Mietpreise im Wahlkampf

An vielen Orten muss immer mehr Geld für Mieten aufgewendet werden. Was kann dagegen unternommen werden? - drei Monate vor der Bundestagswahl spitzen sich die parteipolitischen Auseinandersetzungen zu

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"Für manche ist das Leben ein Bette, worin sie immer nur gekrümmt liegen können", notierte der Dichter Jean Paul, der vor 250 Jahren in Wunsiedel das Licht der Welt erblickte. Heute scheint ausgerechnet die Geburtsstadt des extravaganten Poeten gute Rahmenbedingungen für ein ungekrümmtes Leben zu bieten.

Nach einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung rangiert Wunsiedel im Fichtelgebirge in der Mietpreistabelle des Jahres 2012 ganz unten. Pro Quadratmeter werden im Durchschnitt 3,77 Euro verlangt. Davon können die Mieter in der bayerischen Landeshauptstadt nur träumen. Der Durchschnittspreis in München beträgt 12,53 Euro je Quadratmeter.

Das Problem

Das Bundesinstitut liest aus der Analyse der Situation in Großstädten vor allem eine Ausweitung des hochpreisigen Mietsegments ab. München taugt dabei nach wie vor als Paradebeispiel. Im vergangenen Jahr wurde in 80 Prozent aller Wohnungsangebote eine Nettokaltmiete von mindestens 11 € je Quadratmeter gefordert. 2008 lag dieser Anteil noch bei 50 Prozent.

Auch in Frankfurt am Main oder Hamburg machen Angebote ab 11 Euro pro Quadratmeter bis zu 50 Prozent der Inserate aus, der Wohnungsmarkt ist aber insgesamt differenzierter. In beiden Städten würden daneben "noch zahlreiche Wohnungen zwischen 6 und 8 Euro" angeboten, bilanzieren die Autoren. Hinter der Ausweitung des Hochpreissegments vermuten sie "vor allem qualitative Verbesserungen des Angebots durch Modernisierung und mehr angebotene Neubauwohnungen".

Dass hier auch soziale Verschieben zum Tragen kommen, zeigen Untersuchungen aus Nordrhein-Westfalen, wo immer mehr Menschen einen immer größeren Teil ihres verfügbaren Haushaltseinkommens für die Bezahlung ihrer Wohnungen aufwenden müssen.

Dabei spielen natürlich nicht nur die Mietpreise, sondern beispielsweise auch Energiekosten eine wichtige Rolle. Trotzdem: im Jahr 2012 betrug dieser Posten in jedem sechsten Haushalt mehr als 40 Prozent. Weitere Zahlen aus dem Bundesinstitut: in Berlin, Freiburg im Breisgau, Passau oder Jena wurden 2012 Steigerungen der Angebotsmieten von über 7 Prozent registriert.

Arbeit für den Gesetzgeber

Explodierende Mietpreise, knapper Wohnraum, zu wenig Neubauten; dazu die Vielzahl politischer Aspekte, also etwa die Frage, ob durch eine gezielte Gentrifizierung soziale Entwicklungen im Stadtbild zementiert werden sollen - dass der Bereich Mieten und Wohnungen einen erweiterten Spitzenplatz im überschaubaren Kreis der Wahlkampfthemen einnehmen würde, war absehbar.

Eben deshalb versuchte sich die Bundesregierung mit dem lange diskutierten und zum 1. Mai in Kraft getretenen Mietrechtsänderungsgesetz in eine günstige Ausgangsposition zu bringen. Der Opposition reichten die Regelungen allerdings nicht aus.

Die SPD versuchte noch im Juni vergeblich die enge Begrenzung von Mieten bei der Wiedervermietung von Wohnungen im Bundestag durchzusetzen. Hamburg plant ab Herbst eigenständige Regelungen und die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen beschäftigt den Bundesrat mit einem Gesetzentwurf, der eine Vielzahl von Regelungen enthält, die vornehmlich die Interessenlage der Mieter berücksichtigen.

Um den Mietanstieg bei Bestandsmietverträgen einzudämmen, wird zum einen die Kappungsgrenze bei der Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete bundesweit von 20 Prozent auf 15 Prozent herabgesetzt und der Erhöhungszeitraum von drei auf vier Jahre verlängert. (…)

Zum anderen soll der Vermieter, wenn er Modernisierungsmaßnahmen durchführt, zukünftig die jährliche Miete nur noch um 9 Prozent der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöhen können.

Es wird eine Mietpreisobergrenze bei Wiedervermietungen geschaffen. Vermietet der Vermieter die Wohnung erneut, so soll die Wiedervermietungsmiete zukünftig grundsätzlich nicht mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.

Landesregierung NRW: Entwurf eines Gesetzes über die Eindämmung rasant steigender Mieten (Zweites Mietrechtsänderungsgesetz-2. MietRÄndG)

Die nächste Sitzung des Bundesrats-Ausschusses für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung findet am 5. September 2013 statt - gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Am 5. Juli und 20. September gibt es allerdings auch noch Plenarsitzungen.

Wer hat´s erfunden? - Plagiatsvorwürfe der Plagiatoren

Die SPD schob die Mietpreisbremse im Januar 2013 auf die Agenda - möglicherweise nachdem Peer Steinbrück nahegelegt worden war, das Ganze als Teil der sozialen Frage zu betrachten und so sein trübes Image ein wenig aufzupolieren. Seitdem winken die Genossen im Falle eines Wahlsiegs nicht nur mit der Mietpreisbremse (bei Neuvermietungen nicht mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete, bei Bestandsmieten maximal 15 Prozent in vier Jahren), sondern auch mit einem Fünf-Milliarden-Programm zur sozialen Stadtentwicklung.

Die Bundeskanzlerin sah schnell ein, dass sie mit dem Mietrechtsänderungsgesetz allein nicht mehr würde punkten können. Die in der eigenen Partei zunächst nicht vermittelbare Mietpreisbremse sei zwar eine Idee der Konkurrenz, aber irgendwie auch von CDU-Bürgermeistern entwickelt worden, überlegte Merkel. Seit dem vergangenen Wochenende gehört sie nun offiziell zu den üppigen Wahlversprechen der Union. Eine bundesweite Regelung soll es nicht geben, wohl aber regionale Vereinbarungen in der Verantwortung der Länder. Wie diese genau aussehen soll, ließ Angela Merkel im bewährten Dunkel.

Peer Steinbrück blieb trotzdem nur die müde Replik, dass die SPD auf diesem Feld insgesamt mehr zu bieten und die Kanzlerin "keine Probleme mit dem Urheberrecht hat". Florian Pronold - von einer Satiresendung kürzlich zum "Phippsi Rösler für Arme" gekürt, im wahren Leben aber Schattenminister für Bauen und Verkehr - legte noch eine Schippe drauf und sprach von "Volksverdummung".

Tatsächlich bedienten sich die Sozialdemokraten selbst im Themenreservoir des möglichen Koalitionspartners. Bündnis 90/Die Grünen forderte schon im Januar 2011 eine Deckelung der Mieten nebst sozialer Wohnraumförderung. Für eventuelle Nachfragen hat Urgestein Hans-Christian Ströbele nicht nur den Diskussionsprozess seiner Parteifreunde, sondern auch Fälle dokumentiert, in denen die SPD im Bundesrat und im Berliner Abgeordnetenhaus gegen Mietsrechtsverbesserungen votierte.

Heidrun Bluhm, bau- und wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, ist ohnehin der Ansicht, dass die SPD die Wohnungspolitik "nicht wirklich erfunden" hat. Die Vorschläge ihrer eigenen Partei, mit denen unter anderem Mietsteigerungen ohne Wohnwertverbesserungen grundsätzlich ausgeschlossen werden sollen, seien umfassender - und natürlich auch älter.

Wir haben mit unserem Antrag, das Wohnen als Grundrecht in den Menschenrechtskatalog des Grundgesetzes aufzunehmen - gleich zu Beginn der Legislaturperiode - , mit unserer Forderung, barrierefreies Wohnen in die Novelle zum Baugesetzbuch verpflichtend aufzunehmen, mit unseren wiederkehrenden Anträgen zur Aufstockung, Verstetigung und sozial-ökologischen Umgestaltung der Städtebauförderung und mit unseren Anträgen und Aktionen gegen das von der Bundesregierung durchgepeitschte Mietrechtsänderungsgesetz Neues vorgeschlagen.

Heidrun Bluhm

Allein die FDP erhebt keine Urheberrechtsansprüche auf das leidige Streitthema. "Immobilienpreise können in einer Marktwirtschaft nicht gedeckelt werden - für Neuvermietungen muss dasselbe gelten", meint die Bundestags-Fraktionssprecherin für Stadtentwicklung, Petra Müller. Außerdem müsse "die Freiheit der Marktteilnehmer auch weiterhin gewährleistet bleiben". Parteichef Rösler legte Anfang der Woche nach. Eine Deckelung der Mieten sei schlicht "das falsche Signal".

Die andere Seite der Medaille

Peter Ramsauer, der zuständige Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, will ziemlich genau wissen, wie man das Problem steigender Mieten in den Griff bekommen kann:

Wir müssen den Wohnungsbau beschleunigen. Da hilft: Bauen, bauen, bauen. Alles, was diesem Ziel dient, muss gemacht werden. Alles, was dem Ziel entgegensteht, hat zu unterbleiben.

Peter Ramsauer, 14.6.2013

Die Erkenntnisse des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung deuten allerdings darauf hin, dass mit flächendeckenden Rezepten wenig zu gewinnen und die viel diskutierte Mietpreisbremse möglicherweise Teil einer "medialen Überhöhung" und undifferenzierten Betrachtung ist.

Den Städten und Regionen mit überdurchschnittlichen Mietsteigerungen stehen nämlich solche mit stagnierenden oder rückläufigen Tendenzen gegenüber. In Sachsen und Sachsen-Anhalt beträgt der Anteil der Wohnungsleerstände annähernd zehn Prozent. Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland liegen deutlich über 5 Prozent.

Auch der Verkauf von Immobilien ist hier deutlich erschwert. So können Käufer gänzlich ausbleiben oder die für die Altersvorsorge erwarteten Erlöse aus dem Verkauf nicht erzielt werden. Neben den individuellen Nachteilen wirken leerstehende Wohnungen und erst recht leerstehende Gebäude negativ auf das Wohnumfeld und das Ortsbild. (...) Hier stehen somit die Eigentümer ebenso wie die Städte und Gemeinden bei knappen finanziellen Ressourcen vor ganz anderen Herausforderungen als die "teuren" Städte mit Wohnungsengpässen.

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung