Massive Abrüstung oder großer Bluff?
Mit dem amerikanisch-russischen Abrüstungsabkommen für atomare Sprengköpfe wird die Welt nicht sicherer und friedlicher
Mit großen Worten pries US-Präsident den endlich erreichten Durchbruch bei den Verhandlungen über die Reduzierung von Atomwaffen an. Mit dem jetzt erzielten Übereinkommen über den Abrüstungsvertrag, der nächste Woche beim Treffen von Bush und Putin in Moskau unterzeichnet werden soll, vernichte man "das Erbe des Kalten Krieges" und leite "eine neue Epoche der amerikanisch-russischen Beziehungen" ein. Der russische Präsident Putin gab sich schon etwas reservierter und meinte lediglich, dass er "mit der gemeinsamen Arbeit zufrieden" sei.
Tatsächlich ist der Abrüstungsvertrag, der bislang eigentlich nur den Willen beider Länder zum Ausdruck bringt, in den nächsten zehn Jahren die Zahl der nuklearen Sprengköpfe von gegenwärtig 5000 bis 6000 auf jeder Seite auf 1700 bis 2200 zu senken, vor allem ein Beleg für die Überlegenheit der Supermacht USA. Die anvisierte Reduzierung der Atomwaffen um Zweidrittel ist in ihrem Umfang sicher bislang einmalig und erfreulich, ob damit aber die Welt friedlicher wird, wie US-Präsident Bush verkündet, ist zu bezweifeln.
Dass überhaupt ein formeller bilateraler Vertrag nach monatelangen Verhandlungen zustande kam, dürfte wohl der einzige Erfolg von Putin sein. Die anvisierte Abrüstung spiegelt auf beiden Seiten allerdings nur wieder, was sowieso gemacht worden wäre, nachdem der Kalte Krieg durch den Zerfall der Sowjetunion zu Ende gegangen ist. Die Russen können sich die Aufrechterhaltung der nuklearen Streitmacht in der alten Größe schlicht nicht leisten, die Amerikaner stellen ihre Verteidigungskapazitäten um. Mit dem Abkommen wird vornehmlich der Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag erkauft - und damit die Möglichkeit geschaffen, wieder Nukleartests ausführen und den Raketenabwehrschild aufbauen zu können.
Die Vernichtung oder Einlagerung von Sprengköpfen aus dem Kalten Krieg symbolisiert möglicherweise eine veränderte Beziehung zu Russland und eine gewisse Abkehr von der Abschreckungsdoktrin, die man aber offenbar dennoch weiter beibehalten will. Dafür sprechen nicht nur kürzlich erhobene Vorwürfe aus Kreisen der US-Regierung, dass Russland wieder mit Nukleartests beginnen wolle, sondern davon zeugt auch die angebliche "Liquidierung" der Waffen des Kalten Kriegs. Russland hatte zwar darauf bestanden, dass die Sprengköpfe vernichtet werden sollten, die USA haben jedoch durchgesetzt, dass die Vernichtung keines einzelnen Sprengkopfs bindend ist. Damit können die nuklearen Sprengköpfe, die nicht aufgrund ihres Alters zerstört werden, jeder Zeit wieder verwendet werden. Die massive Abrüstung ist daher eigentlich ein großer Bluff.
Noch müssen die Einzelheiten geregelt werden, doch die Haltung der US-Regierung ist deutlich, dass sie sich trotz des Abkommens alle Hände frei halten will: "Unter diesem Vertrag können beide Seiten die Reduktion auf ihre eigene Weise so vornehmen, wie es am besten ihren Interessen entspricht. Jede Seite wird nach eigenen Plänen reduzieren und selbst über die Zusammensetzung der strategischen Rüstung entscheiden."
Wie unlängst wieder deutlich geworden ist, plant das Pentagon nicht nur eine Militarisierung des Weltraums, um auch hier die Überlegenheit der USA zu sichern (Die nationale Sicherheit verlagert sich in den Weltraum), sondern löst sich nur insofern von der Abschreckungsdoktrin, als kleinere Atomwaffen zur Abwehr von Langstreckenraketen (Alternativen zum Raketenabwehrschild), für regionale Konflikte und zur Zerstörung von tief unter der Erde befindlichen gegnerischen Bunkern und Anlagen entwickelt und eingesetzt werden sollen (Mini-Nukes gegen Schurkenstaaten). Insgesamt soll der Einsatz von Atomwaffen in die Kriegsführung integriert werden, also nicht mehr letztes Abschreckungsmittel sein (Eine Kombination aus nuklearen und nicht-nuklearen Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten): "Eine Kombination aus offensiven und defensiven sowie nuklearen und nicht-nuklearen Möglichkeiten ist entscheidend dafür", so stand es im Nuclear Posture Review, "die Erfordernisse der Abschreckung im 21. Jahrhundert erfüllen zu können." Das wird die Welt nicht sicherer machen, sondern senkt die Schwelle für den Einsatz von Nuklearwaffen ab.