Merkel und Erdogan im Kampf gegen den Terrorismus

Seite 2: Wirtschaft: Wie wird Deutschland helfen?

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Bei diesem Thema könnte Merkel gegenüber Erdogan punkten: Eine Studie der Commerzbank bescheinigt der Türkei eine tiefe Rezession. Die Türkei werde für das internationale Kapital "immer unattraktiver". Sie brauche zunehmend Geld von außen, um ihre milliardenteuren Importe zu finanzieren. Die Studie riet der Türkei, den Leitzins zu erhöhen.

Erdogan lehnt dies aber ab. Dies wird als kapitaler Fehler gewertet, denn dadurch werde die Kapitalflucht zunehmen und die Lira wird noch stärker an Wert verlieren. Die Türkei hat ca. 200 Milliarden Dollar Auslandschulden. In etwa gleicher Höhe stehen türkische Firmen gegenüber dem Ausland in der Kreide. Da darf die Frage gestellt werden, womit der Staat seine Kredite deckt?

Die Devisenreserven liegen derzeit bei etwa 95 Milliarden Dollar. Generell wird in der Türkei auf Pump gebaut, gekauft und gelebt. Fast jeder türkische Staatsbürger besitzt ca. 20 Kreditkarten, mit denen er den Alltag finanziert - auf Pump. Ein Festhalten am Flüchtlingsdeal würde der Türkei einige Milliarden Euro in die Kassen spülen. Aber bitte nicht in Türkischer Lira.

Die öffentliche Verbrennung von Dollars und Euros und die Aufforderung, die Türken sollten ihre Dollars und Euros in TL umtauschen, trägt auch nicht unbedingt dazu bei, ausländische Investoren zu gewinnen: Da wäre noch das Thema Incirlik. Ankara drohte Anfang Januar, den Luftwaffenstützpunkt zu schließen.

Die Drohung war zwar gegen die USA gerichtet, würde die Bundesrepublik aber ebenso treffen. Merkel könnte Erdogan damit ködern, dass die Bundesregierung doch einige Milliönchen bereitgestellt hat für den Ausbau des Stützpunktes. Und das, obwohl es deutschen Parlamentariern nach wie vor verwehrt ist, die dort stationierten Bundeswehrsoldaten zu besuchen. Die rund 58 Millionen Euro deutsche Steuergelder für den Ausbau bekommen türkische Firmen, denn nur sie dürfen dort arbeiten.

Der Erdogan Clan und die Korruption

Ganz bestimmt wird das mafiöse Begünstigungssystem des Erdogan Clans nicht zur Sprache kommen. Die Türkei bietet mittlerweile Ausländern an, die türkische Staatsbürgerschaft kaufen zu können, wenn sie große Summen in die türkische Wirtschaft investieren.

Inzwischen berichtet auch Die Welt, wie sehr unter Erdogan die Korruption zunimmt. Auch die bereitgestellten EU-Milliarden für die Flüchtlingscamps in der Türkei werden mit Sicherheit nicht den Flüchtlingen in der Türkei zu Gute kommen. Sie werden im Netzwerk des Erdogan-Clans versickern.

Der Kampf gegen den Terrorismus

Dies wird ein schwieriges Thema für Merkel. Denn zuerst müsste geklärt werden, wer nun eigentlich Terrorist ist, den man bekämpfen sollte. Ist die NATO eine Terrororganisation, wie dies kürzlich ein AKP-Abgeordneter sagte? Pikant. Dann wäre die Türkei selbst Mitglied einer Terrororganisation. Die regierungsnahe Zeitung Milat brachte diese Äußerung gar auf ihrer Titelseite.

Merkel will mit Erdogan auch über die Gülen-Bewegung und die PKK sprechen - im Kontext "Terrorismusbekämpfung"! Wo bleibt da der IS? Was nicht geht, was Erdogan aber macht und Merkel abnickt ist, alle regimekritischen Menschen in der Türkei in einen Topf mit der Terrororganisation IS zu werfen. Was ist mit den Journalisten? Sind regimekritische Journalisten entweder Gülen- oder PKK-Terroristen?

Der Anklage nach könnte dies so verstanden werden. Dann haben wir aber viele demokratische Exil-Terroristen mit Federkiel in Deutschland. Die dürfen aus dem Exil auch noch schreiben und Exil-Medien gründen. Nach einem Bericht des Stockholmer Friedenszentrum (SCF) sind derzeit 191 Journalisten in türkischen Gefängnissen, gegen 92 weitere liegt ein Haftbefehl vor und insgesamt 839 stehen mit Strafanzeigen vor Gericht.

Die Namen der 191 Inhaftierten sind in einer Liste vom SCF veröffentlicht worden. Die 92 gesuchten Journalisten seien entweder im Exil oder untergetaucht. Auch dieses Thema dürfte Merkel in ihrem Rendezvous unter den Teppich kehren und stattdessen ein Versöhnungsgeschenk präsentieren: Am 24. Januar 2017 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den kurdischen Politiker Ahmet Celik zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.

Begründet wurde diese Verurteilung mit der Mitgliedschaft in der "Arbeiterpartei Kurdistans-PKK". Zurzeit laufen mehrere Verfahren gegen türkische Kommunisten, kurdische Aktivisten und Politiker in verschiedenen deutschen Städten. Es gab schon mehrere Verurteilungen zu mehreren Jahren Haftstrafe. Allen Prozessen gemein ist, dass sie die derzeitige Situation in der Türkei nicht berücksichtigen, sondern sich auf die Zeit vor 2013 berufen.

Die Anwälte der Angeklagten versuchen zwar über Augenzeugen und Expertenberichte die Richter und Staatsanwälte davon zu überzeugen, dass vor allem die Eingruppierung der PKK als Terrororganisation hinterfragt werden muss, aber deutsche Mühlen mahlen langsam. Ja, Angela Merkel kann Erdogan versichern, dass Deutschland im Kampf gegen den Terror auf der Seite der Türkei steht!

AKP = Terror-Organisation?

Ein absolutes Tabuthema! Niemals würde Merkel Erdogan darauf aufmerksam machen, dass seine Begründung für die vielen Menschenrechtsverletzungen, der Putsch sei das Werk von seinem Ex-Freund Gülen, möglicherweise auf falschen Behauptungen von ihm selbst beruht. Wie ein Geheimdienstbericht aus Belgien nun aufdeckt, soll der Putschversuch vom 15. Juli kein Gülen-Putsch, sondern ein Putschversuch von Militärs, die den Kemalisten, der Erdogan-Regierung und kritischen Geistern aus der AKP angehörten, gewesen sein.

Damit wollten sie der in Militärkreisen bekannt gewordenen geplanten "Säuberungswelle" Erdogans zuvorkommen. Denn die Listen der Menschen, die praktisch Stunden nach dem Putschversuch verhaftet wurden, lagen wohl schon länger in Erdogans Schubladen. Alles deutet darauf hin, dass sich Erdogan schon vor dem Putsch seiner Kritiker entledigen wollte.

Das Thema Menschenrechtsverletzungen anzusprechen, verbittet sich ebenfalls. Den Krieg der AKP gegen die Kurden im Südosten gibt es in Angela Merkels Wahrnehmung nicht. Psychologen würden von selektiver Wahrnehmung als Selbstschutz sprechen. Denn sonst hätte sie ein weiteres Problem mit ihrer angekratzten Glaubwürdigkeit. Von daher wird auch der Bericht des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kein Thema sein.

Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Der neu gekürte EU-Präsident, Guido Raimondi, stellte vor ein paar Tagen auf einer Pressekonferenz die Bilanz der eingegangenen Klagen des vorangegangenen Jahres aus der Türkei vor. Daraus geht hervor, dass seit dem Putschversuch in der Türkei vom 15. Juli 2016 allein 8.308 neue Klagen zur Türkei eingegangen sind. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Steigerung um 300%.

2016 wurden insgesamt "nur" 2. 212 eingereichte Klagen gegen die Türkei akzeptiert, in 88 Fällen wurde die Türkei verurteilt. Insgesamt liegen dem EGMR 12.575 anerkannte Klagen gegen die Türkei vor. Zum Vergleich: Insgesamt gibt es derzeit 80.000 Klagen zu Menschrechtsverletzungen in den 47 Mitgliedsländern zusammen.

Mit einem Anteil von 15% an der Gesamtmenge der eingereichten Klagen ist die Türkei, nach der Ukraine, das Land mit den meisten anhängigen Anklagen. EU-Präsident Guido Raimondi nahm in dem Bericht auch Stellung zur Haftsituation Abdullah Öcalans, dem seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft sitzenden Vorsitzenden der PKK.

Dass dem Inhaftierten seit 5 Jahren eine Konsultation seiner Anwälte vorenthalten wird und dass er keinen Schriftverkehr haben darf, sieht er als Verstoß gegen den Artikel 34 der europäischen Menschenrechtskonvention. Die Türkei ignoriert jedoch die Verurteilungen und hat bis heute keine der Auflagen zu den Verurteilungen erfüllt.