Medien in der Filterblase: "Das ist nicht nur eine Gefahr, sondern eine Tatsache"

Seite 3: "Medien kontrollieren bisweilen sehr eigene und sogar eigenwillige Wirklichkeiten"

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Was bedeutet es denn, wenn die Akteure innerhalb des journalistischen Feldes hauptsächlich aus einer sozialen Schicht kommen?

Siegfried Weischenberg: Zweifellos bedeutet dies eine Begrenzung der Beobachtungsperspektive. Dies in Tateinheit mit dem Faktor "Selbstreferenz" liefert gute Gründe für den Vorwurf, dass die Medien bisweilen sehr eigene und sogar eigenwillige Wirklichkeiten konstruieren, dass ihre blinden Flecken zu groß sind. Dieser Befund ist sehr eindeutig - und er führt (das hat lange gedauert) inzwischen auch in den Medien selbst zur Nachdenklichkeit und zur intensiven Beschäftigung mit dem Problem der "Repräsentanz". Aber hier Lösungen zu finden, ist nicht so einfach.

Sind wir hier am Kern eines der großen Probleme, die es im Journalismus gibt, angekommen? Wie soll Journalismus eine echte Perspektivenvielfalt abbilden, wenn - ich spitze jetzt etwas zu - quasi alle Journalisten durch eine sehr ähnliche Brille ihrer Sozialisation blicken? Und: Derzeit werfen Vertreter großer Medien ganz gerne so manchem Internetnutzer vor, seine Auffassung von der Wirklichkeit basiere auf den Wahrnehmungen in einer Filterblase. Wie groß ist die Gefahr, dass ein sehr homogen zusammengesetztes journalistisches Feld selbst zu einer Filterblase wird?

Siegfried Weischenberg: Dies ist nicht nur eine Gefahr, sondern im Lichte unserer Erkenntnisse eine Tatsache. Im Übrigen gibt es das Problem der "Filterblase", in der viele Menschen leben, im Grunde schon, seit Kabel- und Satelliten-TV mit Hunderten von Kanälen und Tausenden von speziellen Programmen aufwarten können und seit es an den Kiosken für jedes seltsame Hobby diverse Zeitschriften gibt. Wer will, kann schon seit langem in einer völlig eigenen Medienwelt leben - und das große Ganze der Zeitläufte außen vor lassen.

Aber natürlich droht durch die Soziale Medien die gesellschaftliche Kohäsion, soweit Medien daran beteiligt sind, vollständig verloren zu gehen; die wissenschaftlichen Befunde hierzu sind allerdings nicht eindeutig.

Barbara Hans, die Chefredakteurin von Spiegel Online hat in einem bemerkenswerten Beitrag das Problem Journalismus und Filterblasen angesprochen. Sie schreibt: "Die vergangenen Monate haben uns gezeigt, dass wir uns entfernt haben von unseren Lesern. Dass unsere Wahrnehmung eingeschränkt ist. Unsere blinden Flecken sind zu groß geworden. Wir haben uns geirrt, und alle haben es mitbekommen. Wir halten den Nutzern ihre Filterblasen vor. Und verkennen unsere eigenen." Wie lassen sich denn die Filterblasen im journalistischen Feld zum Platzen bringen?

Siegfried Weischenberg: Der Ansatz, durch mehr Vielfalt bei der Zusammensetzung von Redaktionen Vertrauen in die Berichterstattung zurückzugewinnen, ist prinzipiell gewiss richtig. So ist die Forderung, nicht nur mehr Frauen in den Journalismus zu holen, sondern ihnen auch verstärkt redaktionelle Verantwortung zu übertragen, von mir und anderen schon vor vielen Jahren erhoben worden. Hier hat sich (gerade auch beim Spiegel) einiges verbessert, aber es bleibt noch viel zu tun. Dasselbe gilt für die Repräsentanz von Menschen mit "Migrationshintergrund".

Insgesamt ist die Rekrutierung des Personals im Journalismus immer noch allenfalls semiprofessionell: Chefs holen immer noch am liebsten Mitarbeiter, die so ähnlich sind, wie sie selber. Grundsätzlich halte ich das "Backstage-Projekt" von Spiegel Online, in dessen Rahmen der Beitrag erschienen ist, für interessant - und offenbar stößt es, so zeigen die Kommentare, bei einem Teil der Leserinnen und Leser auch auf Wohlwollen.

Das Problem scheint mir: In Sonntagsreden weiß jeder irgendwie immer, was richtig und falsch ist, was man tun müsste, um einen Missstand zu beheben. Und dann erntet man viel Beifall für die wohlgesetzten Worte, aber diese sind selten von langer Lebensdauer. Spätestens in der Realität zeigt sich dann das Gegenteil von dem, was in den Sonntagsreden gesagt wird.

Um den Gedanken mal konkret zu machen ein konstruiertes Beispiel: Nehmen wir eine Person, sagen wir, sie ist 35 Jahre alt, männlich. Sie hat nach der Mittleren Reife eine Ausbildung zum Mechatroniker gemacht, mehrere Jahre in dem Beruf gearbeitet, dann auf einer Abendschule das Abitur nachgeholt, ein politikwissenschaftliches Studium absolviert, während des Studiums als freier Mitarbeiter bei einer Lokalzeitung praktische journalistische Erfahrung gesammelt und schließlich zwei, drei Jahre als Autor für eine linke Tageszeitung gearbeitet.

Nun möchte diese Person sich bei einem der Leitmedien um ein Volontariat bewerben. Ihre Chance, ein "Volo" dort zu erhalten, dürften bei null liegen. Zu alt, eine zu krumme Biographie, dann auch noch vermutlich politisch nicht "auf Linie". So sieht die Realität aus. Oder?

Siegfried Weischenberg: Ich habe in meinem Buch ausführlich eine hübsche Glosse zur Rekrutierung von redaktionellem Personal im Internetzeitalter zitiert, die zu Beginn des Millenniums in der SZ erschienen war. Sie hieß "Border Online" und wirkt immer noch sehr aktuell. Ihr Thema ist, dass heutzutage jemand nur irgendwas Digitales gemacht haben muss, und schon kriegt er einen Job im Journalismus - auch, wenn er nicht einmal weiß, was "recherchieren" ist.

Hier scheinen mir aktuell die größten Gefahren der Rekrutierung zu liegen: Technische Fertigkeit dominiert gegenüber Funktionsbewusstsein und Sachkompetenz. Ansonsten zahlen wir - abgesehen davon, dass der Personalauswahl zu häufig unklare Kriterien zugrunde liegen - einen Preis für den verfassungsrechtlich gebotenen "offenen Berufszugang". Tatsächlich kann in Deutschland Jeder und Jede Journalist werden, und dabei geht es oft sehr ungerecht zu. Da der Beruf trotz aller Warnungen und negativen Nachrichten offenbar an Attraktion nicht verloren hat, gibt es außerdem viel mehr Kandidaten als Stellen. In den USA sorgt immerhin der Weg über die vielen durchweg praxisorientierten, ähnlich ausgerichteten Journalism Schools für gewisse Formen von Regulierung.

Verstehe ich das richtig: Sie halten es für problematisch, dass es in Deutschland einen "offenen Zugang" zum Beruf des Journalisten gibt.

Siegfried Weischenberg: Der offene Berufszugang wirft Probleme auf, die zum Beispiel auch das Image von Journalisten betreffen. Anders als bei "Professionen" wie z. B. Ärzten können sich die Leute, die Berufsprestige zuweisen, hier auf keinerlei formalisierte Kompetenzkontrolle verlassen. Doch dafür gibt es in der Logik des Artikels 5 - insbesondere nach den Erfahrungen im Nationalsozialismus mit dem "Schriftleitergesetz - auch gute Gründe. Zudem wirkt das Beispiel Italien - wo es in der Tradition des Faschismus immer noch ein "Berufsregister" gibt, ein singulärer Fall - nicht gerade aufmunternd, wenn man über Veränderungen nachdenkt.

Immerhin: Die Bereitschaft zur Selbstkritik in den Medien scheint gewachsen zu sein, oder?

Siegfried Weischenberg: Ja, es ist nicht zu übersehen, dass - etwa seit Mitte der "Nullerjahre" - die Bereitschaft der Journalisten zur (auch: öffentlichen) Fehlerdebatte und Selbstkritik zugenommen hat. Manchmal hat diese Selbstkritik sogar schon fast etwas Masochistisches, während Medienkritik früher nicht ernst genommen und Krisensymptome nicht wahrgenommen wurden. Man lässt sich auch viel stärker als früher auf das Publikum und seine Reaktionen ein.

Dies ist natürlich vor allem das Verdienst der neuen Feedback-Möglichkeiten, welche das Internet schafft. Durch "Interaktivität" hofft man nun, die Leute "bei der Stange" zu halten, damit die ökonomische Basis nicht noch mehr wegbricht. Die ansonsten zur Krisenbewältigung präsentierten Rezepte halte ich aber zum Teil für untauglich. So glauben einige zum Beispiel, mit Hilfe des Internet (Stichwort "Multimedia") einen völlig neuen Journalismus kreieren zu können, der besonders "sexy" daher kommt und die Leute vor allem: unterhält. Das hat schon beim "Zeitgeist-Journalismus" früherer Tage auf Dauer nicht funktioniert.

Derzeit ist auch viel von einem "Storytelling" die Rede.

Siegfried Weischenberg: Ja, darauf setzen gerade alle, doch ich glaube, die Basis des Journalismus ist und bleibt die sauber recherchierte und verständlich präsentierte Nachricht - und nicht die knackige Geschichte. Auch das, was ich "Ich-Journalismus" nenne, das Hochjubeln (vor allem von TV-) Journalisten zu Stars, zu "Marken", wird meines Erachtens auf Dauer nicht funktionieren.

Kurios ist: Das Publikum bleibt heute anonym, versteckt sich hinter Nicknames, während die journalistischen Akteure immer mehr Persönliches preisgeben. Damit handeln sie sich wohl eher emotionale Reaktionen in den Sozialen Medien ein, die zum Teil verletzend sind. Und Social Media - insbesondere Facebook und Twitter - als enge Partner zu gewinnen, führt eher dazu, dass man von ihnen gefressen wird und der eigenen Marke schadet.