Nach uns die Sintflut
Die USA haben die Verhandlungen über die Biowaffenkonvention scheitern lassen
Am Freitag Abend um 19.12 Uhr war das Spiel vorbei. Die Vertreter von 144 Unterzeichnerstaaten des Biowaffen-Abkommens von 1972 trennten sich im Genfer Palast der Nationen ohne ein Ergebnis. Einen erfolgreichen Abschluss hatte kurz zuvor der US-Verhandlungsführer John Bolton verhindert. Der Washingtoner Diplomat machte damit innerhalb weniger Minuten über ein halbes Jahrzehnt Vorbereitungen und drei Wochen zäher Verhandlungen zunichte (Biowaffenkonferenz in Genf gescheitert).
Dahinter wird von Beobachtern und teilnehmenden Diplomaten eine zunehmend isolationistische Strategie der USA vermutet. Tatsächlich war Bolton schon zu Beginn der Verhandlungen vor drei Wochen unangenehm aufgefallen, als er in der Eröffnungsrede seiner Delegation eine Reihe von Staaten offensiver Biowaffenprogramme bezichtigte. Beweise dafür konnte er nicht vorlegen (Eine Frage der Ehrlichkeit, Bush gegen Hussein, II. Akt?).
Die Provokation verfehlte die beabsichtigte Wirkung. Der Ausfall sorgte zwar kurzfristig für Unmut, die angegriffenen Staaten beteiligten sich aber weiter an den Verhandlungen. Ende der Woche zeichnete sich dann eine Kompromisslösung ab, als Bolton kurz vor Ende der Gespräche ein weiteres Mal intervenierte. Diesmal forderte er für die Teilnehmer völlig überraschend die Abschaffung der Ad-Hoc-Gruppe, dem zentralen Verhandlungsgremium. Er tat das im vollen Wissen, dass sich niemand der Beteiligten diesem Ansinnen anschließen konnte.
Die Reaktionen waren ungewohnt hart. "Lügner" seien die USA, eine skandinavische Delegierte erklärte, man sei "wie Dreck behandelt worden". Tatsächlich ist es als wohl kalkulierter Fauxpas zu werten, dass selbst die engsten Verbündeten Washingtons von dem Vorstoß in letzter Minute nicht informiert wurden. Zu den diplomatischen Gepflogenheiten gehören solche Konsultationen sonst sogar im Kriegsfall. Es geht weniger um die unmittelbare Materie, denn schon vor Beginn der Verhandlungen haben sich die USA kaum um das in der 1972er Konvention verankerte Verbot von Forschung an biologischen Kampfstoffen gekümmert.
Hätte ihnen etwas an der Wahrung des Abkommens gelegen, so wäre die UN-Abrüstungskonferenz spätestens vor Beginn der Vorgespräche zu den Verhandlungen im Sommer dieses Jahres von US-Forschungen im Grenzbereich des Konventionstextes informiert worden. Am Ende waren es aber Journalisten der New York Times, die über die von Washington finanzierten Militärprojekte berichtete. Damit wurde schon im Vorfeld der Verhandlungen ein deutliches Signal gegen die Biowaffenkonvention gegeben (Pentagon bestätigt nach Pressebericht Forschung an biologischen Kampfstoffen).
Die Wirkung des Verhaltens der US-Delegation am vergangenen Freitag aber strahlt weiter. Eine "neue Qualität in der Auseinandersetzung zwischen den USA und der internationalen Gemeinschaft" sieht auch Oliver Meier, Leiter des Programms zur Überprüfung von Rüstungskontrolle beim Londoner "Verification Research, Training and Information Centre". Hinter dem Verhalten der US-Delegation vermutet der Experte für Sicherheitspolitik einen stärkeren Einfluss von Hardlinern in der Bush-Administration.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Scheitern der Verhandlungen von US-Seite von vornherein geplant war. Das auch vor dem Hintergrund dessen, dass biologische Waffen von der US-Armee schon seit geraumer gegen Drogenanpflanzungen vor allem in Lateinamerika eingesetzt werden (Kolumbien gleich Afghanistan?, Drogenbekämpfung oder biologischer Krieg?). Abrüstungsexperten hatten sich immer wieder für eine Ächtung dieser Methoden mit Verweis auf die Biowaffenkonvention ausgesprochen. Klar ist, dass jegliche Erweiterung des Abkommens die militärischen Praktiken der USA in den Einflussgebieten erschwert hätte.
In Anbetracht der Sorglosigkeit, mit der ein internationales Rüstungsabkommen von den USA vom Tisch gefegt wird, ist schlimmeres zu befürchten. Wenn sich die US-Regierung aus dem Biowaffen-Kontrollabkommen zurückgezogen hat; was bindet sie an die Übereinkünfte zur Kontrolle chemischer oder atomarer Waffen?
Nötig wird um so mehr eine europäische Friedenspolitik. Dazu hat das Staatenbündnis zwölf Monate Zeit, dann nämlich kommen die Vertreter erneut zusammen, um über die Zukunft des Abrüstungsabkommens zu beraten. Solange bleibt die bisherige Konvention mit all ihren Schlupflöchern gültig. Wenigstens ein kleiner Erfolg. Binnen dieser Zeit wird es vor allem an zivilgesellschaftlichen Gruppen liegen, ihr Interesse an einem stabilen Abrüstungsregimes zu formulieren. Sicher: Im Vergleich mit den USA - besonders nach dem 11. September - mutet das politische Konstrukt Europäische Union wie ein Hort des Friedens an. Doch das ist relativ. Auch die EU ist in ihrer Tendenz auf Expansion orientiert. Rüstungskontrolle wäre auch dabei hinderlich.