Mariupol: Geschundene Stadt mit geschundenen Bewohnern

Seite 2: Wie Videos mit schlimmen Erzählungen entstehen

Immerhin ist bekannt, wie solche Geschichten zumindest teilweise entstehen. Eine davon erzählt von einem jungen Mädchen namens Ljubow Ustinowa, einer Einheimischen, die Asow in einem Video unter anderem der Tötung von Zivilisten beschuldigte. Das herzzerreißende Video stammt laut einer Recherche der oppositionellen russischen Onlinezeitung Mediazona aber nicht aus der Schmiede der Staatsmedien, sondern vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB.

Mediazona ist im Besitz der entsprechenden Unterlagen, die der FSB an die Medien schickte mit der ausdrücklichen Anweisung, die Quelle des Materials nicht zu nennen - auch im genutzten Webspace war die Herkunft des Materials von der Presseabteilung des FSB ersichtlich. Die Erklärung dafür ist recht einfach. Laut Mediazona werden Flüchtlinge aus Mariupol nach dem Verlassen der Stadt von FSB-Beamten verhört.

Besagte Ljubow Ustinowa ist nach Recherchen der Zeitung tatsächlich aus Mariupol evakuiert worden - in russischer Richtung. Eine Kontaktaufnahme von Mediazona mit ihr scheiterte. Wohin Flüchtlinge evakuiert werden können sie sich laut der Zeitung nicht aussuchen - da die Front zwischen den Russen und Ukrainern für Zivilisten nicht überwindbar ist.

Separatistische Kämpfer siegesgewiss, aber nicht willkommen

Gegenüber lenta.ru geben sich an diesem Frontabschnitt eingesetzte prorussische Kämpfer siegesgewiss. Dennoch können sie nicht verbergen, dass die russisch/prorussische Eroberung den Einwohnern der Stadt, die ja immerhin selbst im Donbass liegt, nicht willkommen war.

Ich und viele andere möchten natürlich, dass alles schnell geht. Dass wir kommen, der Feind kapituliert, niemand stirbt und die Leute werfen vor uns Blumen auf die Straße. Aber hier ist es leider nicht so. Die Menschen, die ich sehe, begegnen mir nicht mit Blumen, sondern unter heftigem Stress.

Wallen Tatartski, Milizionär der "Volksrepublik Donezk" gegenüber lenta.ru

Seinen prorussischen Milizen begegne man hier mit einer "skeptischen Haltung" berichtet der Kämpfer. Dabei war die Stadt 2014 eine Hochburg der gegen die Kiewer Regierung gerichteten Anti-Maidan-Bewegung. Bei der Kiewer Militäraktion damals gegen anti- maidanische Aufstände beschoss die Nationalgarde ein Polizeirevier, da sich die Beamten dort geweigert hatten, auf prorussische Demonstranten zu schießen. 90 Prozent der Einwohner sprechen Russisch, der Euromaidan war hier nie beliebt.

Dennoch werden weder die Russen noch ihre separatistischen Helfer hier als Befreier begrüßt. Denn mit ihnen kam der Krieg und die Zerstörung der Heimatstadt, auch wenn natürlich wieder zwischen den Gegnern umstritten ist, wer daran den größeren Anteil hat.

Fakt ist, dass schon am zweiten Tag des Krieges der Brotpreis auf das Vierfache stieg, am dritten Tag setzten in der Stadt die ersten Plünderungen ein, am achten gab es kein Wasser mehr. Am vierzehnten Tag kam es zum umstrittenen Bombardement eines Entbindungsheims. Etwa um diese Zeit tauchen Massengräber und Behelfsgräber in Privatgärten im Stadtgebiet auf.

Bald bricht Tag 30 an. Ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.