Medien: Der Globale Süden bleibt Nebensache
Seite 3: Kaum Interesse am "größten lösbaren Problem der Welt"
- Medien: Der Globale Süden bleibt Nebensache
- Vernachlässigte Krisen und Katastrophen
- Kaum Interesse am "größten lösbaren Problem der Welt"
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Zu den medial am stärksten vernachlässigten Katastrophen gehört der Globale Hunger, der vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) als "das größte lösbare Problem der Welt" bezeichnet wird, da sowohl die Ressourcen als auch die technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen und vergleichsweise nur geringe finanzielle Mittel notwendig wären, um dieses Problem zu lösen.
Laut dem im Jahr 2022 vorgelegten Welternährungsbericht der Vereinten Nationen stieg die Zahl der Hungernden im Vorjahr auf etwa 828 Millionen Menschen – ein dramatischer Zuwachs gegenüber der Vorpandemiezeit um ca. 150 Millionen Menschen.
In der ZIB 1 wurde im Jahr 2022 aber zum Beispiel umfangreicher über die Queen bzw. die britischen "Royals" berichtet als über den Globalen Hunger. Auf ORF.at erschienen im Untersuchungszeitraum sogar mehr Sportberichte als Beiträge über den gesamten Globalen Süden.
Dabei drohte eine weitere Zuspitzung der globalen Hungersituation, da der Export des Getreides aus der Ukraine über das Schwarze Meer aufgrund des Krieges, zumindest zeitweise, nicht mehr sichergestellt war und die Weltmarktpreise dementsprechend reagierten.
In der ZIB 1 und auf ORF.at wurden zwar Berichte zur Hungersituation veröffentlicht, aber etwa Dreiviertel von ihnen beschäftigten sich fast ausschließlich mit den politischen Dimensionen für die am Getreideabkommen beteiligten Staaten (also vornehmlich mit der Ukraine, Russland sowie der vermittelnden Türkei) anstatt mit der Situation in den vom Hunger akut betroffenen Gebieten vor Ort.
Die Beiträge zum Getreideabkommen thematisierten also eher eurozentristisch die politischen Aspekte des Ukraine-Krieges als die Auswirkungen für die vom Getreide abhängigen Zielländer im Globalen Süden.
Die mediale Marginalisierung des Globalen Südens hat Routine
Nigeria, der mit etwa 230 Mio. Einwohnern bevölkerungsreichste Staat Afrikas, wurde im Jahr 2022 in lediglich 3 Beiträgen der ZIB 1 erwähnt (zum Vergleich: Dänemark, das knapp 6 Mio. Einwohner hat, wurde in 32 Berichten genannt). Kein Einzelfall und keine Ausnahme. Lediglich etwa 9 Prozent der Sendezeit der ZIB 1 entfiel auf den Globalen Süden, wo etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung lebt. Damit reihen sich die ZIB 1 und auch ORF.at in die Gruppe der Medien ein, die nur etwa 10 Prozent oder weniger ihrer Sendezeit für Nachrichten aus dem Globalen Süden verwenden (Abb. 4).
Insgesamt spiegeln die Daten die Ergebnisse einer unter dem Titel Vergessene Welten und blinde Flecken veröffentlichten Langzeituntersuchung wider, in der u.a. mittlerweile fast 6.000 Sendungen der deutschen Tagesschau ausgewertet wurden und die zeigen, dass der Globale Süden in den Nachrichten konsequent vernachlässigt wird. Mit dem Berichtschema der Tagesschau verglichen wird deutlich, dass diejenigen der ZIB 1 und von ORF.at nahezu deckungsgleich sind (Abb. 5).
Ein Berichtschema, das den Globalen Süden weitgehend ausblendet
Dieses Muster der Berichterstattung ist für Ereignisse, die sich im Globalen Süden ereignen, deutlich weniger empfänglich als für Vorkommnisse, die im Globalen Norden stattfinden.
Die als außerordentlich unverhältnismäßig zu bezeichnende überdimensionale Präferenz für Nachrichten aus dem Globalen Norden droht zu einer medialen Blindheit auch gegenüber schwersten humanitären Krisen und Katastrophen zu führen, die sich im Globalen Süden ereignen.
Zum Thema von Ladislaus Ludescher:
Deutsche Medien und die Welt: 85 Prozent kommen kaum vor
Es gilt den Nachrichtenwert eines Ereignisses primär nicht nach dem Ort, wo es sich ereignet hat, sondern nach seiner menschlichen Dimension zu bemessen. Es gilt die Länder des Globalen Südens aus dem medialen Erinnerungsschatten zu holen und ihnen das Nachrichteninteresse bzw. die öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen, die ihnen zusteht.
Eine Videozusammenfassung dieses Beitrags kann hier angesehen werden.
Die vollständige Ausgangsstudie Vergessene Welten und blinde Flecken über die mediale Vernachlässigung des Globalen Südens und verschiedene Ergänzungsanalysen können kostenlos eingesehen, beziehungsweise heruntergeladen werden unter www.ivr-heidelberg.de.
Auf der Seite finden sich auch Videozusammenfassungen, eine Unterschriftenpetition sowie Informationen zu einer auf der Untersuchung beruhenden Poster-Wanderausstellung.