Massive Propaganda sorgt für Nein zur Schweizer Atomausstiegs-Initiative

Seite 2: Beznau 1 ist nicht nur der älteste Reaktor weltweit, er gehört auch zu den "Bröselreaktoren"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Aber welches düstere Bild wird von einer Schweiz gezeichnet, die offenbar in acht Jahren nicht in der Lage ist, eine Struktur auszubauen, um bis 2029 die vier verbliebenen Atomkraftwerke mit fünf Meilern abzuschalten? Eigentlich könnte es bestenfalls ein kleineres Problem sein, dass drei kleinere Reaktoren schon im kommenden Jahr hätten abgeschaltet werden müssen, wenn die Bevölkerung für die Initiative gestimmt hätte. Damit fiele theoretisch ein Drittel der Schweizer AKW-Leistung weg, die etwa 40% des Schweizer Stroms produzieren, also gut 13%.

Doch sogar das ist falsch. Denn unter diesen drei Reaktoren befindet sich mit Beznau 1 der älteste Meiler weltweit! Zudem ist auch der größte Meiler in Leibstadt derzeit wegen Sicherheitsproblemen außer Betrieb. Und geht man davon aus, dass Beznau 1 vermutlich nicht wieder ans Netz gehen wird, verringert sich die real 2017 ausfallende Stromproduktion um deutlich unter 10% und das würde mehr als kompensiert, wenn Leibstadt wieder Strom produzieren würde.

Ginge es mit Verstand zu, dürfte Beznau 1 tatsächlich nie wieder ans Netz gehen. Denn auch er gehört zu den "Bröselreaktoren", bei denen sogar die belgische Atomaufsicht vor einer "alarmierenden Wahrscheinlichkeit" eines Supergaus warnt). Wie im belgischen Doel und in Tihange waren auch in Beznau 2012 zahllose Risse im Stahl des Reaktordruckbehälters entdeckt worden, weshalb sogar schon die Bundesregierung deren Abschaltung gefordert hat. Dagegen sind die wachsenden Risse im Schweizer Atomkraftwerk Mühleberg, dass 2019 definitiv abgeschaltet wird, eher lächerlich.

Doch Forderungen nach einer definitiven Abschaltung von Beznau 1 sind aus Berlin bisher nicht zu hören, obwohl sich auch dieser Meiler im Grenzgebiet befindet. Beznau liegt nicht einmal 10 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt am Oberrhein, dagegen sind Tihange und Doel sogar relativ weit entfernt vom Bundesgebiet. Bei einem Druckbehälter handelt es sich um das zentrale Sicherheitselement eines Atomkraftwerks. Der Stahl dieser Behälter wird ohnehin beim Beschuss mit Neutronen immer spröder. Deshalb werden längst mindestens 18 Reaktoren in Europa nur noch mit Spezialmaßnahmen betrieben, weil offenbar auch die Betreiber selbst Druckbehältern ohne bisher bekannte Probleme bei der Produktion nicht mehr trauen.

Nach Recherchen des WDR und der Süddeutschen Zeitung wird das Wasser für die Notkühlung in all diesen Reaktoren schon vorgeheizt, wie man es in den belgischen "Bröselreaktoren" eben auch tut. Denn die Versprödung des Materials ist offenbar schneller als vorhersagt vorangeschritten, meinen Experten. "Das Vorwärmen bedeutet: Entweder sind schon relativ große Risse da oder man ist unsicher, ob die Versprödung nicht vielleicht doch größer ist, als bisher angenommen", erklärt Sicherheitsexpertin Ilse Tweer, Mitglied des Atomforscher-Netzwerkes INRAG.

Da das Material von Alt- und Bröselreaktoren als brüchig eingeschätzt wird und jederzeit bersten könnte, stellt nun schon das normale Kühlwasser, das eigentlich im Notfall einen Super-GAU verhindern soll, eine Gefahr für die Meiler dar. Man befürchtet offensichtlich, dass das üblicherweise nicht einmal 10 Grad kalte Kühlwasser bei der Einleitung zur Notkühlung einen thermischen Schock produzieren könnte. Der könnte die spröden Druckbehälter zum Bersten bringen, deren Stahl im Betrieb an Elastizität verloren hat.

Für den Atomspezialisten Wolfgang Renneberg ist das Vorwärmen ein "Alarmsignal", da man sich nicht mehr sicher sei, ob der Druckbehälter das kalte Wasser aushalten kann. Der ehemalige Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium sagte, damit würden "wichtige Sicherheitsreserven" abgebaut. "Bei solch einer Maßnahme sträubt sich wirklich alles in mir." Dass die "technische Lebensdauer" der Atomkraftwerke länger als 45 Jahre ist, wie die NZZ behauptet, darf ohnehin bezweifelt werden. Viele Atomkraftwerke wurden nur für 30 Jahre ausgelegt.

Nun haben sich die Schweizer aber dafür entschieden, einen ernsthaften Unfall in Kauf zu nehmen, weil angeblich mit hohen Kosten oder Stromausfällen zu rechnen sei. Dazu wurde auch noch behauptet, dass der Strom zukünftig angeblich "dreckiger" werde und über klimaschädliche Kohlekraftwerken produziert würde oder aus angeblich noch unsicheren Atomkraftwerken aus dem Nachbarland Frankreich kommen würde, wo kein Ausstieg in Sicht ist. Deshalb warben die Gegner des vorgezogenen Ausstiegs auch mit einem "Nein zu schmutzigem Strom aus dem Ausland!"

Hier ist sicher das Abstimmungsverhalten von denen interessant, die am nächsten an den französischen Meilern leben. So waren in Basel-Stadt, nur 50 Kilometer vom französischen Pannenreaktor - der sogar schon außer Kontrolle geraten war - sogar 60% für den früheren Ausstieg. Und auch in Basel-Land hätten die Atomkraftgegner gewonnen. In den Kantonen, die nur an Frankreich angrenzen, wie dem Jura, haben 57,5% für den schnellen Ausstieg gestimmt, in Neuenburg waren es fast 57%, in Waadt immerhin fast 55% und in Genf sogar 59%. Also gerade die Kantone, die nahe von französischen Unsicherheitsmeilern liegen, wollten einen schnellen Ausstieg auch auf die Gefahr hin, dass kurzzeitig angeblich sogar verstärkt Atomstrom aus Frankreich importiert werden müsste. Das ist ohnehin zu bezweifeln, da in Frankreich unter anderem wegen gefälschter Sicherheitszertifikate im kommenden Winter wieder mal ein Blackout droht, weil gleichzeitig 21 Atommeiler abgeschaltet sind.