Manipulation des menschlichen Erbguts - keiner redet über Ethik

Die Genmanipulation von menschlichen Embryonen stößt aus vielerlei Gründen auf Ablehnung, ethische Abwägungen spielen jedoch eine überraschend kleine Rolle

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine Forschergruppe hat erstmals versucht, das Erbgut menschlicher Embryonen zu manipulieren. Die Front der Ablehnung scheint geschlossen, doch eine gemeinsame Basis ist nicht zu erkennen: Wissenschaftler warnen vor technischen Mängeln, Medien fürchten sich vor Designer-Babys. Eine tiefergehende Diskussion über Ethik bleibt dabei auf der Strecke.

Der Eingriff sollte eine Erbkrankheit korrigieren, doch er ging gründlich schief. Chinesische Forscher wollten ein neues Verfahren dazu nutzen, ein einzelnes Gen in menschlichen Embryonen mit höchster Präzision zu manipulieren (Liang et al., Protein & Cell, Mai 2015, CRISPR/Cas9-mediated gene editing in human tripronuclear zygotes). Es war nur ein erster Test, die Embryonen hätten das Labor nie verlassen - sie waren von Anfang an nicht lebensfähig. Aber die Genmanipulation verlief auch nicht annähernd so präzise wie erhofft: Nur vier von 86 Embryonen wiesen das korrigierte Gen auf, und selbst in diesen fand es sich nur in einem Teil der Zellen.

Das Experiment hat dennoch große Aufregung verursacht. Es war der erste Versuch, in die menschliche Keimbahn einzugreifen: Derartige Manipulationen werden an folgende Generationen weiter vererbt, mit schwer absehbaren Folgen. Bislang galt die Keimbahn-Manipulation als allgemein akzeptiertes Tabu. Und so formierte sich rasch eine breite Front der Ablehnung gegen dieses Experiment, die Wissenschaftler und Medien einschloss. Doch diese Front war von Anfang an gespalten - jeder hatte seine eigenen Beweggründe. Und obwohl fast alle auf ethische Probleme hinwiesen, machte sich kaum jemand die Mühe, diese auch konkret zu formulieren.

Als erstes reagierten Wissenschaftler (Lanphier et al., Nature, März 2015, Don't edit the human germ line; Baltimore et al., Science, April 2015, A prudent path forward for genomic engineering and germline gene modification). Bereits einige Wochen, bevor die chinesische Studie veröffentlicht wurde, verfassten sie Aufrufe, die - mehr oder weniger direkt - ein Moratorium einforderten. Das Verfahren wäre noch lange nicht ausgereift, die Auswirkungen auf die Embryonen noch völlig unklar. Jede Art von Forschung, die auf die Manipulation der Keimbahn abzielt, sollte daher vorerst auf Eis gelegt werden.

Daraufhin berichteten auch die Medien. Sie griffen die eher technischen Einwände der Forscher auf, verlagerten die Diskussion aber meist auf eine andere Ebene: Es fielen Schlagworte wie Eugenik oder Designer-Baby. Manche erweckten den Eindruck, als wären derartige Horrorszenarien nur noch einen kleinen Schritt entfernt oder zumindest eine zwangsläufige Konsequenz dieser Forschung.

Horrorvision Designer-Baby

Hier zeigte sich der erste Bruch zwischen Medien und Forschern: Rein wissenschaftlich ist ein Designer-Baby auf absehbare Zeit völlige Utopie. Eigenschaften wie Intelligenz, Musikalität und Sportlichkeit werden von einer Vielzahl von Genen beeinflusst, von denen jedes einzelne nur minimale Auswirkungen hat. Schon die Korrektur einer einzelnen Mutation ist offenkundig eine große Herausforderung, bei einem Eingriff in viele Gene gleichzeitig würden die Probleme fast exponentiell anwachsen - praktisch ist das kaum umsetzbar. Die Horrorvision der Designer-Babys hat mit der Realität daher wenig zu tun, sie lenkt die Diskussion nur in eine falsche Richtung.

Wissenschaftler hingegen sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie handelten nur aus Eigeninteresse: Ihre Intervention hätte vor allem das Ziel, den zukünftigen Einsatz dieser Technologie nicht zu gefährden. In einem begrenzten Maße trifft dieser Vorwurf auch ins Schwarze. Die eingesetzte CRISPR/Cas-Technologie ist von großer Bedeutung für die Forschung, und bald soll sie auch Gentherapien bei Erwachsenen ermöglichen. Eine Ächtung dieser Methode würde die Arbeit vieler Wissenschaftler und mancher Firmen gewaltig erschweren.

Eine Konferenz von Experten soll dieser Gefahr begegnen. Als Modell dient ein Treffen im kalifornischen Asilomar im Jahr 1975: Damals hatten Forscher aus eigener Initiative klare Regeln aufgestellt, wie sie mit den gerade erst erfundenen Möglichkeiten der DNA-Manipulation umgehen sollten. Diskutiert wurde damals allerdings nur das Wie, das Ob stand nicht in Frage. Alle waren sich einig, dass die Entwicklung dieser Technik vorangetrieben werden sollte.

Therapie oder Eugenik?

Tatsächlich scheinen auch heute einige Wissenschaftler nicht abgeneigt, über eine Verwirklichung der Keimbahn-Manipulation nachzudenken. Der Genom-Pionier George Church zeigt auf seinen Vorträgen oft eine Liste von zehn Genen, deren Manipulation die menschliche Gesundheit verbessert (Knoepfler Lab Stem Cell Blog, März 2015, A conversation with George Church on Genomics & Germline Human Genetic Modification) Weniger Herzerkrankungen, stärkere Knochen im Alter, geringere Anfälligkeit für Krebs und einiges mehr. Jeder Eingriff hätte einen unbestreitbaren Nutzen, aber medizinisch zwingend notwendig ist keiner von ihnen.

Diese Beispiele machen deutlich, dass die Grenzen fließend sind: Es gibt keine eindeutige Trennlinie zwischen medizinischer Therapie und eugenischer Optimierung. Hier beginnen die wirklich schwierigen Fragen der Ethik. Darf der Mensch seine eigene genetische Zukunft manipulieren? Wann ist ein Eingriff in Keimbahn noch ein Akt der vorbeugenden Medizin, und wann geht er in Richtung Eugenik? Überhaupt Eugenik: Was bedeutet dieser Begriff heute, und ist das Bestreben, menschliche Eigenschaften zu verbessern, per se unethisch?

Eine ernsthafte Diskussion dieser Fragen findet aber kaum statt. Überspitzt ausgedrückt: Wissenschaftler verlieren sich in technischen Details, während Medien lieber Horrorszenarien verbreiten.

Die viel beschworene Öffentlichkeit wird dabei weder ausreichend informiert noch in die Diskussion einbezogen - sie zeigt daran allerdings auch wenig Eigeninteresse. Dabei drängt mal wieder die Zeit. In Forscherkreisen kursieren Gerüchte, dass weitere Gruppen an der Keimbahn-Manipulation arbeiten und vielleicht noch in diesem Jahr ihre Ergebnisse veröffentlichen. Der deutsche Ethikrat sieht jedoch noch keinen Handlungsbedarf, und in den USA nimmt man sich bis Oktober Zeit, um eine erste Kommission zu berufen. Es sieht also sehr danach aus, dass die Frage der Keimbahn-Manipulation am Ende vor allem über die technische Machbarkeit entschieden wird.