"Man kann nur gewinnen, wenn man bereit ist zu verlieren"
Seite 5: Revolutionen werden von Individuen getragen, die schwieriger zu kontrollieren sind
- "Man kann nur gewinnen, wenn man bereit ist zu verlieren"
- Wir machten "video hits": Wir rammten Schiffe"
- Jemand muss gegen die bösen Jungs aufstehen
- Als das Geld kam, gab es eine große Wende
- Revolutionen werden von Individuen getragen, die schwieriger zu kontrollieren sind
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Welche Ergebnisse können Sie im Rückblick benennen?
Peter Brown: Sie fragen mich als Peter Brown, der nicht mit Sea Shepherd zu tun hat? Je höher die Spenden waren, desto ineffizienter wurde die Organisation. Die letzte Szene in meinem neuen Film drückt meine Meinung deutlich aus: Es hat alles nichts mit Geld, sondern mit dem Mut eines Einzelnen, dem Mut eines Jugendlichen zu tun, das Problem zu lösen.
In den letzten Jahren bin ich zu Graswurzelbewegungen zurückgekehrt, d.h. wenig Organisation, aber stattdessen Menschen mit der Courage, etwas zu tun. Es hängt schlicht von dir ab, dass du etwas verändern möchtest. Überzeuge einen Freund davon, etwas zu tun und er wird wiederum einen anderen Freund hiervon überzeugen. Man muss sich zeigen und Stellung beziehen. Mit dem Geld erreichst du nur, dass dich deine Gegner verklagen. (lacht) Wenn man als Freiwilliger ohne Geld an den Aktionen teilnimmt, wer soll ein Interesse daran haben, eine Klage zu erheben?
Ich lachte meist, wenn jemand mich verklagen wollte. Ich meinte zu ihnen: Nehmt doch einfach unser Schiff, aber das wollten sie nicht. Ein Schiff ist wie ein nicht zu stopfendes Loch auf dem Wasser, es kostet Geld. Heute möchte Sea Shepherd seine Schiffe nicht mehr verlieren. Die Beiboote, die sie heute haben, kosten allein mehr als was wir damals für Sea Shepherd I gezahlt haben. Sie haben vier dieser Beiboote. Jedes kostet mehr als unser Schiff damals. Der Helikopter kostet noch mehr als alle Schiffe.
Diese Entwicklung beim aktiven Tierschutz (auf hoher See) erinnert ein wenig an den Assimilationsprozess von Subkulturen. Wenn sie noch Underground sind, ist viel Idealismus und Kreativität vorhanden, die dann im Lauf der Jahre verschwinden.
Peter Brown: Da stimme ich voll zu. Ist nicht häufig die erste Rock'n'Roll-Scheibe (einer Band) die beste? Häufig ist das so. Wenn wir den Krieg gegen die bösen Jungs gewinnen wollen, dann müssen wir wissen, dass wir die Unternehmen finanziell nicht ausstechen können. Wir können auf keinen Fall mehr Geld als sie bezahlen. Aber wir besitzen mehr Leidenschaft … und wir müssen uns auf diese Leidenschaft verlassen, wenn wir die Schlacht gewinnen wollen. Leidenschaft, Kreativität und Individuen, die bereit sind, dafür alles zu geben. Schauen Sie in die Geschichte: Revolutionen werden von Individuen getragen, die schwieriger zu kontrollieren sind. Nun versucht die Umweltschutzbewegung zu kontrollieren. Ich finde, das machen sie ganz schlecht.
Hinzu kommt wohl auch eine Verlockung der Macht?
Peter Brown: Dadurch verurteilt man sich als Bewegung zum Tod. Mein großer Bruch mit Sea Shepherd zeichnete sich ab, als sie den japanischen Walfängern 2,5 Millionen Dollar als Kompensationszahlung für ihre Verluste anboten. Ich sagte: Verschließt die Türen, geht in diese Richtung nicht weiter, macht alles andere, als diesen Menschen einen einzigen Dollar zu bezahlen.
Ich selbst habe 30 Jahre lang meine Lebenszeit und auch mein Geld dafür investiert zu tun, was anlag. Ich akzeptiere es nicht, ihnen Geld zu zahlen. Was könnte man von diesen zweieinhalb Millionen Dollar alles an Graswurzelbewegungen finanzieren? Paul Watson argumentierte, dass sie nicht ihre Organisation und die Schiffe verlieren wollten, sie verklagen uns, also bezahlen wir besser. Ich wäre bereit gewesen, die Organisation zu verlieren. Damals wurde ich nicht bezahlt, meine Krankenversicherung wurde nicht übernommen. Watson sagte zu mir: Du verstehst das einfach nicht. Und ich antwortete ihm: Doch, durchaus. Ich hab alles verstanden: Du bist sie geworden!
Was hat er darauf geantwortet?
Peter Brown: Bin ich nicht. Verpiss dich! … Nun, wir sind immer noch befreundet, aber ich spreche nicht für Sea Shepherd. Wir haben nicht unbedingt ein freundschaftliches Verhältnis. Viele in der Organisation respektieren und kennen mich, aber die Organisation mag mich nicht, weil ich ein Abtrünniger bin. Keiner der Kapitäne wird mich haben wollen.
Einmal fragte ich Paul Watson, warum ich nicht auf einem der Schiffe Kapitän sein könne. Er meinte nur: Du würdest das Schiff nicht halten können. Und er hat Recht: Ich würde es am Ende verlieren, weil ich nicht an ihm hänge. Für mich waren die Schiffe immer Werkzeuge für unsere Aktionen. Wenn wir uns unseren Gegnern angleichen, dann werden wir nicht genug Geld haben, um zu kämpfen. Wir können da nicht mithalten.
In meinem ersten Film zeige ich, wie wir die Medien für unsere Zwecke manipulierten. Wir machten die Leute auf unser Thema aufmerksam. Mein zweiter Film dreht sich auch noch um Sea Shepherd. Die Kampagne gegen Fischzucht hat nichts mit dem Film zu tun, es war eine Art Beschäftigung für einen "Rentner". Ich bin ein Promoter von Passionen.
Für die Kampagne habe ich in meinem Netzwerk gewühlt und viele Graswurzelaktivisten für diesen Zweck mobilisiert. Ich habe viele Kontakte in die Medienbranche, brachte die Aktivisten mit Stars zusammen, um für das Thema Fischzucht zu sensibilisieren. Was ich früher an Medienarbeit für Paul Watson machte, mache ich heute für diese Graswurzelaktivisten. Da sich jedoch mein Reisegeld erschöpfte, und all meine Ersparnisse schon drauf gingen, muss ich mir einen Auftrag beim Fernsehen wieder angeln, um neues Geld zu beschaffen. Vorhin telefonierte ich zum Beispiel mit der BBC.
ich trage meinen Teil dazu bei, dass es unserem Planeten besser geht
Mussten Sie bei Ihren TV-Produktionen über die Aktivisten auch Kompromisse mit den TV-Sendern eingehen?
Peter Brown: Ich muss das nochmals klarstellen: Ich war eine Medienhure. Ich machte alles, was meine Rechnungen bezahlen konnte. So dass ich in meiner Freizeit genau das machen konnte, was ich wollte. Niemand in der TV-Welt würde mich engagieren, um einen Umweltschutzfilm zu drehen. Sie denken, dass ich etwas zu sehr radikal bin. Und nach den "Whale Wars" gaben sie mir keinen Tierfilm mehr in Auftrag, obwohl ich sehr viele gemacht habe. Sie denken, ich wäre viel zu radikal.
Ich habe bereits einen Dokumentarfilm zum Umweltschutz gedreht, ich drehe gerade meinen zweiten. Nach der Serie "Whale Wars" wollten die Sender auch keine Tierfilme mehr von mir. Aber abgesehen davon bin ich eine TV-Hure. Für den Aktionismus drehte ich - was wir in der TV-Welt "B-Rolls" [in etwa: Arbeitsmaterial von den Dreharbeiten, um Schnittbilder daraus zu machen] nennen: Interviews, Berichte. Wenn ich wieder im Hafen einlief, gab ich dieses Material weg. Das war grundsätzlich kostenloses Fernsehen: Ich bezahlte das Filmmaterial, bezahlte die Aufnahmen, und bot es dann der BBC, dem NBC, dem kanadischen Fernsehen usw. an.
Als Bob Hunter für das Fernsehen arbeitete, habe ich ihm Material für mindestens sechs Filme gegeben. Er musste eigentlich nur noch das Rohmaterial bearbeiten und sich selbst reinschneiden. Das war Peter Browns Mission. Ich war ein Filmemacher und ich trage meinen Teil dazu bei, dass es unserem Planeten besser geht. Jeder kann seinen Teil zum Ganzen beitragen: Lehrer unterrichten und Schriftsteller schreiben. Jeder das, was er am besten kann. Ich komme aus einer kleinen Stadt und habe mich eines Tages entschlossen, vom Sofa aufzustehen und etwas zu tun. Man soll keine falschen Ausreden finden. Wenn man nach Hause kommt, wird sich die Welt nicht verändert haben - es sei denn, man hat seinen Arsch hochbekommen. Nicht ganz so schwierig. Dafür stehe ich!
Nicht immer einfach zu vermitteln.
Peter Brown: Man muss ja nicht gleich weltbewegende Dinge tun. Es reicht schon, wenn man klein anfängt. Doch man wird bald schon eine Veränderung spüren; man fühlt sich nicht mehr verloren und wütend. Man spürt dann eine innere Kraft aufsteigen und das Paradoxe ist, dass je mehr du tust, desto mehr wirst du auch machen. Darum geht es in meinen Filmen, in meinen Aktionen, das bin ich: Veränderung. Das ist auch der Grund, warum ich in keine Gruppe passe. Daher bin ich eine Gefahr für diese Organisation.
Vielleicht ist die Bewegung in die Anerkennung das Ende vieler Aktionismen?
Peter Brown: Man kann nur gewinnen, wenn man bereit ist zu verlieren. Es ist eine große Chance, sich nicht an etwas zu klammern und mit Argusaugen zu bewachen. Zu Anfang, wenn die Freiwilligen bei Sea Shepherd ein Schiff betraten, begrüßte ich sie meist mit den Worten: Wir werden alle sterben! Heute ist es so, dass wir, um nicht zu sterben, das Schiff am Laufen halten müssen, damit es wieder heile nach Hause kommt.
Wir haben damals häufig keine Schutzwesten getragen, weil, was bringt es, drei Wochen aufgeblasen im Ozean zu driften? Wenn dich deine Eltern finden, bist du längst tot. Heute spielen sie Videogames, wie gesagt. Ich meine, wir tranken damals schlechtes Wasser aus Metallbechern, so dass alles etwas nach Zinn schmeckte. Auf einem Schiff hatten wir eine Kabine, die wir "The Pit" (deutsch: die Grube) nannten. Wir hatten einmal so hohe Temperaturen in dieser Kabine, dass zwei meiner Filmrollenkanister schmolzen. Diese sind aus Kunststoff. Heute haben sie fließendes Wasser. Wir konnten uns nicht mal duschen. Da ist jetzt viel mehr Geld im Spiel. Sie bauen gerade ein 12,5-Millionen-Schiff. Man könnte von diesem Geld die komplette Walfangflotte kaufen und alle Schiffe versenken.
Kann ich daran etwas ändern? Nein, kann ich nicht. Aber ich glaube an alles, was ich Ihnen hier heute erzählt habe.
Kid did the dirty deed with passion. Nothing else. I'll be hated again. So get it out quick! (lacht) [Auf Deutsch in etwa: Der Jugend gehört die Welt! Und das sagt ein inzwischen 63-jähriger Aktivist.- Anm. Irtenkauf]
Vielen Dank, Herr Brown, für dieses Gespräch.