Medien-Blackout: Wie die USA eine humanitäre Katastrophe in Afghanistan herstellen

Seite 2: Kein Grund zur Empörung: Die US-Regierung klaut den hungernden Afghan:innen Milliarden

So sollen 3,5 Milliarden Dollar aus dem afghanischen Vermögen einbehalten werden, um Hinterbliebene von Opfern der Anschläge vom 11. September 2001, die gegen die Taliban klagen, zu entschädigen. Dagegen haben einige klagende Familien aber bereits Einspruch erhoben.

Das Center for Economic and Policy Research (CEPR) bezeichnete die Erklärung der Biden-Administration als "reines Täuschungsmanöver" und wies darauf hin, dass es sich bei den 3,5 Milliarden Dollar an afghanischen Geldern nicht um Gelder der Vereinigten Staaten handelt, die ausgezahlt werden müssen.

Um den Diebstahl der USA vor Kritik zu immunisieren, verweisen Medien immer wieder darauf, dass nach Angaben der Biden-Administration den Taliban mit der Verteilung der Gelder nicht vertraut werden könne. Daher halte man die Gelder zurück. Doch das Argument entspricht nicht den Tatsachen. Denn die Gelder der afghanischen Zentralbank sind gar nicht das Eigentum der afghanischen Regierung. Sie kann sie daher nicht einfach für ihre eigenen Zwecke abziehen.

Die überwiegende Mehrheit – etwa 90 Prozent – der Guthaben der Bank gehören afghanischen Bürgern und Unternehmen. Aus diesem Grund haben zahlreiche Einzelpersonen und Gruppen auf der ganzen Welt, darunter Menschenrechtsgruppen, Wirtschaftswissenschaftler und der UN-Generalsekretär, darauf gedrängt, die gesamten Gelder an die Zentralbank auszuzahlen.

Besonders empörend ist vor allem die Zweckbindung der Hälfte der Mittel für die Familien des 11. Septembers, die von einer Gruppe von Ökonomen, darunter Joseph Stiglitz, als "willkürlich und ungerechtfertigt" bezeichnet wurde. Kelly Campbell, Mitbegründerin von 9/11 Families for Peaceful Tomorrows, erklärte gegenüber The Intercept:

Tatsache ist, dass es sich bei diesen Reserven um das Geld des afghanischen Volkes handelt. Die Vorstellung, dass sie am Rande einer Hungersnot stehen und dass wir ihr Geld für irgendeinen Zweck zurückhalten, ist einfach falsch. Die Afghanen sind nicht für den 11. September 2001 verantwortlich, sie sind Opfer des 11. September 2001, genauso wie unsere Familien. Ihnen ihr Geld wegzunehmen und zuzusehen, wie sie buchstäblich verhungern – ich kann mir nichts Traurigeres vorstellen.

Wie die Media Watch Group Fairness and Accuracy in Reporting (FAIR) herausgefunden hat, berichtete kein einziger TV-Sender in den USA über die Zweckentfremdung der Gelder durch die Biden-Regierung. Die großen Zeitungen im Land wie die Los Angeles Times oder Chicago Tribune verwischen zudem die Verantwortung der US-Regierung für das Desaster in Afghanistan. In der New York Times wurde der "Terrorgruppe Taliban" die Schuld für die humanitäre Krise gegeben.

Auch in Deutschland, wo ebenfalls wenig über das Leiden der Afghan:innen seit dem Truppenabzug berichtet wird, bleibt Empörung über das Vorgehen der USA aus. So stellt Tagesschau-Online fest, dass rechtlich unklar sei, wem die Gelder gehören, da die USA die Taliban nicht als rechtmäßige Regierung anerkennen. Die US-Regierung wolle den Afghan:innen zudem direkt, ohne den Umweg über die Taliban helfen.

Gleichzeitig wird weggeschaut, wenn es um die Folgen der umfangreichen US-Sanktionspolitik gegen Afghanistan seit einem Jahr geht. Schon Mitte Dezember letzten Jahres warnte der Direktor des Center for Humanitarian Health an der renommierten Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, Paul Spiegel, nach einem fünfwöchigen Aufenthalt am Hindukusch sei er überzeugt:

Wenn die Vereinigten Staaten und andere westliche Regierungen ihre Sanktionspolitik gegenüber Afghanistan nicht ändern, werden mehr Afghanen an Sanktionen sterben als durch die Taliban.

Auch ist erstaunlich, dass dieselben Medien, die sich nach der Machtübernahme der Taliban in Artikeln zu Recht große Sorge machen um das Schicksal von Mädchen und Frauen in Afghanistan, die Kritik von afghanischen Frauen an der US-Politik "übersehen".

So sagte Jamila Afghani, Gründerin und Präsidentin der afghanischen Sektion der Women's International League for Peace and Freedom:

Wir unterstützen die afghanischen Frauen nicht, indem wir sie hungern lassen.