Militärhellseher im Kalten Krieg: Projekt "Star Gate"

Seite 2: John Mulholland und die CIA

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Bereits 1952 interessierte sich das US-Verteidigungsministerium für die okkulten Aktivitäten der Nazis, die mit Astrologen und Hellsehern experimentiert hatten. Wohl wegen Hanussens überzeugenden Hellsehdarbietungen hatten die Naziwissenschaftler nach fähigen Telepathen gesucht, über die man mit getauchten U-Booten kommunizieren wollte, was unter Wasser per Funk nicht möglich ist.

Der neue CIA-Chef Allen Dulles war Derartigem ebenfalls aufgeschlossen und wollte 1954 entsprechende Hellseher testen lassen. Hierzu beauftragte er den Zauberkünstler John Mulholland, den er bereits für die CIA unter Vertrag genommen hatte, um im Rahmen des berüchtigten Projekts MK Ultra Agenten unauffälliges Vergiften missliebiger Zeitgenossen beizubringen (freigegebene MK Ultra-Akten).

Trickspezialist Mulholland, der in Tradition zum Spiritismuskritiker Harry Houdini Hellseher u.ä. für Hokuspokus hielt, untersuchte widerwillig für die CIA Testpersonen und ungewöhnliche Vorfälle, konnte jedoch in keinem einzigen Fall ein positives Ergebnis vermelden. Dennoch entsandte Dulles offenbar bis in die 60er Jahre Agenten zu Séancen, um ggf. fähige Hellseher zu rekrutieren. Die CIA ging 1962 in einem Bericht davon aus, dass es zwar Psi-Phänomene gäbe, diese derzeit jedoch nicht beherrschbar seien.

SRI: New Age meets CIA

Den gesamten Kalten Krieg über verstanden es Militärs und Geheimdienste, durch Verweis auf angebliche Aktivitäten des "Empire of Evil" Genehmigung und Finanzierung von "Gegenmaßnahmen" zu erwirtschaften. Als man mit Gerüchten aufwarten konnte, denen zufolge die Sowjets jährlich 60 Millionen Rubel in die Forschung mit Hellsehern investierten, bewährte sich dieser Mechanismus aufs Neue. Eigene Hellseher hätte die CIA bestens brauchen können, denn hinter dem "eisernen Vorhang" war sie nahezu blind.

Andererseits wären russische Geheimdiensthellseher wohl auch eine willkommene Erklärung dafür gewesen, dass die Gegenseite über die US- und NATO-Geheimnisse umfassend im Bilde war (nämlich aufgrund von Verrätern in höchsten Positionen). Die CIA suchte Anfang der 70er Jahre geeignete Wissenschaftler und stieß dabei auf den Parapsychologen Harold "Hal" Puthoff, der praktischerweise ein ehemaliger Geheimdienstler der NSA (s.u.) gewesen war, dem für Abhören und Dechiffrieren zuständigen US-Geheimdienst.

Puthoff arbeitete als Laserspezialist am renommierten Stanford Research Institute International (SRI), Kalifornien. Mit verdeckter Finanzierung der CIA testete Puthoff mit dem Plasmaphysiker Russel Targ in den Labors allerhand Hellseher. Unter dem Codewort "Scanate" (scanning by coordinate) sollten Testpersonen anhand mitgeteilter geographischer Koordinaten erraten, was sich an entsprechender Stelle verbirgt.

Eine der (im wahrsten Sinne des Wortes) vielversprechendsten Testpersonen war der bekannte Hellseher Ingo Swann, der sich den Forschern auf deren Ausschreibung hin als Testperson anbot. Swann will über die Fähigkeit verfügt haben, in Kisten versteckte Gegenstände erraten zu können. Zudem will er bei einer "Out-of-body"-Reise Jupitermonde etc. gesehen haben, bevor diese von Sonden nachgewiesen wurden. Swann spielte eine Schlüsselrolle in der Scientology-Church. Bis heute hält sich hartnäckig das werbewirksame Gerücht, Scientologe Swann habe die CIA so beeindruckt, dass diese um ihre Geheimnisse gefürchtet und daher die "Scientology Church" unterwandert habe, um diese zu diskreditieren. Targ und Puthoff prägten für Swanns hellseherische Kräfte den pseudowissenschaftlichen Begriff "remote viewing" (fernes Sehen). Swann verlor nach acht Monaten zunächst das Interesse an der Zusammenarbeit, da er sich eher in der Rolle des Machers als des Versuchskaninchens sah.

Ein weiterer szenebekannter Kandidat war der Ex-Streifenpolizist Pat Price. CIA-Direktor Stansfield Turner persönlich rühmte die angeblich überzeugenden Ergebnisse nach Price überraschendem Tod später sogar öffentlich. Derartiges Lob ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, neigen doch Geheimdienstchefs ähnlich wie gewöhnliche Politiker dazu, ihre naturgemäß nur bedingt nachprüfbare Arbeit zu glorifizieren und Niederlagen zu bagatellisieren. Der 1996 freigegebene Geheimbericht des Militärphysikers Dr. Kenneth A. Kress von 1977 bewertete die Ergebnisse nüchterner.

Prominentester Proband der CIA-finanzierten SRI-Forschung war 1973 ein gewisser Uri Geller, dessen übersinnliche Kräfte Scientologe Puthoff bis heute für authentisch hält. 1975 stellte die CIA die Finanzierung ein. Die während des "MK Ultra"-Projekts begonnene Zusammenarbeit mit Hellsehern wurde 1976 im Zuge der Watergate-Affäre erstmals der Öffentlichkeit bekannt. Targs und Puthoffs esoterische Forschung mit Swann, Price und Geller hat Parapsychologiekritiker James Randi in seinem Klassiker "Flim-Flam!" (1982) ein eigenes Kapitel mit dem charmanten Titel The Laurel and Hardy of Psi gewidmet, wobei in Bezug auf das SRI die Rolle der CIA allerdings damals noch geheim geblieben war.

Als Sponsor für die parapsychologische Grundlagenforschung am SRI sprang die Air Force ein, die für Feindaufklärung per coordinate viewing zu haben war, und Puthoff, Targ und letztlich wieder Swann blieben beschäftigt.

Alarm bei der Army

Als Targ und Puthoff ihren reichlich unwissenschaftlichen Klassiker "Mind Research: Scientists Look at Psychic Abilities" (1977, dt.: "Jeder hat den 6. Sinn" (1977)) veröffentlichten, beunruhigte dies den Abwehrspezialisten Lieutenant Fred Holmes Atwater vom "Army's Missile Research and Development Command", der das Buch in einer Sitzung vorwurfsvoll auf den Tisch knallte.

Wenn es also "remote viewing" gab, wie sollte der bedauernswerte Atwater künftig nun die Militärgeheimnisse der USA schützen?!? Obwohl der Sicherheitsspezialist gerade zu der ehrenvollen Aufgabe abkommandiert worden war, für die Sicherheit des Pentagon zu sorgen, wurde er kurzfristig zurückgepfiffen: Für den weitsichtigen Soldaten hatte man eine wichtigere Verwendung.

Psychic Spies: Code "Center Lane"

Mit dem Lesen fremder Gedanken - wenn auch vorzugsweise mittels Elektrotechnik - befasste sich seit 1952 die von der CIA organisatorisch getrennte "National Security Agency" (NSA), der gigantische Abhör- und Dechiffrierungsgeheimdienst der USA (No Such Agency). Schon allein die Existenz der NSA, inzwischen der personell weitaus größte Geheimdienst der Welt, war jahrzehntelang ein Staatsgeheimnis gewesen. Der NSA insoweit untergeordnet war der oberste militärische Geheimdienst "US Army Intelligence and Security Command" (INSCOM), der für die NSA weltweit die Abhöranlagen betrieb.

INSCOM betraute 1977 Atwater mit der Koordination parapsychologischer Forschung in der damals geheimen NSA-Stadt "Crypto City" am Stützpunkt Fort Maede, Maryland. Zur Einschätzung des potentiellen Schadens durch russische Hellseher beschloss Atwater, ein halbes Dutzend eigene "remote viewers" trainieren zu lassen. Unter der Codebezeichnung "Center Lane" ließ er Targ und Puthoff in Fort Maede geeignete Militärs auswählen. Atwaters "Remote Viewing Unit" bemühte sich, meditativ alle aktuellen Krisenherde abzutasten, etwa die Botschaft in Teheran, sowjetische Aktivitäten auf Kuba und verdächtige Gebäude in Ostberlin. Die Ergebnisse hielten sich in Grenzen, und selbst die remote viewer räumten ein, dass ihre Arbeit zumindest keinen konkreten Nutzen stiftete.

Die Geheimdienstgemeinde spaltete sich in Spötter und Schwärmer. Bürokraten, die sich nicht für Esoterik erwärmen konnten oder gar aus konservativ-christlicher Überzeugung das Treiben der remote viewer für ein Werk des Teufels hielten, strichen immer wieder Mittel für entsprechende Forschungsprogramme, jedoch waren die Mitglieder der Einheit wegen tadelloser Karrieren unkündbar. Nachdem die Militärhellseher lange laviert hatten, fanden sie schließlich 1982 im INSCOM-Kommandanten Major General Stubblebine einen mächtigen Esoterik-Enthusiasten, der trickreich Kontrolle und Finanzierung der staatlichen Zauberer organisierte.

Stubblebine glaubte, wie Uri Geller psychokinetisch Löffel verbogen zu haben, die er zu verschiedenen Anlässen stolz präsentierte. (Auf entsprechenden Seminaren, die in den USA ähnlich wie etwa Kurse fürs "Feuerlaufen" angeboten werden, verbiegen die Teilnehmer Löffel mit ihren Händen, wobei sie glauben, dies gelänge nur aufgrund besonderer Kräfte.)

Obwohl inzwischen Randis "Flim-Flam!" erschienen war, der die Untersuchungsmethoden des SRI als Farce demaskierte, wurde die Zusammenarbeit mit dem SRI intensiviert. Hellseher Swann, der seine patriotische Gesinnung durch sein Buch "What Will Happen To You When The Sovjets Take Over" unter Beweis gestellt hatte, wurde Ausbilder der Gruppe. Swann predigte, jeder habe Fähigkeiten wie er, man müsse diese nur wecken und trainieren. Atwater besann sich seines klandestinen Arbeitgebers und sandte Undercover-Agenten in das private "Monroe Istitute" in den Rocky Mountains, das führend in "out-of-body-experience"-Forschung war.

Insbesondere Joe McMoneagle sollen erstaunliche Sichtungen gelungen sein: So erkannte er den damals hochgeheimen US-Abrams-Panzer, sagte ein riesiges russisches U-Boot voraus usw. Ob man McMoneagles Fähigkeiten bei INSCOM jemals mit wissenschaftlichen Methoden verifiziert hatte, darüber schweigen sich die Berichte jedoch aus.

Vizepräsident George Bush, der bereits während seiner Zeit als CIA-Direktor ein Dossier über die KGB-Hellseher in Auftrag gegeben hatte, wurde von der Existenz der coordinate remote viewer unterrichtet und soll sich interessiert gezeigt haben. Neue Mitglieder der Einheit wie den späteren Stargate-Chronisten Paul H. Smith plagten zwei Ängste: Welche Probleme er wohl bekäme, falls er kein Hellsehtalent habe - und mit welchen mitunter feindlichen Reaktionen er rechnen müsse, wenn seine Ergebnisse "zu gut" wären? Beide Sorgen waren jedoch unbegründet: Permanentes Versagen ist im Geheimdienst nichts ungewöhnliches, sondern der Normalfall. Und die Befürchtung, die Ergebnisse könnten zu positiv ausfallen, war dann doch etwas optimistisch.

Die Psi-Spione erhielten von vielen US-Geheimdiensten Aufträge, die sich Informationen in aktuellen Fällen erhofften. Aus Gründen der Geheimhaltungen erhielten sie jedoch kein Feedback, erfuhren also tragischerweise nie, ob sie mit ihren Einschätzungen richtig lagen.

Esoterische Lehrpläne

Starhellseher Swann unterrichtete die remote viewers am SRI mit pseudowissenschaftlichen science fiction-Ausdrücken und coolen Abkürzungen. Auf dem Lehrplan der Militärgeheimdienstler stand auch theosophisches und anthroposophisches Gedankengut. Swann lehrte die "akashic records", das himmlische Gedächtnis, das sich bereits Madame Blavatsky offenbart hatte. Dass Madame Blavatsky bei Täuschungsversuchen erwischt worden war, etwa bei der Verwendung von Handattrappen, um die Kontrolle ihrer Hände durch ihre Sitznachbarn während Dunkel-Séancen vorzugaukeln, erwähnte der Hellseher nicht. Auch indianisches Geheimwissen wurde den Geheimdienstlern vermittelt.

Nachdem der Guru Swann wieder nach New York übergesiedelt war, folgten ihm die Mitglieder der Hellsehereinheit. Diese verstanden sich so gut, dass sie ihre Freizeit gemeinsam verbrachten und gemeinsam vor allem Science Fiction-Filme ansahen. Von der Parapsychologiekomödie "Ghost Busters" waren die esoterischen Spione so begeistert, dass sie sich T-Shirts mit dem durchgestrichenen Geisteremblem kauften und voller Stolz trugen. Einige interessierten sich auch für UFOs, die Prophezeiungen des Nostradamus und Weltuntergangsszenarien. Viele Mitglieder waren ausgesprochen religiös. So gehörten dem Team mehrere Mormonen an sowie ein "wiedergeborener Christ", der an einem Buch über die heilige Jungfrau Maria arbeitete. Mit dem Widerspruch, eigentlich Teufelswerk zu beforschen, konnte man sich jedoch arrangieren.

Zu der Gruppe stieß der Psi-begabte Lyn Buchanan, der auf seinem Stützpunkt in Augsburg dafür verantwortlich gemacht worden war, mit seinen psychokinetischen Fähigkeiten eine Computeranlage außer Kraft gesetzt zu haben. Der Para-Spion war von Stubblebine persönlich rekrutiert worden, da er sich auch auf die Kunst des Handlesens verstand.

Duell der Magiere: General Noriegas Abwehrzauberer

Subblebine setzte seine Psi-Spione in Panama auf den EX-CIA-Partner General Manuel Noriega an, nachdem normale Agenten beim Versuch, Wanzen zu legen, ertappt worden waren. Doch Noriega war nicht beizukommen, vielleicht weil ihm sein Voodoo-Zauberer ein Amulett mit einem magischen Stein gegeben hatte, das allgemein vor Geheimagenten zu schützen versprach.

Stubblebine entsandte Hunderte von INSCOM-Militärs zu offiziell als Führungs-Seminare deklarierten Kursen in das obskure Monroe-Institut, die dort in der Kunst der Out-of-body-experiences unterrichtet wurden. Einer der INSCOM-Wahrsager begann eines Tages, eine Kollegin unter Drohgebärden als Doppelagentin zu beschuldigen und wurde daraufhin in die Psychiatrie eingeliefert. Als der Patient dort erzählte, er sei Teilnehmer eines Hellseh-Lehrgangs für Geheimagenten, wirkte sich das auf seine psychiatrische Diagnose nicht allzu positiv aus. Wie in jedem Großbetrieb funktioniert auch im Geheimdienst nichts so zuverlässig wie der "Flurfunk", sodass der Vorfall zu einer Legende wurde und den Kritikern des Spökenkieker-Programms in die Hände spielte.

Mitte der 80er Jahre bekam der legendäre Enthüllungsjournalist Jack Anderson, der schon Hoover und Nixon das Leben schwer gemacht hatte, Wind von der parapsychologischen Forschung des US-Militärs. Der Druck auf Stubblebine seitens kritischer Geister in NSA und Militärgremien nahm zu, sodass der verkannte General für seine esoterischen Programme keine realistische Chance mehr sah und 1984 seinen Ruhestand einreichte.

Zu den ersten Amtshandlungen seines Nachfolgers gehörte die Beendigung von "Center Lane". Doch die psychic spies hatten sich in der US-Geheimdienstgemeinde zahlreiche Freunde geschaffen. Mehrere Dienste inklusive der CIA boten an, die Einheit zu übernehmen. Die Defense Intelligence Agency (DIA), der Sammel- und Auswertungsdienst der US-Militärgeheimdienste, führte die Forschungsarbeiten unter dem Code "Sun Strait" fort.

Während des Golfkrieges von 1989 wurden die Hellseher in Saudi-Arabien stationiert, wo sie aus relativ kurzer Distanz zu Bagdad den Aufenthaltsort von Saddam Hussein ermitteln sollten - vergeblich. Die DIA-Oberen waren mit den Ergebnissen unzufrieden, abermals meldete sich Enthüllungsjournalist Anderson zu Wort und wieder stand die Einheit zur Disposition.