Massive Propaganda sorgt für Nein zur Schweizer Atomausstiegs-Initiative

Seite 3: Gegen Atomausstieg und für unsichere und unrentable Reaktoren

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Aber die Schweizer haben sich auch dafür entschieden, völlig unrentable Reaktoren weiter am Netz zu halten. Und darauf wies Rudolf Rechsteiner, Ex-Nationalrat der Schweizer Sozialdemokraten und Atomkraft-Gegner aus Basel hin, steht es mit der Sicherheitskultur in der Schweiz auch nicht zum Besten. Auch er verwies auf den Bröselreaktor in Beznau, aber auch auf einen Skandal im leistungsstärksten Atomkraftwerk in Leibstadt. "Da hat ein Mechaniker im Reaktordruckbehälter ein Feuerlöschgerät montiert, durchgebohrt. Und es wurde sechs Jahre nicht bemerkt."

Rechsteiner benannte nicht nur erhebliche Sicherheitsdefizite, sondern er verwies auch darauf, dass die Meiler beim Strompreisniveau wirtschaftlich nicht mehr tragbar sind. Darin ist er sich zum Beispiel mit dem spanischen Atomkraftwerksbetreiber Iberdrola einig, die Atomkraftwerke wirtschaftlich längst für "untragbar" hält. So arbeite der noch laufende Reaktor in Beznau hochdefizitär, der für 8,5 Rappen seinen Strom produziert. "Doch der Strompreis, die Future-Preise liegen bei drei Rappen", also bei nicht einmal 2,8 Euro-Cent pro Kilowattstunde.

AKW Leibstadt, seit 1984 in Betrieb. Bild: Taxiarchos228/CC BY-SA-3.0

Derlei schlagende Argumente konnte auch die Axpo nicht einfach vom Tisch wischen. "Gegenwärtig sind die Preise, die wir auf dem Großhandelsmarkt erlösen können, tatsächlich unter den Gestehungskosten", gab der Axpo-Sprecher Antonio Sommavilla zu. Allerdings fügte er an, dass der große Energieversorger auf steigende Strompreise hoffe. Dann lohnte sich auch der Betrieb der Schweizer Kernkraftwerke wieder. Die Axpo spielte bei ihrer Argumentation auch stark die nationalistische Karte und verwies auf die Versorgungsicherheit und der Gefahr einer Auslandsabhängigkeit, wo man nie wisse, ob gerade immer Strom für Importe vorhanden sei, wenn die Schweiz den Strom brauche.

Das hält die atomkraft-kritische Schweizerische Energiestiftung in Zürich schlicht für Nonsens. Sie ging davon aus, dass die Annahme der Initiative die erneuerbaren Energien endlich aus der marginalen Ecke geholt hätte. Denn bisher werden in der Schweiz nur 5% über Wind oder Sonne produziert, dafür aber 50% aus Wasserkraft. Und würden die, die sonst immer die marktwirtschaftlichen Prinzipien wie die NZZ und die Unternehmerverbände preisen, tatsächlich nach ihnen handeln, dann ist klar, dass die Verknappung der Produktion über die schnelle Abschaltung von uralten AKWs den Preis vermutlich wieder in rentable Zonen gebracht hätte, auch für Wind- oder Solarstrom.

Und so argumentierte auch die Energiestiftung mit Energiesicherheit, denn anders als bei Atomkraftwerken ist man bei erneuerbaren tatsächlich unabhängig und nicht auf Uran-Lieferungen aus Krisengebieten angewiesen. Dazu kommt natürlich auch die Gefahr, dass schnell wegen eines Unfalls, wegen Wassermangel aufgrund von Dürre im Fluss oder ähnlichen bekannten Problemen große Kapazitäten wegbrechen. So verweist die Stiftung darauf, dass Beznau 1 und Leibstadt ohnehin derzeit wegen Sicherheitsproblemen seit Monaten keinen Strom mehr liefern. "Letzten Sommer waren zeitweilig sogar alle 5 Schweizer AKW gleichzeitig vom Netz", fügte sie an. Sind deshalb etwa die Lichter in der Schweiz ausgegangen?

Die Stiftung erklärt hingegen, dass die Schweiz "dank der Wasserkraft ideale Voraussetzungen für die Integration von neuen erneuerbaren Energien" habe. Bei dem angestrebten geordneten und beschleunigten Ausstieg könne die Wasserkraft vom Geschäft mit dem Ausgleich von Sonne- und Windstrom profitieren. Und tatsächlich würde davon sogar wieder die Axpo profitieren. Denn hätten die NZZ-Propagandisten auch einige frühere Berichte gelesen, dann hätten sie festgestellt, dass die Axpo sich seit Sommer angesichts der geringen Strompreise nicht nur unrentable Atomkraftwerke leistet, sondern nun auch noch das größte Pumpspeicherwerk des Landes.

Derzeit laufen tief im Fels in den Schweizer Bergen die letzten Tests und Anfang 2017 werden auch die zwei letzten Pumpen schließlich Wasser aus einem Fluss in den neu aufgestauten Muttsee hinauf pumpen. Das kann dann, wenn Strombedarf besteht, abgelassen werden, um wiederum Strom zu erzeugen. Mit den vier 25 Meter hohen Francis-Turbinen, die je nach Drehrichtung Wasser pumpen oder Strom erzeugen, können insgesamt 1520 Megawatt geliefert werden, schrieb die NZZ im September über das gigantische Projekt, das gut zwei Milliarden Euro gekostet hat. Damit bringt das Pumpspeicherwerk deutlich mehr Leistung als das Atomkraftwerk Leibstadt von Axpo.

Und so ist, stellte die Zeitung damals fest, unklar, ob sich die Investitionen von Axpo in Linth-Limmern jemals rechnen werden. Denn "geplant wurde der Bau 2005, als noch von einer 'Stromlücke' die Rede war". Das bedeutet, dass ausgerechnet mit dem schnellen Wegfall von Atomstromleistung das Angebot verringert werden würde. Damit könnten nicht nur verbliebene Atomkraftwerke bis zur Abschaltung 2029 vermutlich wieder rentabel werden, sondern auch das Pumpspeicherkraftwerk und Wind- oder Solaranlagen. Deren überschüssiger Strom könnte unter anderem im Muttsee-Wasser gespeichert werden. Damit würde die schwankende Produktion von Solar- und Windstrom geglättet, womit erneuerbare Energien grundlastfähig wären.

Vermutlich wird so ausgerechnet für die Axpo ihr Werben für ein Nein zum Rohrkrepierer. Wahrscheinlich wird sich auch der FDP-Ständerat Ruedi Noser noch an seinen Worten verschlucken, mit denen er auf den Webseiten der Axpo für das Nein eingetreten ist: "Rational statt emotional entscheiden". Denn genau mit Emotionen haben er, die Axpo, seine FDP und die ihr nahestehende NZZ für das Nein geworben.

Für die Axpo ist klar, dass sich mit der Entscheidung vom Wochenende das Überangebot an Strom nicht verringert und sich die Zahl ihrer defizitären Anlagen mit dem Speicherkraftwerk nur erhöht hat. Gehen Leibstadt und Beznau wieder ans Netz, steigt das Überangebot sogar weiter, was sicher nicht die Preise anhebt. Die Axpo hat eine Chance zum Umsteuern verpasst, wie strauchelnde deutsche Energieversorger zuvor. Und genau das dürfte, anders als ein schneller Ausstieg, die Schweizer Steuerzahler noch teuer zu stehen kommen.

Die hätten bestenfalls für Entschädigungen etwas abdrücken müssen, die man, angesichts der vielen Sicherheitsprobleme in Schweizer AKWs auch hätte umgehen oder gering halten können. Und damit wäre ein Absturz der Axpo oder anderer Atomkraftwerksbetreiber präventiv vorgenommen worden. Ein Absturz von Axpo oder anderer Atomkraftbetreiber ist angesichts von deren verfehlter Energiestrategie möglich und absehbar. Dann wird der Schweizer Staat zur Rettung ansetzen und, wie in Deutschland, die Betreiber von riesigen Kosten befreien, also etwa vom teuren Rückbau der Kraftwerke und von der Endlagerung des gefährlichen Atommülls. Diese Kosten sind, mangels Erfahrungen und ungeheurer Zeitspannen, bisher seriös nicht einmal abschätzbar.

Schadensbegrenzung

Wer wie die NZZ weiter auf Dinosauriertechnologie setzt und gegen die Initiative die Werbetrommel gerührt hat, versucht sich schon jetzt in Schadensbegrenzung: "Nein zur Ausstiegsinitiative ist kein Ja zu neuen AKW", titelt die Zeitung heute schnell. Man befürchtet im Nein-Lager, dass man die Geister, die sie mit der Propaganda gerufen wurden, nun nicht wieder verschwinden. Denn grundsätzlich will auch die NZZ und viele der die hinter ihr stehenden Wirtschaftsverbände den Atomausstieg bis allerspätestens 2050.

Ihr Problem ist, dass die Energiestrategie 2050, die im September beschlossen, aber nicht einmal dieses Datum vorsieht. Deshalb sehen sogar Kräfte in der konservativen CVP, die gegen den beschleunigten Ausstieg war, als Fehler an, dass eine reale Laufzeitbeschränkung oder ein Langzeitbetriebskonzept für AKW bei der Beratung aus dem Gesetz gekippt wurden. Der Christdemokrat Karl Vogler kündigte deshalb einen parlamentarischen Vorstoß für ein Langzeitbetriebskonzept an. Sogar der BDP-Nationalrat Hans Grunder will ebenfalls wieder darüber diskutieren. Bei der rechten Partei handelt es sich um eine Abspaltung der rechtspopulistischen Volkspartei (SVP).

Die Partei wittert nun wieder Morgenluft und nimmt Aufwind für ihre Vorstellungen wahr. Die SVP sieht sich durch das Abstimmungsergebnis bekräftigt. Ohnehin sammelt die Partei schon seit Oktober die nötigen Unterschriften für ein Referendum, mit dem die wachsweiche Energiestrategie wieder gekippt werden soll. Die Rechtspopulisten hoffen, dass nun die 50.000 Unterschriften zusammenkommen, die bis Mitte Januar gesammelt werden müssen.