Medien in der Filterblase: "Das ist nicht nur eine Gefahr, sondern eine Tatsache"
- Medien in der Filterblase: "Das ist nicht nur eine Gefahr, sondern eine Tatsache"
- "Journalisten haben vor allem Journalisten als Freunde und braten im eigenen Saft"
- "Medien kontrollieren bisweilen sehr eigene und sogar eigenwillige Wirklichkeiten"
- "Manchmal müssen sich Journalisten 'mit einer guten Sache' gemein machen"
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Der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg über Probleme im Journalismus, "ethische Unfälle" und Berichterstattung in einer Filterblase
Über Jahrzehnte haben Medien vieles richtig gemacht, doch dann fiel plötzlich die Medienkritik vom Himmel und Bürger skandierten auf den Straßen gemeinsam: "Lügenpresse!" Wer das tatsächlich glaubt, hat nichts verstanden.
Der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg hat sich in seinem gerade veröffentlichten Buch "Medienkrise und Medienkrieg" intensiv mit den Verwerfungen im journalistischen Feld und den Medien auseinandergesetzt. Sein Befund ist eindeutig: Die Probleme, die heute von zahlreichen Medienkritikern angeprangert werden, existieren schon lange.
Unaufgeregt und präzise zeigt Weischenberg auf, welche Schieflagen in der Berichterstattung schon seit vielen Jahren zu beobachten sind. Damit hilft er, eine mehr als angebrachte Medienkritik, die bisweilen von vielen Emotionen geprägt ist, zu versachlichen.
Herr Weischenberg, in Ihrem Buch gibt es eine zentrale These: Die Medienkritik, die wir derzeit erleben, ist nicht vom Himmel gefallen. Woher kommt die Medienkritik denn?
Siegfried Weischenberg: Medienkritik gibt es, seit es den modernen Journalismus gibt. Durch das Internet und speziell die Sozialen Medien verfügt sie freilich über einen viel stärkeren Resonanzboden als früher. Ein zentraler Faktor dieser Medienkritik ist der Glaubwürdigkeitsverlust; man vertraut der Berichterstattung weniger denn je. Dazu gibt es zum Beispiel den in der Tat alarmierenden Befragungs-Befund, dass fast zwei Drittel der Deutschen Journalisten für manipulativ halten.
Sie beziehen sich dabei auf eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2010, also einer Zeit, in der noch nicht Lügenpresse auf der Straße gerufen wurde.
Siegfried Weischenberg: Womöglich würde ein aktuellerer Befund hier noch deutlicher ausfallen. Befragungen aus der jüngsten Vergangenheit zeigen jedenfalls, dass insbesondere das Vertrauen in die politische Berichterstattung noch weiter gesunken ist. Das Publikum ist hier gespalten: Großes Vertrauen und tiefe Enttäuschung halten sich - jedenfalls bei den politisch Interessierten - in etwa die Waage.
Dies alles ist aber nur das vorläufige Ende einer Entwicklung, die schon in den 1970er Jahren eingesetzt hat. In den zwei Jahrzehnten danach verlor das bis dahin als überaus glaubwürdig geltende Medium Fernsehen (in Westdeutschland) mehr als die Hälfte der Leute, die zuvor geglaubt hatten, es berichte "wahrheitsgetreu". Diese Entwicklung korrespondierte mit der in den USA: Immer mehr Menschen misstrauten dort seit den 1990er Jahren den Journalisten oder hassten sie sogar - deutlich mehr als im Jahrzehnt davor.
Ethische Unfälle
Können Sie für unsere Leser die Probleme in den Medien, die schon seit vielen Jahren bestehen, stichpunktartig anführen?
Siegfried Weischenberg: Probleme in den Medien und mit den Medien betreffen die Inhalte und die Strukturen. Gravierend waren insbesondere "ethische Unfälle" wie z. B. seit Ende der 1980er Jahre die Barschel- und die Gladbecker Geiselaffäre, Geschmacklosigkeiten der Darstellung nach Flugzeugabstürzen (Concorde, Ramstein) sowie Fälschungen (Born, Kummer). Des Weiteren gab es zum Beispiel die Kreierung von Pseudo-Promis (Feldbusch, Elvers) und völlig falsche Gewichtungen von Relevanz wie bei der Entscheidung, einen harmlosen Verkehrsunfall wie den des "Superstars" Küblböck zur Tagessschau-Nachricht zu machen.
Sie führen hier eine "Berichterstattung" an, die man als unterirdisch bezeichnen kann.
Siegfried Weischenberg: Man könnte noch diverse andere Beispiele nennen, aus denen seit Jahren die Tendenz zur Boulevardisierung - übrigens auch in sonst als seriös geltenden Medien - deutlich wird. Auf diese Weise wird das Publikum chronisch unterschätzt. Doch die Menschen sind nicht so doof, dass ihnen "Doof-Berichterstattung" (ein Begriff der "heute-show") nicht auffällt. Bemerkenswerter Weise fordern viele von ihnen in den Foren und Kommentar-Bereichen der Online-Medien hartnäckig "Objektive Berichterstattung" - was auch immer sie darunter verstehen.
In den vergangenen Jahren haben dann Fehlleistungen wie die Verrenkungen von "Alpha-Journalisten" bei der Bundestagswahl 2005, fehlende Sensibilität bei der Finanzkrise 2008 und später bei der "Wulff-Affäre" und schließlich beim Germanwings-Absturz für Verstörungen gesorgt, weil so die alten Fehler aktualisiert wurden.
Und so hat sich dann die Wut von so manchem Mediennutzer auf die Medien über einen langen Zeitraum aufgebaut?
Siegfried Weischenberg: Davon ist auch angesichts der vorliegenden Langzeit-Beobachtungen zur Mediennutzung und Medienbewertung auszugehen. Unter den Fundamentalkritikern gibt es natürlich auch eine Menge Leute, die sich schon empören, wenn jemand eine andere Meinung vertritt als sie selbst. Für die sind alle Nachrichten, die ihnen nicht in den Kram passen, "Fake News".
Wie sieht es denn mit den ökonomischen Verwerfungen innerhalb der Medien aus?
Siegfried Weischenberg: Die sind wesentlicher Teil des Problems. Das "Jahrhundert des Journalismus" ist insofern vorbei, als das alte Geschäftsmodell jedenfalls der Printmedien, sich vor allem durch Reklame zu finanzieren, nicht mehr so trägt wie früher. Die ökonomischen Verwerfungen haben dann zu erheblichen Einsparungen im redaktionellen Bereich und damit zu einem Qualitätsverlust der Berichterstattung geführt.
Zudem gibt es das generelle Problem, dass die soziale Zusammensetzung der Journalistengruppe (Männer/Frauen, Deutsche/Personen mit Migrationshintergrund, Schichten-Rekrutierung) weit entfernt ist von den Verhältnissen in der Gesamtbevölkerung. Und da passiert es dann, dass dieser "Mainstream" nicht mitkriegt, wenn er die Wirklichkeit - zum Beispiel bei einem so heiklen Thema wie "Flüchtlinge" oder früher "Hartz 4" - ganz anders wahrnimmt als beispielsweise von den Folgen direkt Betroffene.