Migranten aus Libyen: Die Abschreckung soll es richten

Seite 2: Die Schmutzarbeit für die Europäer machen

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Das ist in einem größeren Bild von Bedeutung, zu dem einmal die Ausbildung der libyschen Küstenwache in Zusammenarbeit mit EUNAVFOR MED gehört, die Wünsche der Libyer nach mehr Bewaffnung und das Fehlen der Kontrollen zur Einhaltung von internationalen völker- und seenotrechtlichen Standards.

Zum anderen gehört zu dem größeren Bild, dass davon auszugehen ist, dass Mitglieder der Küstenwache in enger Beziehung zu den Milizen in Tripolis stehen. Die für Libyen typische Verknüpfung offizieller Stellen mit Milizen kann, wie militärische Aktionen der Einheitsregierung in diesem Jahr (ebenfalls mit Rückendeckung Italiens) demonstrierten, bis ins Lager der islamistischen Milizen hinein führen (vgl. dazu "Extremes europäisches Interesse an einer Lösung).

Man könnte die politische Entwicklung hinter dem Verhaltenskodex derart skizzieren: Die libysche Küstenwache soll die Schmutzarbeit für die Europäer machen und dies durchaus mit robusten militärischen Mitteln. Die Überschrift dazu ist, dass es sich um einen "Krieg" gegen die Schleuser handelt. Auf dem Meer ist dies wohl nicht immer so eindeutig. Aus Sicht der Flüchtlinge/Migranten kann das den Anschein annehmen, dass auch Krieg gegen sie geführt wird.

Forderungen und "Märchen"

Flüchtlinge können zukünftig nur in wirklichen Notfällen an Schiffe der italienischen Küstenwache oder internationaler Missionen übergeben werden. Die Retter müssten die nächsten Häfen selbst anlaufen.

Ausschnitt aus dem Verhaltenskodex, Die Welt

Für die viele NGO-Schiffe dürfte dies nicht durchführbar sein. Sie sind zu klein, um viele Flüchtlinge oder Migranten aufzunehmen. Sie brauchen die größeren Schiffe.

Kontakte zwischen Rettern und Schleusern sind verboten: weder Telefonate noch Lichtsignale, die das Einschiffen der Flüchtlingsboote an libyschen Küsten noch motivieren, dürfe es geben.

Ausschnitt aus dem Verhaltenskodex, Die Welt

Nach Aussagen von NGOs sind, wie es auch in ihrem Verhaltenskodex nachzulesen ist, Kontakte zu Schleusern ohnehin verboten. Die Telefonate werden mit der zuständigen Seenotrettungsleitstelle in Rom, dem MRCC, geführt. Das sei die Notrufnummer. Rettungen erfolgen über das MRCC oder durch Zufallsfunde, worüber dem MRCC umgehend Bescheid gegeben werde. Die Vorwürfe der Absprachen seien Märchen, ist aus den Kreisen der NGOs zu hören. Ihre Satelliten-Telefonnummern seien nur untereinander bekannt. Bei jeder Rettungsaktion sei das MRCC involviert.

Die Lichtsignale seien auf hoher See aus Überlebensgründen notwendig, anderseits aber viel zu schwach, um weit zu strahlen und wegen der Erdkrümmung an der Küste nicht zu sehen.

Die Rettungen sind nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen eine Verpflichtung. Der Verstoß dagegen eine Straftat. Aus den Regelungen sowie aus europäischer Rechtssprechung folgt, dass die NGOs die Geretteten in ein "sicheres Land" bringen müssen. Tunesien würde als solches gelten, Ägypten, Algerien oder Marokko, Libyen nicht, wegen der unzumutbaren Bedingungen in den Haftanstalten für irreguläre Migranten/Flüchtlinge.

Ausweichmöglichkeiten

Tunesien, Ägypten und die anderen genannten nordafrilanischen Staaten weigern sich aber, die Flüchtlinge aufzunehmen. Der deutsche Außenminister Gabriel war jüngst in Libyen, um mit Geldversprechen dafür zu sorgen, dass die Bedingungen in den "Detention-Centers" besser werden und menschengerechte Standards bekommen. Dies ist auch ein Ansatzpunkt im genannten Sechs-Punkte-Plan, der den EU-Innenministern vorgelegt wird.

Der darin nicht ausdrücklich genannte Planungspunkt heißt "Abschreckung". Er steht mit dem geforderten Verhaltenskodex der NGOs in engster Verbindung. Spekuliert wird darauf, dass die Gängelung der NGOs, am besten deren Vertreibung, dazu führt, dass eine Art militärischer Abschirmung mit robustem Vorgehen, die mehr Tote zur Folge hat, dafür sorgt, dass der Fluchtweg von Libyen nach Italien "weniger attraktiv" oder unmöglich wird.

Spekulativ ist allerdings auch möglich, dass sich das bestens organisierte "Fließband" des Handels mit Migranten eine andere Route nach Europa ausdenkt, die aber ebenfalls gefährlich ist, zum Beispiel über den Atlantik.