Meinungskampf in Berlin

Georg Gafron führt seinen eigenen Lagerwahlkampf

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Berlin ist wieder Frontstadt. Auf der einen Seite stehen Kommunisten und 68er, auf der anderen die CDU, der ehrlich arbeitende Mann, Amerika - und Georg Gafron. In einem kuriosen Rechtsstreit will der 46jährige "Medien-Napoleon" von Berlin seine eigene Wahlbotschaften bei anderen Medien platzieren.

Laut Spiegel ist Gafron, 46, der "mächtigste Medienmann" in Berlin, aber auch ein "Medien-Krawallo". Er ist Chefredakteur des Berliner Boulevardblattes B.Z., das zum Springer-Verlag gehört. Außerdem ist er Geschäftsführer des Berliner Radiosenders Hundert,6 und des Fernsehsenders TV Berlin, die beide der Familie Kirch gehören. In seiner Person ist sozusagen die Partnerschaft der beiden Medienkonzerne Springer und Kirch besiegelt. Und diese Partnerschaft baut er laufend aus. So hat die B.Z. kürzlich eine eigene Fernsehsendung bekommen - natürlich bei TV Berlin.

Als verantwortungsvoller Mensch und getreuer Angestellter sieht Gafron die kommunistische Gefahr über die deutsche Hauptstadt kommen. Gleichsam den späten Sieg des Unrechtsstaates DDR über die Bundesrepublik sieht er in einem möglichen Wahlerfolg der PDS. Damit das auch endlich die anderen Berliner bemerken, hat Gafron eine Werbekampagne der besonderen Art ersonnen. Mit vier Anzeigenmotiven und markigen Sprüchen malt er die PDS in rötesten Farben, als ob es eine Wende gar nicht gegeben hätte. Darunter jeweils das Logo des Radiosenders Hundert,6. Die Anzeigen sollten nicht nur in Publikationen des Springer-Verlages erscheinen. Gafron schaltete auch in anderen Zeitungen, so auch in der Berliner Zeitung und dem Berliner Kurier, die zum Berliner Verlag gehören. Zwei Anzeigenmotive wurden hier abgedruckt, die dritte nicht mehr.

Darauf prangt das DDR-Emblem mit Hammer und Sichel. Dazu der Text: "Berlin darf nicht vergessen! 40 Jahre DDR. 960 Flucht-Tote, 250000 politische Gefangene, 33755 an den Westen verkaufte Häftlinge, 8500 verrottete, umweltverseuchte VEB-Betriebe. Keine Macht den Tätern! Hundert,6 - Das Berlin Radio." Die CDU hätte es nicht besser ausdrücken können. Der Lagerwahlkampf wird offenbar nicht nur von eingeschriebenen Parteien geführt.

Die Anzeige sei zu polarisierend, fand der Geschäftsführer des Berliner Verlages Torsten-Jörn Klein (nicht mit dem Autor identisch oder verwandt) und lehnte den Abdruck ab. Ein Großteil der Leser der beiden Zeitungen kommt aus dem Osten. Da der Berliner Verlag zu Gruner + Jahr gehört, witterte Gafron eine Verschwörung und schoss scharf zurück. In der B.Z. ließ er sich selbst als Hundert,6-Geschäftsführer interviewen und drückte sein Befremden aus. Mit einer einstweiligen Verfügung wollte er die Zeitungen zum Abdruck der Zeitungen zwingen. Da ihm das nicht reichte, ließ er auf Hundert,6 einen Kommentar verlesen, den die Netzeitung dokumentierte.

"Zahlen und Fakten über 40 Jahre DDR-Diktatur" - den Lesern der "Berliner Zeitung" sind sie nicht zuzumuten. Das jedenfalls entschied die Geschäftsführung des zum Verlagshaus Gruner+Jahr gehörenden Berliner Verlages, in dem auch der "Kurier" erscheint. Der Druck einer entsprechenden Hundert,6-Anzeige wurde abgelehnt. Offizielle Begründung: "Grundsätzliche Erwägungen".

Gegenüber der Tageszeitung "Die Welt" ging der Geschäftsführer Torsten Klein noch einen Schritt weiter: Diese Anzeige würde die Stadt spalten. Unsere Meinung: Wenn die Wahrheit über die Täter, die schon wieder an die Macht streben, spaltet, muss es ein merkwürdiges Zusammenwachsen sein, das die Chefs der "Berliner Zeitung" da meinen. Oder trifft es etwa zu, dass man den Lesern nach dem Mund redet, um zu verkaufen? Auf Kosten der Wahrheit? Gott sei Dank gibt es aber nicht nur die "Berliner Zeitung" und den "Kurier" in Berlin, sondern auch noch andere Zeitungen - zum Beispiel die "B.Z.", "Morgenpost", "Welt" und "Tagesspiegel". Anzeigenzensur der "Berliner Zeitung" - Ihre Meinung ist gefragt. Rufen sie an."

Dazu erfuhren die Zuhörer auch gleich die Durchwahl von Geschäftsführer Klein, damit sie dem mal "die Meinung sagen" konnten. Eigentlich sollte sich so die gesammelte Berliner Empörung über Klein entleeren. Diese Strategie hat die Bild-Zeitung schon erprobt, als sie die Telefonnummer des missliebigen Titanic-Magazins bekannt gab. Doch diesmal ging der Plan schief. Wie aus dem Berliner Verlag zu erfahren war, gingen nur wenige Beschwerden ein - stattdessen solidarisierten sich viele Berliner per Telefon und Mail mit der Ablehnung der Anzeigen. Die Motive zieren in Berlin sowieso nicht wenige Plakatwände. Der Berliner Verlag kündigte alle gegenseitigen Werbeverträge mit dem Radiosender.

Auch juristisch war die Aktion ein Schuss ins Kontor. Das Berliner Landesgericht lehnte nicht nur Gafrons Einstweilige Verfügung ab, sondern verbot ihm auch die weitere Angriffe gegen den Berliner Verlag. Laut Süddeutscher Zeitung stellte das Gericht fest, dass es sich bei diesen Aktionen nicht um "Mittel des geistigen Meinungskampfes" handle, sondern vielmehr um ein Mittel "zur Förderung privater Wirtschaftsinteressen durch Herabsetzung" der Konkurrenz und "pauschale Stimmungsmache".

In der Süddeutschen Zeitung wird Gafron als "irre" tituliert, sein Feldzug für ein freies Berlin als Amoklauf. In seinen Augen will er nur sein verbrieftes Recht auf Meinungsfreiheit durchzusetzen. Koste es, was es wolle. So will er den Berliner Verlag auch weiterhin zwingen, seine Anzeige abzudrucken - er hat den Gerichtsweg beschritten.

Der Tagesspiegel streckt in seiner Freitagsausgabe die Waffen. "Liebe Leserin, lieber Leser, im Wahlkampf nimmt die Zahl der Anzeigen mit politischen Botschaften zu. Verlag und Redaktion legen Wert auf die Feststellung, dass sie sich mit den politischen Inhalte dieser Anzeigen nicht identifizieren und dafür keine Verantwortung übernehmen." Man wird alle Anzeigen abdrucken, wenn sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Das bringt Geld und spart Ärger.

Am Donnerstag war die erste Anhörung im Verfahren Hundert,6 gegen Berliner Verlag. Vom Radiosender gibt es keine Stellungnahme. Es sei zwar keine Entscheidung ergangen, aber schon an eine höhere Instanz weitergegeben worden. Wie zu erfahren war, hat dieser merkwürdige Rechtsweg eine ganz einfache Erklärung: Gafrons Anwälte haben die Klage bei dem falschen Gericht eingereicht. Es ist kaum zu vermuten, dass der Fall auf diese Art noch rechtzeitig verhandelt wird. Wahltag ist der 21. Oktober.