Medien in der Filterblase: "Das ist nicht nur eine Gefahr, sondern eine Tatsache"

Seite 2: "Journalisten haben vor allem Journalisten als Freunde und braten im eigenen Saft"

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Gehen wir doch einmal näher auf den Punkt der sozialen Zusammensetzung ein. Stimmen Sie der Aussage zu: Wir haben es mit einem sozial geschlossenen journalistischen Feld zu tun?

Siegfried Weischenberg: Das ist sicher so, aber ich füge gleich hinzu, dass sich diese Zusammensetzung quasi zwangsläufig daraus ergibt, dass es sich beim Journalismus (aus guten Gründen) um einen qualifizierten Beruf handelt, der bestimmte Bildungs- und Kompetenzanforderungen voraussetzt oder zumindest voraussetzen sollte.

Bei unseren Studien zum "Journalismus in Deutschland" haben wir - und das überraschte nur wenig - bestätigt bekommen, dass sich Journalistinnen und Journalisten vorwiegend aus der Mittelschicht rekrutieren. Das ist genauso bei vergleichbaren anderen Berufen - und das ist, soweit ich weiß, auch im Journalismus anderer Länder nicht anders; dies gilt insbesondere auch für die USA. Hier stellen sich Probleme der Repräsentanz und Chancengleichheit, die weit über den Journalismus hinausweisen.

Wir wollten eigentlich über Ihr neues Buch sprechen, aber mir erscheint es sinnvoll, auf Ihre sehr grundlegende Studie "Die Souffleure der Mediengesellschaft: Report über die Journalisten in Deutschland" aus dem Jahr 2006 einzugehen, da die Probleme, die Sie damals bereits sichtbar gemacht haben, auch heute noch vorhanden sind. Sagen Sie bitte unseren Lesern kurz: Was haben Sie damals herausgefunden?

Siegfried Weischenberg: Zu den zentralen Befunden der von Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Studie, die ich zusammen mit Maja Malik und Armin Scholl durchgeführt habe, gehörte neben der Mittelschicht-Rekrutierung die erneute Bestätigung einer - laut Angaben der Befragten - generell eher linksliberalen politischen Orientierung der Journalisten und eines höheren Frauenanteils gegenüber den Verhältnissen in den 1990er Jahren (allerdings weitgehend ohne Einfluss auf die Hierarchie-Situation in den Medien); die eingeforderte "Objektive Berichterstattung" wurde von den Journalistinnen und Journalisten durchweg als primäres Ziel ihrer Arbeit bezeichnet.

Frappierend waren insbesondere die Befunde zur Selbstreferenz der Medien und ihrer Journalisten: Medien beobachten Medien und beziehen sich auf Medien; Journalisten haben vor allem Journalisten als Freunde, braten im eigenen Saft. Heute würde man in diesem Zusammenhang die Begriffe "Filterblasen" und "Echokammern" verwenden. Man könnte das als "natürlichen Algorithmus" bezeichnen. Und hier scheinen mir die einflussreichen "Alphajournalisten" besonders gefährdet zu sein.

Nun sind einige Jahre vergangen. Auch wenn es keine aktuellen Daten gibt, was meinen Sie, wie dürfte die Situation heute sein?

Siegfried Weischenberg: Schon kurz nach dem Vorliegen unserer Daten (leider konnte die Studie bisher nicht mehr repliziert werden) bot - bei der Bundestagswahl 2005 - die Journalisten-Elite weitere Belege für Kumpanei, als sie, wie abgesprochen, auf neoliberalen Pfaden unterwegs war. Sie seien "aus der Rolle gefallen", warfen ihnen danach sogar Berufsvertreter wie der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo vor.

Seither sind wir alle - und insbesondere auch die Journalisten - immer mehr von den Sozialen Medien erfasst worden. Inzwischen befreunden sich immer mehr Journalisten, so hört man, bei Facebook mit wichtigen Menschen, und sie tun das natürlich auch untereinander. Man muss deshalb vermuten, dass sich die Kollegenorientierung allein aufgrund der technischen Möglichkeiten weiter verstärkt hat.