Milch: Rationales Marktverhalten?

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Laut Foodwatch handeln Verbraucher vernünftig, wenn sie zur billigen Milch greifen. Flassbeck fordert einen Mindestpreis

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Die Milchpreise sind zu niedrig, um die Kosten der Landwirte zu decken, Grund ist das Überangebot. Die Lage auf dem Milchmarkt sei katastrophal, berichtete die taz vor einer Woche. Die Milchmenge sei im vergangenen Wirtschaftsjahr europaweit um 3,8 Prozent oder 6,1 Millionen Tonnen gestiegen, was der gesamten Erzeugung Niedersachsens entspreche.

Die Reaktion der Milchbauern sei "kein rationales Marktverhalten", führt ein Tagesschau-Bericht dem Leser anhand der Aussage einer Landwirtin vor Augen, die erklärt, dass sie, um die Festkosten auf mehr Milch zu verteilen, versucht, jeden Tag mehr zu produzieren:

Alle anderen Bauern machen das, weil sie auch ihre Familie überleben lassen wollen. Und was ist das Ende? Die Menge wird immer mehr und mehr und wir kommen immer tiefer ins Preistief rein.

Als kostendeckend für konventionelle Betriebe werden Literpreise zwischen 35 und 45 Cent genannt. In der vergangenen Woche fiel eine Marke: Molkereien zahlen nun erstmals Preise unter 20 Cent. Im Supermarkt kostet der Liter Milch der günstigsten Eigenmarken bei fast allen Handelsketten 0,46 Euro, das teuerste Markenprodukt lag bei 1,29 Euro, berichtet Foodwatch.

Höhere Preise, die nicht beim Bauern ankommen

Dazu steuert die Verbraucherorganisation eine interessante Beobachtung ihres "Milchpreis-Marktchecks" bei: Kaufen Verbraucher die teuerere Milch, so kommt dies "praktisch nicht" beim Landwirt an. Allerdings trifft dies nur für bestimmte Marken zu und nicht für Bio-Milch, wie in dem Check auch zu erfahren ist.

Durchgeführt wurde er, um Bundesagrarminister Christian Schmidt zu widerlegen. Der CSU-Politiker hatte erklärt, dass Verbraucher auch etwas gegen die Nöte der Bauern ausrichten könnten, wenn sie nicht immer zur billigsten Milch greifen. Dem stellt Foodwatch das Beispiel mit der teuren Bärenmarke-Milch gegenüber:

Ein Liter ja!-ESL-Vollmilch kostet beispielsweise aktuell bei Rewe 46 Cent, für das gleiche Produkt von "Bärenmarke" werden 1,15 Euro verlangt - das ist das 2,5-Fache. In beiden Fällen erhielten die Landwirte von den Molkereien nur rund 26 Cent (Auszahlungspreise im April).

Den Verbrauchern werde nicht genug deutlich gemacht, wieviel vom gezahlten Geld tatsächlich an die Bauern gehe, bei den teureren Marken würden sie vor allem für den Mehraufwand für Werbung bezahlen. Entsprechen sei der Griff zur billigeren Milchpackung "unter solchen Marktbedingungen" vernünftig, statuiert die Verbraucherorganisation.

Das stimmt allerdings nicht ganz. Auf manchen Milchpackungen ist markiert, dass der Hersteller für faire Milchpreise eintritt und er wirbt auch damit. Auch Foodwatch räumt ein, dass die Diskrepanz zwischen Verkaufspreis im Supermarkt und dem Auszahlungspreis für die Bauern bei Bio-Milch "weniger eklatant" ist: "Die Bio-Milchbauern erhielten in den letzten Monaten um 48 Cent pro Liter."

So gibt es beim Konsum Handlungsspielräume für den Verbraucher. Und in der Politik?

Landwirtschaftsminister Schmidt: Die Marktteilnehmer sollen es richten

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat für heute einen Milchgipfel einberufen. Im Vorfeld nahm er zu den beiden großen Fragen - Preis und Milchmenge - Stellung. Schmidt ist ein Gegner der Rückkehr zur Milchquote, die Ende März 2015 wegfiel, so fiel sein Statement für eine Drosselung der Produktion auch zurückhaltend aus. Die Marktteilnehmer sollen es richten.

Melkkarussel. Bild: Thomas Fries/CC BY-SA 3.0 DE

Weniger Milch für bessere Preise fordert Schmidt schön plakativ in der Passauer Neuen Presse. Er versprach Unterstützung bei den "gesetzlichen Rahmenbedingungen, die zum Beispiel Absprachen über die Produktionsmenge zulassen". Molkereien und Erzeugergemeinschaften sollten von diesen Instrumenten auch Gebrauch machen.

Was den Preis betrifft, so machte der Minister den Grundsatz geltend, dass es nicht Aufgabe des Staates sei, sich in die Preispolitik einzumischen. Strukturverbesserungen müssten die Marktbeteiligten schaffen. Um die Klagen der Bauern zu dämpfen, hatte er schon zuvor steuerliche Erleichterungen, Bürgschaften und Kredite für notleidende Milchbauern angekündigt. Die Hilfsprogramme sollen sich in Höhe von 100 Millionen Euro plus X bewegen.

Heiner Flassbeck: Mindestpreis ist das Mindeste

Der Ökonom Heiner Flassbeck hält den Ansatz für orthodox falsch. "Der Markt muss es in der Landwirtschaft richten, sagt auch jetzt noch die deutsche Orthodoxie", schreibt er in einem Beitrag für Makroskop. Nicht die Bauern müssten umdenken, sondern Politik und Ökonomen. Man könne in diesem Bereich eben nicht mit marktwirtschaftlichen Regeln arbeiten. Er plädiert für einen Mindestpreis, es sei das Mindeste, was die Landwirte von der Gesellschaft verlangen können.

Wer eine vernünftig strukturierte Agrarproduktion mit einer artgerechten Tierhaltung, hoher Produktqualität und einer gesunden Umwelt will, muss die Marktwirtschaft in diesem Bereich endgültig zu den Akten legen. Entweder man kehrt zu den alten Agrarmarktordnungen mit Milchseen und Butterbergen zurück, was weit weniger schlimm ist als Bauern, die an Bäumen hängen, oder man setzt auf eine weitgehende staatliche Ordnung, bei der die Bauern für die Landschaftspflege entschädigt werden und versprechen müssen, mit der Natur schonend umzugehen.

Allerdings müsste man bei festgelegten Milchpreisen auch bei der Produktion eingreifen, sonst würden die Großhersteller wieder einmal am meisten profitieren. Und wie würde die aufwendigere Produktion der Bio-Milchbauern damit zurechtkommen?