"Man kann nur gewinnen, wenn man bereit ist zu verlieren"

Seite 2: Wir machten "video hits": Wir rammten Schiffe"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sie meinen, dass es komplizierter geworden ist?

Peter Brown: Ja. (lacht) Wir haben die einfacher vermittelbaren Tiere bereits gerettet. Seehunde, Wale, Delphine sind dankbare Kampagneninhalte. Jeder liebt Delphine und Wale. Schildkröten lassen sich auch einfacher "retten". Es ist so viel schwieriger, gegen illegalen Fischfang vorzugehen. Oder gegen den unerlaubten Fang von Meeresgurken, wie es Sea Shepherd auf den Galapagosinseln versuchten. Wenn man sich für Meeresgurken einsetzt, wirkt das auf andere Menschen nicht unbedingt verlockend. Für mich ist das aber ein wichtiges Thema.

Dann müssen Geschichten erzählt werden, um das Interesse der Menschen zu entfachen und für die uninteressanteren Tiere zu begeistern.

Peter Brown: Wir kamen ja, wie bereits erwähnt, aus der Medienbranche. Wir machten etwas, das wir "video hits" nannten: Wir rammten Schiffe. Es war nicht schwierig, solche Aufnahmen an TV-Sender zu verkaufen. Erstens bekam ich großartige Bilder und zum Zweiten wollten die Journalisten alle Paul Watson zu diesem Vorfall interviewen.

Das war eine Win-Win-Situation für uns. So geht Sea Shepherd vor; andere Gruppen halten sich an die Gesetze. Sea Shepherd konnte man zur Anfangszeit mit Akupunkturnadeln vergleichen: Wir haben uns in die Aktionen gestürzt, die Aufmerksamkeit auf ein Thema gelenkt und dabei gehofft, dass die größeren Gruppen uns nachfolgen würden und das Problem lösen.

Auf der anderen Seite gibt es Gesetze, die genau diesen illegalen Fischfang und die Waljagd verbieten, nur fehlt die Exekutive, das zu überwachen.

Peter Brown: Das stimmt: Es gibt unzählige Gesetze, um unsere Ozeane zu schützen. Wenn die Marine und die Küstenwachen ihre Arbeit für die Menschheit erledigten, die Ozeane schützen und diese Gesetze auch durchsetzen würden, dann würden wir die Tierschützer überhaupt nicht brauchen. Stattdessen spielen sie kleine bescheuerte Kriegsspiele mit Nordkorea, jagen hier und dort den Raketen nach, präsentieren ihre Macht auf der Hohen See, bohren nach Öl in der Arktis. Die Regierungen setzen auf jeden Fall meiner Meinung nach nicht das um, was die Menschheit dringend in Angriff nehmen müsste.

Diese Umweltschutzaktivisten operieren dann in einer legalen Grauzone, wobei man diesen Zwischenbereich nicht wirklich illegal bezeichnen kann, denn - wie ich es verstehe - halten z.B. Sea Shepherd die Schiffe einer Walfangflotte davon ab, Gesetze zu brechen.

Peter Brown: Aus diesem Grund spreche ich mit Ihnen nicht aus dem Gefängnis. Wir störten illegale Aktivitäten, um verhaftet zu werden. Danach mussten die Seeleute ihr illegales Handeln zugeben, dass sie in einem Schutzgebiet Wale gejagt haben. Sie müssen vor Gericht aussagen, dass sie gegen bestehende Gesetze verstoßen haben. Die meisten Leute würden dies eher vertuschen wollen. Sie verfolgten uns nicht weiter, sondern ließen die Klage fallen.

Den Japanern geht es in der Antarktis mehr um Territorialgewinne als um Walfang

Sie haben also bei Sea Shepherd diese Grauzone für Ihre eigenen Zwecke des Tierschutzes genutzt?

Peter Brown: Die ursprüngliche Idee hinter unseren Aktionen war ja - ich weiß nicht, ob diese heute noch von Relevanz wäre -, dass wir ihnen mehr Geld kosten würden, als sie durch ihre Illegalität einnehmen konnten. Wir fuhren also in die Antarktis, und es war klar, dass sie sich dort illegal aufhielten, da sie über keinerlei Genehmigungen des IWC (der Internationalen Walfang Kommission) verfügten, um wissenschaftliche Forschung dort zu betreiben.

Die japanische Walfangflotte hat bislang keine einzige wissenschaftliche Schrift veröffentlicht; stattdessen handelte es sich um eine rein kommerzielle Unternehmung. Ich bin zudem davon überzeugt, dass die Aktivitäten der Japaner in der Antarktis mehr mit Territorialgewinnen als mit Walfang zu tun haben. Das letzte Mal, als ich als Offizier an Bord eines Sea-Shepherd-Schiffs in der Antarktis war, schienen die Japaner überhaupt an keinem Wal Interesse gehabt zu haben. Ich vermute, dass sie vielmehr in der Antarktis präsent sein wollen.

2045 wird es eine Entscheidung über die Aufteilung der Antarktis geben: jede Nation, die dort eine dauerhafte Forschungsstation vorzuweisen hat, wird zu einem Treffen eingeladen und darüber beraten, wer zukünftig dort Ansprüche geltend machen kann. Japan besitzt jedoch keine Station dort. [Eine Internetrecherche hat ergeben, dass Japan sogar im Inneren der Antarktis die Dome-Fuji-Station unterhält. Es lassen sich auch noch weitere Stationen auf der Antarktis ausmachen.Anm. d. Autors] Aber wenn die Zeit kommt, werden die japanischen Abgeordneten in der UN-Vollversammlung ihre Hand heben und sagen: Wartet mal, wir haben 60 Jahre in der Antarktis geforscht. Uns steht ein Sitz am Verhandlungstisch zu. Wir wollen auch ein Stück von der Antarktis.

Im 2. Weltkrieg ging es vor allem um Gebietsansprüche und natürliche Rohstoffe. Japan ging leer aus. Sie brauchen jedoch natürliche Ressourcen. Der 2. Weltkrieg drehte sich um Öl, aber die Antarktis weist eine Vielzahl von Mineralien und anderen Rohstoffen auf. Meine These ist, dass die Japaner den Walfang nur nutzen, um diese Interessen voranzubringen.

Der Walfang wurde übrigens von einem amerikanischen General namens McCarthy nach dem 2. Weltkrieg in Japan eingeführt, um die Menschen zu ernähren. Aber heute können sie die Walfische gar nicht mehr weiterverkaufen. Als ich das letzte Mal in der Antarktis war, fingen die Japaner ca. 220 Wale, aber konnten lediglich 50 davon bei Versteigerungen losbekommen. Eigentlich isst in Japan keiner mehr Walfleisch, sie scheinen sich darum nicht zu scheren. Inzwischen haben die Japaner am Südpol mehr Schiffe, um sich vor Sea Shepherd zu schützen, als um tatsächlich Wale zu fangen.

Ich habe darüber gelesen, dass sie auch Kriegsschiffe zum Schutz ihrer Walfangflotte mitschicken.

Peter Brown: Das ist eher ein Witz. Japanische Kriegsschiffe sind Schiffe, die Polizeibeamte mit Pistolen an Bord haben. Dabei handelt es sich nicht um tatsächliche Kriegsschiffe. Es sind häufig Walfangboote, frühere schwimmende Schlachthäuser, die an den Außenwänden die japanische Flagge aufgemalt haben und an Bord sind Polizeibeamte.

Und mit diesen Pistolen schossen sie doch auf die Sea Shepherd-Crew?

Peter Brown: Ja. Paul Watson wurde von einer Kugel in eine kugelsichere Weste getroffen. Ich war dabei, kann das bezeugen. Während es passierte, steuerte ich das Schiff. Er lief auf der Laufbrücke, die sich neben der Brücke befindet. Er fand zunächst kein Loch in seiner Uniform. Als er auf die Brücke zurückkam, sagte er: "Ich glaube, ich wurde angeschossen." Er zog seine Hände weg und da sah man ein Loch. Hätte er keine kugelsichere Weste getragen, wäre er möglicherweise tot gewesen.

Ich habe nicht den leisesten Schimmer, warum die Japaner so etwas getan haben könnten, doch vermute ich, dass sie einen Scharfschützen an Bord hatten. Ich meine, die beiden Schiffe waren nur drei bis vier Meter voneinander entfernt. Ich gehe davon aus, dass jemand auf dem Schiff mit der Pistole auf Watson zielte, was die Polizisten in der Regel machen, und dass sich der Schuss aus Versehen lockerte. Mir fällt kein vernünftiger Grund ein, warum die Japaner so etwas tun sollten. Hätten sie Watson getötet, wäre damit auch ihr Walfang gestorben.

Es hätte ihr gesamtes Unternehmen aufs Spiel gesetzt.

Peter Brown: Genau. Aber sie hatten ihn glücklicherweise nicht getötet, und auch wenn ich der 1. Offizier an Bord war, legte ich Beschwerde bei der australischen Polizei ein, warum sie diesen Anschlag nicht geahndet haben. Watson strengte aber keine Klage an. Wenn du das nicht machst, dann verfolgen sie das auch nicht weiter.

Das wird auch diplomatische Gründe haben.

Peter Brown: Er hat keine Klage angestrengt. Einige Leute meinten, er hätte nur simuliert. Hätte er tatsächlich simuliert, dann wäre ich auch an dieser Simulation beteiligt gewesen. Es war aber nicht simuliert.