Militärhellseher im Kalten Krieg: Projekt "Star Gate"

Seite 3: Projekt Star Gate

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Ein Gremium von Senatoren, das mit Geheimdienstangelegenheiten befasst war, hatte jedoch einen Narren an dem Projekt gefressen. Nach organisatorischen Änderungen wurde es unter dem Namen "Star Gate" weitergeführt (die Bezeichnung hat nichts mit dem gleichnamigen späteren Kinofilm zu tun). Smith wurde unter anderem von der Drogenfahndung konsultiert, für die er mittels Wünschelrute Container mit versteckten Drogen gefunden haben will. (Schon der Varieté-Hellseher Erik Jan Hanussen hatte in Österreich im 1.Weltkrieg das Militär im Wünschelrutengehen unterrichtet.) Das Star Gate-Projekt wurde von der Affäre eines schon früher zu Kriminalität neigenden Mitglieds überschattet, das Militäreigentum unterschlug und sich eine Affäre mit einer verheirateten Frau leistete, was in den puritanischen USA zu disziplinarischen Maßnahmen führte.

Aus unerfindlichen Gründen wollten die Militärbürokraten noch immer nicht die Leistungen der tüchtigen esoterischen Feindaufklärer anerkennen. Inzwischen hatten ausgeschiedene Mitglieder eine private Firma namens Psi Tech gegründet, die ihre Hellsehdienste anbot. Man versuchte, den Fall des Mordverdächtigen O.J. Simpson durch Intuition zu lösen und suchte nach einer verschollenen sowjetischen Weltraumsonde (wozu auch immer). Einträglicher dürften wohl eher die Kurse im Hellsehen gewesen sein, die man entsprechend aufgeschlossenen Zeitgenossen anbot.

Nach 18 Jahren, welche die amerikanischen Steuerzahler 20 Millionen Dollars gekostet hatten, beauftragte man eine Statistikerin vom "American Institute of Research" mit der Evaluation der Daten. Diese attestierte den Hellsehern einen Erfolg von stolzen 15%. Die Dame hatte ihr Handwerk allerdings am SRI erlernt, dem James Randi seinerzeit indiskutable Forschungsmethoden nachgewiesen hatte. Die CIA konsultierte 1995 den Psychologen Ray Hyman vom Committee for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal (CSICOP), dem von Randi gegründeten Skeptiker-Komitee zur Überprüfung von paranormalen Phänomenen. Die von Hyman ermittelte signifikante Abweichung der Star Gate-Ergebnisse von Zufallstreffern betrug 0 %. Star Gate schloss die Tore.

Esoterischer Fehlalarm

Man könnte geneigt sein, die Bemühungen der Zauber-sehnsüchtigen Geheimdienstler als harmloses Sandkastenspiel anzusehen, wäre da nicht das Risiko esoterisch gewonnener Desinformation gewesen, die eine Eigendynamik hätte entwickeln können. Welche Brisanz derartiges gewinnen kann wird deutlich am peinlichsten Skandal des Star Gate-Programms: Die remote viewers hatten sich an Weihnachten mit dem UFO-Fan aus dem Team, Ed Dames, einen Scherz erlaubt und von einem sich vom Nordpol her nähernden fliegenden Objekt orakelt - traditionell vermeldet auch NORAD als Pressegag jährlich die Ankunft des Weihnachtsmanns in seinem fliegenden Schlitten von ebendort. Der gefoppte remote viewer deutete diese Sichtung jedoch als sich im Anflug befindliche Atomraketen und versuchte, den höchsten Sicherheitsalarm auszulösen.

Jener unglückliche Ex-Agent Ed Dames selbst enthüllte in einer TV-Show die Geschichte des Star Gate-Programms, was nicht nur für großes Aufsehen in den US-Medien sorgte, sondern Dames auch ein gutes Auskommen als Ausbilder für "technical remote viewing" (TRV) bescherte. Viel wird er davon jedoch nicht haben, falls eines seiner zahlreichen Weltuntergangsszenarien zutrifft wie verseuchte Milch, im Wüstensand versteckte schwangere Marsianer sowie ein Pflanzenvirus, das durch den Kometen Hale-Bopp eingeschleppt worden sein soll. Dames und seine Hellsehkollegin Silvia Browne gehören zu James Randis gegenwärtigen Lieblingsfeinden. Während Dames Randis "1 Million Dollar-Herausforderung" wegen angeblich unfairen Testbedingungen ablehnt, hatte Browne zwar Anfang 2001 zugesagt, sich bis jetzt jedoch noch immer nicht bei Randi blicken lassen.

Auch die anderen Psi-Veteranen veröffentlichten ihre Heldentaten in einer Reihe seltsamer Bücher, die den Leser auf eine harte Geduldsprobe stellen. Die wenigen Indizien, welche die Autoren als Beleg für ihre Fähigkeiten anführen, sind mitleidserregend bis unfreiwillig komisch. Die Erfolge, derer sich die remote viewers rühmten, kann man u.a. bei Globalsecurity.org nachlesen. Die US-Geheimdienste beeilten sich mit der Feststellung, dass keine der Psi-Informationen letztlich Verwendung gefunden hätte. Demgegenüber hatte allerdings CIA-Direktor Richard Helms seinerzeit den Projektstatus von "Research" (Forschung) auf "Practise" (Praxis) geändert.

Dass es der Gruppe gelungen war, zwei Jahrzehnte im Biotop "Geheimdienst" zuzubringen, ohne auch nur den geringsten Beweis für den Sinn ihrer Tätigkeit zu erbringen, mag Außenstehenden erstaunlich vorkommen. In Militär und Geheimdienst scheint das Festhalten an Sinnlosem jedoch der Normalfall zu sein, solange nur die Form gewahrt und die patriotische Gesinnung hinreichend zelebriert wird. Was geheim ist, das kann auch niemanden stören.

2003 wurden 99 % der Akten, welche interessante Innenansichten erlauben, freigegeben. Die ehemals staatlichen Hellseher gründeten die Remote Viewers Association und feiern sich noch heute. Die Scientology-Church rühmt sich werbewirksam der Zusammenarbeit ihres Personals mit den US-Geheimdiensten, hat sich aber mit Swann (oder dessen operierenden Thetan) überworfen. Parapsychologe Puthoff hatte sogar Geheimdienstmethoden in die "Wissenschaftskirche" integriert, indem er sich an der Konstruktion von Polygrafen ("Lügendetektoren") als sog. E-Meter zur Messung innerer Reinheit bei Verhören ("Auditing") beteiligte.

2005 erschien eine umfassende Dokumentation mit dem spektakulären Titel "Reading the Enemynd. Inside Star Gate - Americaychic Espionage Program" (2005), in dem Veteran Paul H. Smith auf über 500 Seiten nicht eine einzige wirklich interessante Information bietet. Anders, als man vom Titel her vermuten könnte, bemühten sich die remote viewers nicht um das Lesen feindlicher Gedanken, sondern um Informationsgewinnung durch Meditation.

Ausgerechnet Enthüllungsjournalist Jack Anderson steuerte ein erstaunlich wohlwollendes Vorwort bei. Die Erklärung hierfür mag darin zu suchen sein, dass Anderson wie Autor Smith ein gläubiger Anhänger der Mormonen ist, zu deren Weltbild ohnehin allerhand Wundersames um den umstrittenen Gründer Joseph Smith Jr. aus dem 18. Jahrhundert gehört.

Return of the remote viewers

Dem investigativen Journalisten Jon Ronson zufolge wurden nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sämtliche psychic spies wieder vom Geheimdienst kontaktiert, der sie dazu aufgefordert habe, jegliche Vision zu melden. Selbst Uri Geller behauptete Ronson gegenüber, von US-Behörden reaktiviert worden zu sein. Auch Großbritannien soll ein entsprechendes Programm aufgebaut haben, um Bin Laden mit "Remote Viewing" in seinem Versteck zu entdecken?

Es ist jedoch anzunehmen, dass die Legende von hellsehenden Militärs bewusst als Desinformation zur psychologischen Kriegsführung im Irak eingesetzt werden sollte. Ein weiterer Informant wusste Ronson zu berichten, die Beendigung von "Star Gate" sei nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, um eine zweite ultrageheime Einheit zu tarnen. Deren Mitglieder seien nicht nur remote viewers, sondern - nach Art des Militärs - auch remote killers.

Was im ersten Moment nach einem Trashfilm klingt, hat jedoch einen durchaus plausiblen Hintergrund: Der New Age-begeisterte Colonel John B. Alexander, der bis heute freundschaftlichen Kontakt mit Uri Geller pflegt, hatte tatsächlich in den 70ern in einem utrageheimen Programm Krieger für spezielle Aufträge mit übermenschlichen Fähigkeiten trainieren lassen: Unsichtbarkeit, Levitation und tödlicher Psychokinese. Der Mann ist noch heute als visionärer Berater im Einsatz, entwickelte tatsächlich vom Militär eingesetzte neue Kampfmethoden und verfasste 1999 das viel beachtete Sachbuch "Future War" über neue Kampftechnologien und nichttödliche Waffen.

Politische Hellseher

Während der Glanzzeit der remote viewers wurde tatsächlich die Politik auf höchster Ebene esoterisch beeinflusst: Präsident Ronald Reagans "chief of staff" Donald Regan schildert in seinen Memoiren, dass alle wichtigen Schritte und Entscheidungen mit der Astrologin Joan Quigley abgesprochen wurden, die unter anderem den Termin zur Unterzeichnung des Abkommens über die nukleare Abrüstung von 1987 bestimmte.

Der amtierende italienische Staatschef Romano Prodi hatte 1978 versucht, die Herkunft einer brisanten Information übersinnlich zu erklären: Als Industrieminister der Regierung Andreotti hatte Prodi an einer spiritistischen Sitzung teilgenommen, bei der ihm der Aufenthaltsort des damals entführten Politikers Aldo Moro in "Gredoli" bekannt gegeben worden sei. Eine Suche im Ort "Gredoli" verlief erfolglos, jedoch befand sich das Versteck tatsächlich in einer "Via Gredoli". Eine Erklärung für die dürftig lancierte unvollständige Information vermuten manche in der inzwischen bewiesenen Tatsache, dass seinerzeit italienische Geheimdienstkreise in den Entführungsfall verwickelt waren und insoweit Prodi eine Indiskretion zugespielt worden sein dürfte. Prodi hält bis heute ausdrücklich an seiner Version mit der Geisterbeschwörung fest.

Der britische Premierminister Tony Blair, der in anderem Zusammenhang von UN-Waffeninspektor Hans Blix 2004 als "Geisterbeschwörer" beschimpft wurde, steht okkultem tatsächlich nicht fern: Blairs Gattin veranstaltet regelmäßig Séancen, konsultiert prominente Hellseher und lässt sich von Uri Geller persönlich die Löffel biegen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erzählte der BILD-Zeitung, Horoskope zu lesen, sich aber nicht danach zu richten. Ob sich auch der Bundesnachrichtendienst bei seiner Informationsbeschaffung esoterischer Quellen bedient, wird von Experten für unwahrscheinlich gehalten. Nationalsozialistische Geheimdienstler hatten mit Hanussens Prophezeiungen genug schlechte Erfahrungen gesammelt, sodass man hierzulande ausschließlich traditionelle Spionagemethoden bemüht.