beiseite geschafft werden, für das Bush nach den Anschlägen vom 11.9. noch vehementer als zuvor eintritt. Das ABM-Abkommen stamme aus einer anderen Zeit, so Bush gestern, und richte sich gegen einen anderen Feind:

"Amerika und unsere Verbündeten dürfen nicht an die Vergangenheit gebunden sein. Wir müssen die Verteidigung aufbauen können, die wir gegen die Feinde des 21. Jahrhunderts benötigen."

Russland und die USA haben zwar nach den Anschlägen vereinbart, die Zahl der nuklearen Sprengköpfe um zwei Drittel abzubauen, aber in der Frage des ABM-Abkommens gibt es zwischen den beiden Ländern ebenso wenig eine Einigung wie mit manchen NATO-Staaten. Die US-Regierung will auch bei der Abrüstung freie Hand behalten und hat sich nicht auf einen Vertrag mit Russland eingelassen. Als Rechtfertigung für den Raketenabwehrschild werden Schurkenstaaten von Bush zitiert, aber auch Terroristen, die mit Langstreckenwaffen die USA angreifen könnten.

Bush erneuerte auch wieder seine Drohungen gegen die Schurkenstaaten, die Terroristen beherbergen oder Massenvernichtungsmittel besitzen. Man werde diese beobachten und, sofern notwendig, zur Rechenschaft ziehen, was auf neue Feldzüge und die Fortsetzung der Kriegsführung hinweist, die der Bush-Regierung bislang Zuhause und weltweit freie Hand gewährt hat (But we are under attack). Ansonsten zeigte sich der Präsident zufrieden über die neue Weltordnung nach dem 11.9., die so klare Grenzen besitzt, wie sie einst im Kalten Krieg bestanden haben:

"Die überwiegende Mehrheit der Länder steht nun auf derselben Seite einer moralischen und ideologischen Kluft. Wir arbeiten mit jeder Nation zusammen, die sich für eine Veränderung im Rahmen der Gesetze anstatt für chaotische Gewalt entscheidet: mit jeder Nation, die Frieden und Sicherheit und unschuldiges Leben schätzt. Auf der anderen Seite dieser Kluft befinden sich Mörderbanden, die von gesetzlosen Regimes unterstützt werden. Sie bilden eine durch ihren Hass definierte Bewegung. Sie hassen Fortschritt und Freiheit und Wahl und Kultur und Musik und Lachen und Frauen und Christen und Juden und alle Muslims, die ihre verqueren Lehren zurückweisen. Sie lieben nur eines: sie lieben die Macht Und wenn sie die Macht haben, dann setzen sie diese rücksichtslos ein."

Ganz klar betonte Bush auch wieder den globalen Führungsanspruch der USA, die in allem zweifellos auf der richtigen, der gerechten Seite, der Seite der Freiheit steht und das Böse bekämpft, das nur nach Macht strebt . In dieser manichäischen, kreuzzughaften Aufteilung der Welt scheint es nur eines zu geben: die Ausrottung eines Gegners. Nach Gründen für seine Entstehung muss hingegen in Kriegszeiten nicht gefragt werden. Das alles erinnert aktuell auch an den Herrn der Ringe, der Film kam offensichtlich zur rechten Zeit, um den Kampf zwischen dem Guten und dem dunklen Bösen zu schildern. Fragt sich nur, wie lange das Drama zwischen Bush-Gandalf und Usama bin Ladin, dem Herrn der Ringe mit seinen Orks und anderen Wesen aus der Unterwelt, noch so lange so einprägsam bleibt. Mit dem Ende von bin Ladin, der als großer Widersacher aufgebaut wurde, käme vermutlich angesichts eines wesentlich anonymeren losen Netzwerks an Terrorgruppen der Angriffsschwung ins Stocken. Aus einer solchen dramatischen Sicht wäre denn auch ein Angriff auf den Irak und Saddam Hussein wesentlich wahrscheinlicher als einer etwa gegen das gesichtslose und zentrumslose Somalia.

"Wenn Amerika schwankt, wird die Welt ihren Mut verlieren. Wenn Amerika führt, wird die Welt ihre Tapferkeit zeigen. Amerika wird niemals wanken. Amerika wird die Welt zum Frieden führen."

Das aber kann wohl nicht alleine durch Krieg und Auslöschung der Terrornetzwerke und Schurkenstaaten, sondern müsste auch getragen sein von Verpflichtungen der Weltgemeinschaft, denen sich auch die USA unterwerfen müsste. Doch je weniger die US-Regierung willens ist, derartige Abkommen oder Institutionen wie den Internationalen Gerichtshof mitzugestalten und mitzutragen, desto eher gerät die Weltmacht selbst in die Nähe eines Schurkenstaates, wie Noam Chomsky sagt, für den keine Gesetze gelten.