But we are under attack

Über die Aufrechterhaltung von Kriegsstimmungen

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"Ich liebe den Geruch von Napalm am frühen Morgen," meinte hundsgemein Colonel Bill Kilgore (Apocalypse Now), während seine Helikopter-Kavallerie im Walkürenritt vietnamesische Bauerndörfer niederbrennt. So beseelen Soldaten mit dem Geruch von Napalm, Dope und anderen Aufputschmitteln ihren Kampfgeist, denn der wankelmütige Aggressionstrieb, wenn er denn existiert, reicht zum wenigsten hin, die Lust am Töten dauerhaft zu garantieren.

Aber wie uniformiert man die Heimatfront? Wie bleibt eine ganze Nation in Kriegsstimmung (Überwältigende Mehrheit der Amerikaner für Militäraktion gegen den Irak)? Wie verbrüdert sie sich in kriegerischem Kommunitarismus gegen den zum apokalyptischen Reiter hochgezüchteten Feind? Die amerikanische "Sondereinsatzgruppe Kunst und Unterhaltung", die Hollywood mit der Regierung im patriotischen Kampf um die uneingeschränkte Solidarität der Nation eint, wird es alleine kaum richten (Krieg ist die Fortsetzung der Blockbuster mit besseren Mitteln). Der beste Promoter für den Krieg ist der Sieg. Und zurzeit siegen die Alliierten. Der vor dem Abschluss stehende Kampf mit den Taliban ist nicht allzu weit vom Tontaubenschießen entfernt, wenn man ungefährdet Bomben über den Köpfen des Feinds ausklinken kann und en passant Dörfer vernichtet, die man offiziell nicht einmal kennt. Die Mission, den flüchtigen Höhlenbewohner Usama bin Ladin in Tora Bora zu fangen, atmet zwar schon eine etwas rauere Luft, aber noch schwebt das Abenteuer, die wilde Zeit fernab der langweiligen Zivilisation, die Lust am Rambo-Kampf über den exotischen Szenarien.

"What happened at Pearl Harbor was the start of a long and terrible war for America. Yet, out of that surprise attack grew a steadfast resolve that made America freedom's defender. And that mission -- our great calling -- continues to this hour, as the brave men and women of our military fight the forces of terror in Afghanistan and around the world." - Präsident Bush am 7.12

Krieg ist ein Ausnahmezustand, den Gesellschaften zu Beginn seines Regiments oft freudig begrüßen. Das Unbehagen an der Kultur, die frei fließenden Aggressionen, die Lust am Töten, die Ekstase marodierender Männerbündnisse – der Krieg ist ein Depot für wildeste Stimmungen, die quasireligiös, hochmoralisch und politisch korrekt so dick wattiert werden, dass der Terror des Kriegs dahinter unsichtbar werden soll.

Zu Hause werden derweil geistige Festungen zementiert, über denen in Amerika allüberall die religiös verehrte Nationalflagge weht. Die Front darf auch hier nicht bröckeln. Wer ausschert, riskiert den gesellschaftlichen Ausschluss, wie es politisch unkorrekte Journalisten in den USA schon gleich zu Anfang der neuen großen Zeit zu spüren bekamen. Chefkritiker Alfred Kerr machte es dagegen richtig, als er den Ersten Weltkrieg kriegspolitisch, also moralisch korrekt begrüßte: "Wir wollen in den Tagen / der steilsten Lebensfahrt / nicht säumen - und nicht fragen, / wie alles ward." Heute fragt man besser auch nicht nach, zumindest erhält man keine Antworten, die mehr als das Gefühl befriedigen könnten, wieder einer großen Zeit anzugehören, die nun der vormals müden Zivilisation den Marsch bläst.

Und genau darum geht es: Bush hat für nächsten Dienstag, den Quartalsgedenktag für den 11. September, angekündigt, dass die Nationalhymne gespielt wird und andere Nichtschurkenstaaten aufgefordert, ebenfalls entweder ihre Hymnen oder vergleichbaren patriotischen Wohlklang übers Volk zu bringen. Nach dem Soziologen Robert Bellah hat der amerikanische Nationalismus den Status einer Zivilreligion. Diese Zivilreligion wird in der politischen Rhetorik, die auch Bush zu keiner Zeit seiner ewigen Beschwörungen der Staatsräson vergisst, zu Demokratie und Freiheit umgemünzt. Der Krieg rechtfertigt paradox, was in Friedenszeiten nur als Abwendung von der Demokratie bezeichnet werden könnte und was auch Bush hinter seinen Beschwörungen der Demokratie mit einem großen "Aber wir sind im Krieg" kennzeichnet.

Der Präsident legt Wert darauf, dass sich das von ihm initiierte globale Konzert der guten Vibrationen zeitgleich ereignet, um den Terroristen ein deutliches Signal zu geben. Deren Interesse besteht nach präsidialem Wissen nämlich darin, dass die amerikanische Nation schweige und die Ereignisse des 11. September vergesse. Zwar dürfte das Gegenteil richtig sein, aber das ist weniger wichtig als der Umstand, dass zum Memorial Day (Kriegsopfergedenktag), Flag Day und Veterans' Day jetzt also noch der WTC-Quartalsgedenktag kommt. Krieg macht Festtagslaune, zumal wenn Weihnachten vor der Tür steht. Den Ereignissen in Afghanistan nach zu urteilen, dürften die Terroristen zurzeit andere Sorgen haben, als über das zeremoniell korrekte memento mori Amerikas nachzudenken, wie es Bush behauptet.

Aber Bushs Botschaft ist auch ohnedies so widersprüchlich, wie man es sich eben in einer Zeit leisten kann, in der nicht die Logik des Unternehmens hinterfragt werden darf, sondern die Gesellschaft in den moralischen Schützengraben verräumt wird. Bush und Tom Ridge, Direktor des "Office of Homeland Security" reden von Normalität, die sie allerdings im nächsten Atemzug vehement bestreiten. Ridge hat die Formel "live your lives" ausgegeben. So als ob es ein friedliches Leben im Kriege gäbe. Ein Terroristenalarm sei kein Signal, mit dem Alltagsleben aufzuhören, aber es hieße wachsam zu sein.

Solche Warnungen belegen, dass die Normalität, in der die Bürger den Krieg vergessen sollen, weder existiert noch von den Kriegsherren gewährt wird. Auch Rumsfeld trommelt, dass die Nation nun einige unvermeidliche Konsequenzen ertragen müsse. Das Leben von Menschen sei in Gefahr und das Leben werde schwieriger. Dabei ist nicht ersichtlich, dass die Normalität, die Präsident Bush und die Seinen seit den Terrorattacken predigen, dieser Kriegspolitik überhaupt angelegen sein kann. Wenn sich zu viel Normalität einstellt, leidet die Kriegsbegeisterung der Gesellschaft. Die Gefahr für den Präsidenten und andere Kriegspolitiker bestünde darin, nach der Vernarbung der Wunden wieder eine Politik jenseits der einprägsamen Vereinfachungen, der eindimensionalen Freund-Feind-Bilder zu entwickeln.

Die in allen Botschaften liegende Formel "Wir sind eine wundervolle Nation" ist erheblich einfacher zu proklamieren, als die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Widersprüche Amerikas politisch differenziert anzugehen. Der 11. September reicht nicht aus zu erklären, warum Bush ein Kriegspräsident geworden ist. Das setzt Politiker voraus, die große Vereinfacher sind, weil ihnen die Politik für eine heterogene Gesellschaft vermutlich mehr Angst macht als die Terroristen. Der Krieg bietet bekanntlich einfache Identifikationen, die der Frieden nicht kennt - ganz nach Carl Schmitt "der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt". Doch inzwischen geben uns auch die Freunde genügend Fragen auf, die in den ewigen Litaneien von Freiheit und Gerechtigkeit längst keine plausible Gestalt mehr finden.

Amerika hat seit Anbeginn des 19. Jahrhunderts den Krieg nur als Exportartikel kennen gelernt und der Tele-Krieg im Exil ist kein Garant für den dauerhaften Freiheitskampf im eigenen Lande, das sentimentalische Zusammenrücken der Nation jenseits ihrer gesellschaftlichen Differenzen. Der Antiterrorkrieg, den Bush demnächst in neue Runden schicken will, lebt von der diffusen Angst, die gegenwärtig noch ausreicht, eine Wagenburg im Heartland der Freiheit zu bilden, so wie es die Pioniere bei Angriffen der Roten gelernt hatten. Das Sicherheitsgefühl Amerikas muss provoziert bleiben, auch wenn Usama bin Ladin und al-Qaida liquidiert werden.

Zur Demontage des Sicherheitsgefühls haben aber nicht nur die Terroristen, sondern auch die überzogenen Kriegsbeschwörungen, die aggressive Sicherheitspolitik, die hybride Notwendigkeit, die Zivilisation zu retten, beigetragen. Sicherheitsrhetorik schafft die Unsicherheit, die sie doch angeblich bekämpfen will. Diese Stimmung ist der beste Garant, jenseits klassischer Legitimität, im Schnellverfahren Politik ohne größere Umwege über das Parlament zu machen. Krieg als Primat des Politischen heißt die Exekutive vor die anderen Gewalten zu stellen. Und die globale Ansteckungsgefahr dieser Kriegspolitik erweist sich, wenn die Regierung in Jerusalem nun auch die palästinensische Autonomiebehörde als "Institution, die den Terrorismus unterstützt" einstuft.

Parareligiöse, nationalistische Gefühle sind im Verbund mit Angst die hervorragendeste Quelle, die Lust am Krieg sprudeln zu lassen. Als Wilhelm II. im August 1914 mitteilen ließ, dass die Armee mobilisiert werde, sang die treue Herde vor dem Schloss zum Domglockengeläut: "Nun danket alle Gott!" Nun hätte man eher dem Kaiser als Gott für diesen wundervollen Krieg danken sollen, aber diese Differenz gilt in Kriegszeiten ohnehin nicht allzu viel. Hitler, der erfahrene Weltkriegsveteran, wusste um solche Stimmungen und berechnete die von ihm geführten Massen psychologisch präzise, als er seiner Terrororganisation voranstellte: "Wir sind nicht nur eine Bewegung, sondern eine Religion." Klar, dass man in solche Kriege zieht wie in einen Gottesdienst (Goebbels). Der Glauben versetzt Berge, vor allem aber hält er am Krieg auch noch dann fest, wenn Grauen und Kriegskosten schon längst die vordergründige Logik der Staatsräson überwuchert haben.

Aber auch in Gesellschaften, die keine totalen Kriege führen, werden Siege teuer bezahlt. Über kurz oder lang wird die amerikanische Zivilgesellschaft zur Kasse gebeten, muss immer neue ökonomische Opfer und rechtsstaatliche Tribute leisten, um die fortwährenden Anstrengungen in der endgültigen Vernichtung des Weltbösen zu zahlen. Andere Staatsaufgaben werden dabei vernachlässigt. Spätestens dann könnte die Heimatfront zerbrechlich werden. Noch jubelt die Menge, wie jetzt in Florida, als Präsident Bush erklärte, dass er Militärtribunale und andere "legal weapons" benötige, um Amerikas Freiheit zu verteidigen. Der Begriff der "legal weapons" verrät indes schon, dass auch das Recht nur noch eine Waffe ist, eine Verlängerung der Exekutive im Geist der hypertrophen Sicherheit.

Ohnehin gibt es in dieser Politik, die sich nicht von der Kriegführung unterscheidet, nur noch Waffen. Bush behauptet, dass Amerika immer noch angegriffen sei. Vor dem Hintergrund der vor dem Abschluss stehenden Vernichtung von al-Qaida in Afghanistan müssen jetzt die Schläfer und die übrigen terroristischen Restposten in anderen Ländern herhalten, Amerikas Angst aufrecht zu erhalten. Die "uneingeschränkt" solidarischen Mitglieder der Antiterror-Allianz verlieren indes nach der Auftaktveranstaltung schon die Lust, weil deren Öffentlichkeiten sich nicht ganz so bereitwillig hinter ihre Führer scharen, wie es die von den Nachwehen des 11. September noch berührte Nation tut. Bushs immer währender Feldzug kann im Homeland der Freiheit noch auf dieses Amalgam aus Angst, Hysterie, Schützengrabenmoral und zivilreligiösem Nationalismus vertrauen.

Auch die moralischen Zurüstungen, der Krieg ohne Ziviltote, die saubere Enthauptung des Feinds währen nicht ewig. Die Widersprüche zwischen den Versprechungen von Politik und Militär, einen humanen Krieg zu führen, der nur zu oft in Blut und Gedärm endet, nagen langfristig am Glauben der Daheimgebliebenen. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sieht in der nun angebrochenen "sehr gefährlichen Phase" des Kriegs eine "schmutzige und unangenehme" Aufgabe vor seinen Soldaten – als wäre das Töten bisher deshalb sauber gewesen, weil amerikanische Soldaten zunächst Distanzschläge verteilten.

Bush beklagt die drei durch "friendly fire" gestorbenen US-Soldaten. Sie starben für eine ehrenvolle und gerechte Sache. Die afghanische Zivilbevölkerung wird dagegen nicht in das präsidiale Gebet eingeschlossen. Als Kollateralopfer zu sterben, ist eben auch nicht allzu ehrenvoll und zeremoniell zudem völlig untauglich. Ganz anders dagegen der weihnachtliche Friedensfestzug, der parallel zum immerwährenden Feldzug für die Freiheit jetzt damit eingeleitet wurde, dass der Präsident nach Afghanistan den "National Christmas Tree" angezündet hat. Bush erinnerte daran, dass vor 60 Jahren, drei Wochen nach dem Angriff auf Pearl Harbor, Winston Churchill und Präsident Franklin Roosevelt dasselbe taten. Welche Kriegsapologetik könnte besser sein?

Bush, der während des Angriffes auf Tora Bora auch zur sentimentalischen Freude der Anwesenden Santa Claus (als Kampfgenossen?) begrüßte, erinnerte zugleich an die dritte Strophe von "Oh Holy Night": "His law is love, and His gospel is peace..."

Der störrische Refrain dazu lautet auch ohne Kongressbeschluss: "But we're under attack."