Machtpolitik unter dem Deckmantel von Freiheit und Demokratie
Mit Geld, Versprechungen und Erpressungen kann die Bush-Regierung bestenfalls einen kurzfristigen Erfolg in der Irak-Frage feiern, ansonsten hinterlässt ihre Politik schon jetzt einen explosiven Scherbenhaufen
Um die schon lange vorbereitete Invasion des Irak sicher zu stellen, ist die Stunde der sogenannten Realpolitik gekommen. Mit allen Mitteln suchen die britische und die amerikanische Regierung die nötigen Stimmen im Sicherheitsrat zu erhalten oder eher zu kaufen, während die andere Seite bestrebt ist, ebenfalls heil aus dem Konflikt mit welcher Entscheidung auch immer herauszukommen. Es ist dieses Geschacher hinter den Kulissen, aber unter dem Deckmantel einer friedlichen Lösung oder eines Krieges für den Frieden und die Demokratisierung, bei dem die Glaubwürdigkeit internationaler Organisationen von der UN bis zur Nato droht, verspielt zu werden.
Auffällig ist schon, dass immer wieder bei Politikern oder Kommentatoren gesagt wird, der Krieg sei unvermeidlich. Das ist er freilich nur, weil die US-Regierung nie wirklich eine Alternative zugelassen hat und unter dem Vorwand der Entwaffnung auf einen Regime-Sturz ausgerichtet war, mit dem sie in der gesamten Region ihren Einfluss festigen will. Seltsamerweise spricht kaum jemand mehr davon, dass die UN-Resolutionen keinerlei Hinweis auf eine Regime-Änderung enthalten, auch wenn man sich allgemein wünschen möchte, dass die internationale Gemeinschaft stärker Freiheit und Demokratie durchsetzen könnte oder sollte - nicht nur im Irak.
Die Menschen misstrauen einer maskierten Interessenpolitik
Der Plan, das Hussein-Regime von der Macht zu vertreiben, wurde von konservativen Kreisen in den USA, die mit Bush an die Macht gekommen sind, schon lange gehegt, kam kurz nach dem 11.9. schnell auf die Tagesordnung und soll nun nach dem Afghanistan-Krieg umgesetzt werden. Von einem Großteil der Bevölkerung in vielen Ländern wird ein Krieg nicht unterstützt, weil die Menschen offenbar von den Gründen nicht wirklich überzeugt sind, die wirklichen Interessen aber nicht offen gelegt und diskutiert werden. Man braucht sich auch nur die neuen Koalitionen für oder gegen einen Irak-Krieg anzusehen, um erkennen, dass es hier nicht in erster Linie um Freiheit und Demokratie geht. Wenn nur eine Regierung dieselbe Position vertritt, so scheint für alle Beteiligten ziemlich egal geworden zu sein, ob der Partner im Kampf um das jeweils Gute die Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaats sowie die Menschenrechte achtet.
Das Misstrauen der Bürger vieler Staaten richtet sich gegen den Auftritt einer von sich selbst kritiklos überzeugten und messianisch agierenden Supermacht, die sich über alle anderen Staaten stellt, internationale Abkommen nicht achtet, die Vereinten Nationen instrumentalisiert und gleichwohl angeblich nur hehren Zielen folgt. Dass in allen Ländern viele, manchmal auch die Mehrzahl der Menschen einem Krieg zustimmen würde(n), wenn er von der Weltgemeinschaft gewünscht und legitimiert wird, ist bei aller berechtigten Kritik an der UN und vor allem dem Sicherheitsrat ein gutes Zeichen, dass auch global eine Demokratisierung der Verhältnisse erwünscht wird (Die erste globale oder planetare Demonstration).
Die US-Regierung hat immer deutlich gemacht, dass sie die Invasion auch ohne Billigung durch den Sicherheitsrat ausführen und damit den Bedeutungsverlust der UN in Kauf nehmen will. Der Irak-Konflikt, das sollte man nicht bei aller Fixierung der Aufmerksamkeit darauf vergessen, ist nur ein Fall für den amerikanischen Internationalismus der Bush-Regierung, auf den sich nun leider die Diskussion verengt hat. Auch was die Nato oder die EU betrifft, setzen die USA auf Vereinbarungen mit einzelnen Ländern. Das ist einerseits verständlich, weil sich damit kurzfristig die nationalen Interessen besser durchsetzen lassen, andererseits würde durch den von der US-Regierung forcierten Zerfall der Organisationen die Welt sicherlich langfristig instabiler und unsicherer.
Geld hilft bei der Gewinnung von Vasallen, aber nicht unbedingt bei der Demokratisierung der Verhältnisse
Zwar ganz üblich und mit der Realpolitik durchaus konform wird aber für die Durchsetzung der jeweils erwünschten Position der Länder im Sicherheitsrat, aber auch zur Gewinnung von weiteren Verbündeten derzeit wenig für demokratische Transparenz gesorgt. Demokratien haben nun einmal die von der US-Regierung offenbar nur bedingt gewünschte Eigenschaft, dass sich ihre Haltung nicht von oben verordnen lassen. Man verbündet sich also mit Regierungen, die in der Irak-Frage wie in Italien oder Spanien die überwältigende Mehrheit ihrer Bürger gegen sich haben, während Regierungen wie der deutschen oder der französischen, die ja durchaus der Entwaffnung zustimmen und die eine Mehrheit der Bürger in dieser Angelegenheit repräsentieren, ziemlich unverhohlen gedroht wird, obgleich abweichende Meinungen auch international zur demokratischen Kultur zählen sollten. Schon vor geraumer Zeit munkelten manche US-Politiker, dass etwa die Staaten der Willigen natürlich wirtschaftliche Vorteile am erwarteten Öl- und Geldfluss aus dem Irak mit seiner US-Regierung und der irakischen Nachfolge-Regierung haben werden.
A liberated Iraq can show the power of freedom to transform that vital region, by bringing hope and progress into the lives of millions. America's interests in security, and America's belief in liberty, both lead in the same direction: to a free and peaceful Iraq.
US-Präsident Bush
Die derzeit im Namen von Freiheit, Demokratie und Frieden gepflogene Scheckbuchdiplomatie der US-Regierung wird bestenfalls eine kurzfristige Ad-hoc-Allianz schmieden können, die vielleicht die US-Interessen auch im Sicherheitsrat mit mehr Ja-Stimmen, keinem Veto und manchen Enthaltungen durchzusetzen vermag, aber schnell zerbrechen dürfte, wenn der Krieg länger dauert oder größere Schwierigkeiten auftauchen. Dann könnte die von Bush versprochene Demokratisierung der Verhältnisse auch zu einigen Veränderungen in seiner brüchigen Allianz führen. Und auch im Irak ist mit der vorgesehenen Militärregierung, dem schwelenden Konflikt zwischen Türken und Kurden über den Zugang zu den Erdölquellen im Nordirak und über die Autonomie der Kurden sowie der offenen Frage, wie sich die Schiiten im Süden verhalten werden, der Import der Demokratie von Anfang mit dem gleichzeitigen Versuch, die "Integrität" des Irak zu erhalten, in Frage gestellt. Sollte die türkische Armee auch in den Nordirak einrücken, um die Kurden zu kontrollieren und die Turkmenen zu unterstützen, sind Konflikte mit den Kurden, vielleicht auch in der Türkei selbst vorprogrammiert.
Neben der trotz vieler Versprechungen immer noch schwankenden Türkei, die ein Hilfspaket von mindestens 15 Milliarden Dollar erhalten würde, wenn sie einem Angriff von der Türkei aus zustimmt, muss die US-Regierung aber noch weitere Zustimmungen von zögerlichen Ländern durch Drohungen und Geld erkaufen. Noch befürworten von den 15 im Sicherheitsrat vertretenen Länder nur die Regierungen der USA sowie die von Großbritannien, Bulgarien und Spanien einen Krieg. Bei einem Volksentscheid würde dies freilich noch ganz anders aussehen, dann nämlich wären die USA ziemlich alleine: kein gutes Image für den Einsatz für Demokratie.
Die Befreiung des Irak vom Tyrannen muss keineswegs nur ansteckend im Sinne der Demokratisierung und erhöhter Sicherheit sein
Die Überredungs- und Erpressungsdiplomatie kann insgesamt, addiert man dies mit den Geldern an Israel und die Abkommen mit arabischen Staaten wie Ägypten zu den Kriegskosten hinzu, den Amerikanern langfristig, selbst bei einem gewonnenem Krieg, ziemlich teuer kommen (zu den Feinheiten der US-Diplomatie beispielsweise Geld und Krieg). Auf die Übernahme eines großen Teils der Kriegskosten wie im letzten Krieg darf die US-Regierung nicht hoffen, die bei einem Krieg und weiter steigenden Ölpreisen auch wirtschaftlich stärker unter Druck geraten würde.
Wenn es denn der Bush-Regierung mit den eingesetzten Druckmitteln gelingen sollte, die noch zögerlichen Regierungen von Angola, Mexiko, Guinea, Kamerun, Chile und Pakistan, die alle mit einem Sitz im Sicherheitsrat vertreten sind, zu einer Zustimmung zur neuen Resolution zu überreden, China und Russland durch Zusagen von einem Veto abzuhalten und keine Alternative wie etwa den kanadische Vorschlag zuzulassen, dann wäre dies ein bitterer Sieg für die Politik und würde nur bestätigen, dass Geld sowie wirtschaftliche und militärische Macht der einzige Einsatz auf der Bühne sind, auf der nur die hoffnungslos Naiven an die Aufführung des Schauspiels vom Kampf der Guten gegen die Bösen, der Demokraten gegen die Diktatoren, der Friedlichen gegen die Angreifer, der Wahrheitsliebenden gegen die Lügner - oder was auch immer im Drehbuch stehen mag - glauben können.
Herablassend sagte Präsident Bush denn auch jetzt, dass man eine zweite Resolution sowieso nur wegen der Verbündeten suche. Die UN ist also nur taktisch von Bedeutung. Bush habe lange über die Angelegenheit und ihre Folgen nachgedacht. Was auch immer dabei herauskommen mag, am wichtigsten sei es, dass Saddam entwaffnet wird. Das ist dann schon eine Art Versprechen. Wenn nur dieser Bösewicht weggeschossen ist, wird alles von selbst irgendwie gut.
Glaubwürdigkeitskrisen mussten die Vereinten Nationen freilich schon einige überstehen, die USA verhalten sich auch keineswegs das erste Mal auf eine solche Weise, wenn im Namen der Freiheit bestimmte Interessen durchgesetzt werden solen, die nicht einmal tatsächlich nationale sein müssen, sondern nur die der Regierung und der hinter ihr stehenden Interessengruppen sein können. Aber es ist doch erstaunlich und wahrscheinlich wirklich nur aufgrund eines auf manche durchaus reale Interessen gestützten Messianismus verständlich, dass die Bush-Regierung mit einem aus Sicherheitsgründen keineswegs notwendigen Krieg nicht nur Eruptionen im Nahen Osten in Kauf nimmt, sondern auch eine Verstärkung des radikalen Islamismus und des von ihm ausgehenden Terrorismus. Wo vornehmlich Macht und Geld zählen, können schließlich auch Terroristen den Einsatz ihrer Mittel leichter legitimieren, um ihre Ziele zu verfolgen. Die Umgestaltung des Nahen Ostens könnte durchaus darin enden, dass in einigen Staaten muslimische Extremisten an die Macht kommen und dass sie beispielsweise in der Türkei oder in Pakistan, aber auch in Afghanistan weiter an Einfluss gewinnen.
Ansteckend muss der von außen durchgeführte Sturz des Hussein-Regimes keineswegs nur in der von den USA gewünschten Richtung sein. Aber auch bei den Verbündeten ist keineswegs sicher, ob die Hauruck-Politik zu einer Stärkung der Regierungen führt. Denn auch hier könnte, je nachdem, wie der Verlauf des Krieges sein wird und welche Auswirkungen er zur Folge hat, die Opposition wachsen, was zu Regierungswechseln etwa in Spanien oder in Italien führen könnte. Und nicht zuletzt könnte ein solcher "Regimewechsel" auch die Bush-Regierung ereilen. Das derzeit von der amerikanischen und britischen Regierung veranstaltete, aber allzu einfach durchschaubare Spiel mit Wahrheit und Lüge - was auch zeigen könnte, dass für US-Regierung die demokratische Öffentlichkeit nur eine manipulierbare Größe ist -, könnte insgesamt die Kritik an der Demokratie als Schwatzbude und damit Extremisten jeder Art fördern.
Der Irak-Konflikt ist ein Katalysator für Entwicklungen, die schon lange gären, aber nun nach und nach die Welt nach dem Kalten Krieg bestimmen. Sie wird sicherlich weniger einfach und wahrscheinlich auch kaum sicherer sein, da die großen Blöcke einer Vielzahl von teilweise nur flüchtigen Verbindungen gewichen sind. Das Problem ist derzeit wohl vor allem, dass die Bush-Regierung, die fast ausschließlich aus Kalten Kriegern besteht, mit allen Mitteln an dem alten bipolaren Weltbild festhalten will und dadurch die Konflikte nicht mindert, sondern zuspitzt. In einer derart aufgebrochenen Welt bestünde allerdings auch mehr denn je die Chance, den Weg zu einer gemeinsamen Weltinnenpolitik mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu beschreiten. Würden sich die USA mit ihrem "amerikanischen Traum" dahinter stellen, wäre viel gewonnen. Aber dafür spricht derzeit leider nichts. Trotzdem wohnen wir im Augenblick einer beschleunigten Phase in der Neugestaltung der Welt bei.