Mindeststeuer: Meilenstein oder Schweizer Käse mit riesigen Löchern?
- Mindeststeuer: Meilenstein oder Schweizer Käse mit riesigen Löchern?
- Vorteile für Banken und Konzerne, Nachteile für Verbraucher
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Einer weiter verwässerten Version - mit Ausnahmeregelungen unter anderem für Banken - versagten neun OECD-Mitglieder die Unterschrift. In Europa: Irland, Estland und Ungarn
Als sich vergangene Woche die große Mehrheit der Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf eine Steuerreform einigten, wollte auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht mehr von einem "historischen" Ergebnis sprechen.
Scholz hatte diesen Begriff benutzt, wie viele andere auch, nachdem sich die sieben führenden Industrieländer (G7) auf ein Grundgerüst für eine Mindeststeuer geeinigt hatten. Dabei hatte man sich von der geplanten Mindeststeuer von 21 Prozent weit entfernt. Sie soll nur noch 15 Prozent betragen.
"Kolossal"
OECD-Generalsekretär Mathias Cormann sprach allerdings weiterhin von einem "historischen Maßnahmenpaket", auf das man sich geeinigt habe. "Nach Jahren intensiver Arbeit und Verhandlungen wird dieses historische Paket sicherstellen, dass große multinationale Unternehmen überall ihren fairen Anteil an der Steuer zahlen", meinte er.
Am Rande seines Besuchs in Washington rüstete Scholz, der im Herbst Bundeskanzler werden will, propagandistisch etwas ab. Er bezeichnete die Einigung nur noch als "kolossalen Fortschritt". Die Staaten, die mehr als 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft vereinten, hätten damit ein wichtiges Signal gesetzt:
Der Steuer-Wettbewerb nach unten ist vorbei.
Olaf Scholz
Weit gefehlt, wie ihm sogar der OECD-Generalsekretär widerspricht: "Dieses Paket beseitigt nicht den Steuer-Wettbewerb. Das soll es auch nicht, aber es setzt ihm multilateral vereinbarte Grenzen", erklärte Cormann. Das entspricht viel eher der Realität. Zumal, wie abzusehen war, auf OECD-Ebene das längst abgespeckte G7-Modell weiter verwässert wurde.
Die Sanierung der Haushalte "nach Covid"
Beschlossen wurde ein Modell auf zwei Säulen. Es soll den Regierungen dringend benötigte Unterstützung bieten, um die notwendigen Einnahmen zur Sanierung ihrer Haushalte und Bilanzen zu erzielen und gleichzeitig in wichtige öffentliche Dienstleistungen, Infrastruktur und die notwendigen Maßnahmen zu investieren, um die Stärke und Qualität der Erholung nach Covid zu optimieren, erklärt die OECD. Sie erwartet, dass Besteuerungsrechte auf mehr als 100 Milliarden US-Dollar an Gewinnen pro Jahr umverteilt werden.
Im Rahmen der zweiten Säule soll die globale Mindestkörperschaftssteuer nach Schätzungen jährlich rund 150 Milliarden Dollar an zusätzlichen globalen Steuereinnahmen generieren. Verteilt auf 130 Länder ist das nicht viel, vor allem wenn man bedenkt, dass in der Corona-Krise die Schulden der Länder weltweit um mindestens 20 Billionen Dollar explodiert sind.
Schon bevor die Axt erneut an das vereinbarte Grundgerüst gesetzt wurde, hatten etliche Kritiker angeführt, dass ein Steuersatz von 15 Prozent nur wenig dazu beitragen könne, "den schädlichen Wettlauf nach unten bei der Unternehmenssteuer zu beenden und die weitverbreitete Nutzung von Steueroasen einzudämmen". Vermutet wird, dass die Mindeststeuer zum Niedrigstandard mutieren könnte. Letztlich orientiert sich das wenig ambitionierte Ziel an der Körperschaftssteuer im Steuerparadies Irland von 12,5 Prozent.
Schamloser Wettlauf nach unten
Jeder Steuersatz unter 25 Prozent bedeute aber, den Wettlauf nach unten am Leben zu erhalten. Mit dieser Begründung hatten die Experten vom "International Tax Justice Network" bereits die G7-Pläne als "schamlos" abgelehnt. Die Organisation strebt einen Steuersatz an, der noch über die 21 Prozent hinausgeht, den die neue US-Regierung zunächst angepeilt hatte.
Bei einem Steuersatz von 25 Prozent würden jährlich Einnahmen von 780 Milliarden Dollar in die weltweiten Steuerkassen gespült, rechnen die Experten vor. Auch dabei blieben drei Viertel der Gewinne der multinationalen Unternehmen weiter unangetastet.
Besonders scharf hatte der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty schon vor der erneuten Verwässerung das Vorhaben kritisiert. Er sprach unter anderem davon, dass nun das "Recht auf Steuerhinterziehung legalisiert" werde, da die "multinationalen Konzerne ihre Gewinne weiterhin nach Belieben in Steuerparadiese verlagern können". Ausführlicher kann seine Kritik, der er bereits an den G7-Plänen übte, hier nachgelesen werden.
Noch mehr Ausnahmeregeln...
Wie schon angedeutet, hat sich die Einschätzung der Kritiker mit der Verwässerung auf OECD-Ebene nicht verbessert, da zudem weitere Ausnahmeregeln eingefügt wurden. So erklärte die finanzpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, dass dieser neue Kompromiss, der nicht einmal von allen OECD-Ländern getragen wird, mit vielen Ausnahmen erkauft worden sei. "Die Einigung ist schon jetzt ein Schweizer Käse mit riesigen Löchern", sagte Lisa Paus.
Sie warf Scholz vor, er habe eine "symbolische Einigung um jeden Preis - auch auf Kosten einer echten Lösung im Kampf gegen Steuerdumping" erzielen wollen. Für sie sind die Ausnahmen für den Finanzbereich besonders ärgerlich. "Gerade Banken sind in den letzten Jahren immer wieder negativ durch Gewinnverschiebung aufgefallen." Sie stört auch, dass große Digitalkonzerne wieder durch das Netz gehen.
Auffällig war schon bisher, dass Amazon und Co ein G7-Grundgerüst begrüßt hatten, das sie doch angeblich zu Milliardenzahlungen verpflichten soll. Das verwunderte aber dann nicht mehr, schaut man auf das Kleingedruckte. Denn nur Konzerne mit einer Gewinnmarge von mehr als zehn Prozent sollen künftig auch dort steuerpflichtig sein, wo sie ihre Umsätze machen - da kann viel schöngerechnet werden.
Obwohl Amazon im vergangenen Jahr Rekordgewinne schrieb, zahlte der Konzern in Europa nicht einen Cent an Steuern. Da seine Marge unter der Marke von zehn Prozent liegen soll, hätte auch eine Mindeststeuer daran wohl nichts geändert.