Mad Girl in a Mad World
Was Sicherheitsexperten in ihrer Freizeit angucken: "Doomsday"
Wer sich seit gestern mit dem neuen Weißbuch zur französischen Verteidigungs-und Sicherheitspolitik beschäftigt (siehe Frankreich reloaded), kann es auch dort nachlesen: Pandemien sind für die Experten eine der möglichen Hauptgefahren in der globalisierten Welt. Aber auch in diesem Fall ist das Kino wieder einmal der Politik - nicht nur Sarkozy - weit voraus: "Doomsday" heißt das neueste Beispiel der "Pandemie-Filme", jenes Genres, das eine Seuche ins Zentrum zu stellen scheint. Doch tatsächlich geht es in diesem Film - wie im Weißbuch Sarkozys - nicht um die Gefahren, sondern um die Reaktion, nicht um die Pandemie, sondern um die Angst.
Gleich zu Beginn die erste gute Nachricht: "Doomsday" ist kein Sequel. Die zweite: Der Film basiert nicht auf einem Videospiel. Die dritte: Rhona Mitra spielt die Hauptrolle.
Wenn eine Seuche "reaper" genannt wird, "Sensenmann" also, dann wird sie wohl nicht ganz ohne sein. "There was no stopping it, no chemo, no vaccine," klärt uns das Voiceover auf. Diese Seuche steht gewissermaßen im Zentrum des Films, denn um sie dreht sich alles in diesem postapokalyptischen Science-Fiction aus Großbritannien, der an die besten Zeiten und Vertreter des britischen Kinos anknüpft. Die Voraussetzungen sind so simpel wie künstlich in Neil Marshalls drittem Spielfilm "Doomsday", dessen Titel den Tag der Apokalypse bezeichnet: Irgendwann in sehr naher Zukunft trifft eine Pandemie den schottischen Norden der britischen Insel.
"Containment is our absolute priority" sagt eine Regierungsangestellte, und ganz Schottland wird zur Gated Community, ein moderner Hadrianswall, eine fast 100 Meter hohe durchgehende Stahlmauer und bewaffnete Wachen riegeln die Infizierten ab und schützen den Rest des Landes und der Welt. Keiner kommt hinein, keiner darf heraus. Wer es dennoch versucht, wird erschossen. Die Menschen innerhalb der Mauern bleiben ihrem Schicksal überlassen, ohne Kontakt, ohne Hilfe. Die meisten von ihnen sterben, doch es gibt auch gegen den Virus Resistente, die überleben.
Dieser Hintergrund ist natürlich voll ironischen Hintersinns: die die jahrhundertealte Gegnerschaft beider Länder überspitzend aufgreifende Teilung zwischen England und Schottland, genauso wie die zahlreichen aktuellen Verweise auf Antiterrorkrieg und westlichen Sicherheitswahn. Auch eine Generation später - der Film spielt 2035 - ist die Gefahr durch die Viren noch nicht gebannt. Containment, Eindämmung also ist weiterhin absolute Priority, doch plötzlich bricht die Seuche in London wieder aus.
Dr. Kane war ihr Schicksal
Die Polizistin Major Eden Sinclair (welch' schöner und beziehungsreicher Name!) wird auf ein vermeintliches Himmelfahrtskommando geschickt. Ihre Mission nearly impossible: Sie soll dem Geheimnis der Immunität der Überlebenden auf die Spur kommen, indem sie den mysteriösen Dr. Kane (Malcolm McDowell) in Glasgow aufsucht. Der könnte ein Mittel gegen den Virus haben.
Sinclair wird verkörpert von Rhona Mitra. Ihre Sinclair ähnelt der von Sigourney Weaver verkörperten Ripley, die in Ridley Scotts „Alien“ als einzige überlebt: Eine "harte" Frau, die zwar viele soziale und mitfühlende Seiten hat, das Zeug zur Teamplayerin besitzt, aber doch im Grunde genommen Einzelgängerin bleibt. Ein Rückblick enthüllt, dass sie ihr Auge als Kind verlor, als sich während einer Massenpanik infolge des Virus eine Kugel verirrte. Sie überlebte, ihre Mutter starb, und Sinclairs Charakter ist durch diese frühe Erinnerung traumatisiert.
Sinclairs beeindruckender Look, muskulös und durchtrainiert, das verlorene durch ein "bionisches" Auge ersetzt, das sie gegebenenfalls - etwa um mit seiner Hilfe um eine Ecke zu spähen - auch einmal entfernen und per Arm ausstrecken kann, erinnert an Linda Hamilton, an Milla Jovovich oder Kate Beckinsale in spielerischen Girlfight-Endzeitepen der jüngeren Zeit, an Angelina Jolie als Lara Croft, und so ist es weder Treppenwitz noch Zufall, dass einst Rhona Mitra als Lara-Croft-Verkörperung vorgesehen war. Dass Marshall ein glänzender Frauenregisseur ist, der Frauenstärke und Frauenhärte auf die Leinwand bringt, ohne seine weiblichen Figuren - auch die Heldinnen nicht - zu schlichten gefälligen Identifikationsobjekten zu machen, konnte man schon in seinem wunderbaren Höhlen-Slasher-Film "The Descent" sehen. Sinclair hat nun das Zeug zu einer Serienhelden.
Auch sonst sind die Rollen schön besetzt mit Bob Hoskins als Sinclairs Chef Bill Nelson und lustig ausgemalt: Der Assistent des Premierministers trägt den schönen deutschen, nicht minder beziehungsreichen Namen Canaris und ist mindestens ein zwielichtiger Charakter.
Weltuntergang voller Humanität und Tiefgang
Postapokalyptische Zivilisation steht gegen postmoderne Barbarei. Diese Barbaren sind Kannibalen, es ist eine böse dunkle Welt out there, mit der die Heldin konfrontiert wird, und man kann auch kaum argumentieren, Glasgow sei besser - auch die Wilden sind in diesem Film nicht edel. "Doomsday" bietet eine ähnliche Kombination aus Gemetzel und siegreichem Überstehen der Heldin, wie man das aus "Alien" kennt.
Aber dies ist einer jener Filme, in denen sich die Spannung um das "Wie?" dreht, nicht um das "Was?" Und der Stil ist beeindruckend: Ganz im Gegensatz zum heute modischen amerikanischen Folter- und Ekelhorror a la "Saw" und "Hostel" ist "Doomsday" kein Film, der sich am Sadismus weidet, sondern ein Werk voller Humanität und Tiefgang. "Doomsday" ist ein gradliniger Thriller, endlich mal wieder. Kühl und klar, ohne Schnörkel, ohne jene ganzen Ornamente, die das Mainstream-Kino heutzutage so schwerblütig machen, weil man keine Zielgruppe ausschließen, jedem Geschmack noch irgendeine "Identifikationsfigur" bieten möchte. Diese Selbstbeschränkung ist seine Stärke.
Nägelkauer und Zivilisationspessimisten
Zahlreich sind die Verweise auf filmische Vorbilder: "Miller" und "Carpenter" heißen zwei Nebenfiguren, und entsprechend muss man an John Carpenters "Escape from New York" ebenso denken, wie an die "Mad Max"-Filme (1979–1985). Auch die Filmmusik ähnelt über weite Strecken Carpenters Synthesizer-Soundtrack. Auch "Barb Wire", der unvergessene Pamela Anderson-Film, "Resident Evil" sowie "28 Days Later" und "28 Weeks Later" standen Pate. Aber auch eine Parodie auf die "Herr der Ringe"-Trilogie gönnt sich der Regisseur und zeigt die Mittelalterfreaks im kitschgrünen Auenland als schlechtgelaunte, rachsüchtige Nägelkauer und Zivilisationspessimisten, die auf schlecht beheizten feuchten Burgen über den Weltuntergang räsonnieren, und von einem verrückten Wissenschaftler und Colonel-Kurtz-Großneffen regiert werden - "Excalibur"'s Rache an Tolkien.
Wer "bloße" Unterhaltung ohne Intelligenz und Gesellschaftskritik unter der Oberfläche des geschmacklosen Trash erwartet, der sitzt im falschen Film.