Mit Hochdruck gegen Ungehorsam
78 neue Wasserwerfer für deutsche Polizeien spritzen bald mit noch höherem Druck aus drei Rohren. Hinzu kommen 52 Spähfahrzeuge mit Zoom und Richtmikrofon
Die Bereitschaftspolizeien der Länder werden mit neuen Wasserwerfern ausgerüstet. Nach einer Ausschreibung von 2008 wurde ein entsprechender Auftrag an die österreichische Firma Rosenbauer vergeben. In den Genuss der neuen Distanzwaffe kommen zuerst die Länderpolizeien in Hamburg, Berlin, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Zwei Fahrzeuge werden noch 2010 übergeben, drei weitere in 2011 ausgeliefert. Der Stückpreis liegt über 900.000 Euro, bis 2019 ist die Anschaffung 78 neuer Geräte für insgesamt 75 Millionen Euro geplant.
Die neuen Wasserwerfer des Typs WaWe 10000 COBRA sollen die Fahrzeuge des älteren Typs "WaWe 9000" schrittweise ersetzen. Ihre Beschaffung geht auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) von 2005 zurück. Ein erstes Fahrzeug wurde bereits im November 2009 an das Bundesministerium des Innern (BMI) zur Erprobung übergeben und in Hamburg mehrere Monate getestet. Danach wurde das Musterfahrzeug zunächst wieder an die Herstellerfirma Rosenbauer zurückgegeben, um festgestellte Mängel zu beseitigen.
Respekt durch "psychologischen Effekt"
Der Direktor des Beschaffungsamtes des BMI hatte zwar während der Vertragsunterzeichnung bedauert, dass die Vergabe nach europäischer Ausschreibung an ein Unternehmen in Österreich ging. Es sei aber "im Nachhinein erfreulich zu hören, dass die Wertschöpfung der wesentlichen Teile in Deutschland erfolgt". Rosenbauer fertigt unter anderem in Luckenwalde bei Berlin.
"Schluss mit lustig" frohlockt die Bild-Zeitung, in Polizeiforen freuen sich Polizisten auf einen baldigen Einsatz. Der Spiegel berichtet anlässlich der Auslieferung des Musterfahrzeuges, Beamte würden sich "balgen", um auf dem Kommandoplatz sitzen zu dürfen, und posierten für Fotos vor dem Gefährt. Kein Wunder angesichts des Designs, das laut BMI-Referatsleiter Achim Friedl "so gestaltet [ist], dass es Respekt einflößend wirkt" und einen "psychologischen Effekt" habe.
Die neuen Geräte haben 10.000 Liter Tankvolumen statt bisher 9.000, wiegen 31 Tonnen und sind sowohl größer wie auch länger als ihre Vorgänger. Auch die Motorleistung hat sich auf 408 PS erhöht. Wurde früher aus zwei Rohren geflutet, können Menschenmassen jetzt von zwei "Operateuren" aus drei Rohren beschossen werden. Zu den Features gehören "Wasserglocken" und "Wasserwände", hinter denen sich Polizisten unbemerkt nähern können. Die wohl bemerkenswerteste Neuerung besteht im möglichen Druck: die Kompressoren können einen rund ein Drittel höheren Wasserdruck erzeugen und mit 10 bar bis zu 3.300 Liter pro Minute verschießen.
Das kantige Design mit ausschließlich schrägen Flächen soll verhindern, dass geworfene Gegenstände liegenbleiben oder auf die Fahrzeuge geklettert werden kann. Hinzu kommen Spritzdüsen am Fahrgestell sowie dem Kabinendach, um etwaige Brandsätze zügig zu löschen.
Zahl der Einsätze steigt
Die fünf Besatzungsmitglieder haben es indes hinter fast unzerstörbaren Polycarbonatglasscheiben mit Standheizung, Klimaanlage und Kühlfach regelrecht gemütlich. Vor den eigenen Zwangsmitteln durch eine Außenluftfilteranlage geschützt, können dem Strahl sowohl CN- wie auch CS-Tränengas zugemischt werden. Hierfür werden insgesamt sechs Gas-Behälter à 20 Liter in einem Geräteraum bevorratet.
Seit ihrer Einführung in den 50er Jahren gehen Wasserwerfer-Einsätze mit heftigen Verletzungen auf Seiten der Beschossenen einher. Die Brutalität der Distanzwaffe wurde zuletzt während der Proteste in Stuttgart offensichtlich. Mehrere Demonstranten, auf die offensichtlich wahllos geschossen wurde, liegen in der Stuttgarter Augenklinik und werden ihr Augenlicht womöglich verlieren. Linsen wurden nach innen gedrückt, Lider zerrissen, die Netzhaut zerfetzt, der Augenboden oder fragile Knochen am Auge gebrochen.
Trotzdem steigt die Zahl gefahrener Wasserwerfereinsätze seit 2007. Wurden im Jahr der massenhaften G8-Proteste allein von der Bundespolizei 51 Einsätze verzeichnet, sind es 2009 bereits 72.
Die Bereitschaftspolizeien der Länder sind stolz auf ihre Distanzwaffe und präsentieren sie regelmäßig in internationalen Übungen. Kurz vor dem G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm hatten Polizeien aus Deutschland, Belgien und Holland ihre Wasserwerfer zum inszenierten Barrikadenkampf mitgebracht.
Dieses Jahr finanziert die EU-Kommission ein Training von 15 europäischen zivilen und militärischen Polizeien im brandenburgischen Lehnin (Terroralarm in Rauhberg). Die Szenarien ("Missionslagen"), darunter auch der "Schutz einer internationalen Sportveranstaltung", waren von Übungsleiter Friedrich Eichele zusammengestellt worden. Der ehemalige GSG 9-Chef war kurzzeitig Leiter der EUPOL-Mission in Afghanistan, bevor er von Wolfgang Schäuble zum Präsident der Direktion Bundesbereitschaftspolizei Fuldatal ernannt wurde. "Wer Erfahrung mit Hooligans hat, kommt auch im Kosovo zurecht", kommentierte er das grenzüberschreitende Polizei-Manöver. Gegenüber Journalisten bekräftigte Eichele ausdrücklich die positiven Erfahrungen mit Wasserwerfern. Die Fahrzeuge hätten sich vor allem beim "Mütchen kühlen" bewährt und wären auf dem Weg, sich europaweit durchzusetzen. Den Hinweis auf beim G8-Gipfel ausgeschossene Augen kommentierte Eichele nicht.
Sehen und Peilen
Nicht nur die 78 neuen Wasserwerfer mit ihrem martialischen Aussehen bereichern das technische Arsenal deutscher Polizeien. Vor und während der bequemen Unterdrückung von abweichendem Verhalten kommt dessen diskrete Ausforschung. Um Versammlungen und Aufzüge zukünftig effektiver aus der Distanz überwachen und kontrollieren zu können, schaffen sich die Bereitschaftspolizeien der Länder 52 neue "Beweissicherungs- und Dokumentationskraftwagen" (BeDoKw) an.
Das Spähfahrzeug ist mit einem bis zu 4 Meter hoch ausfahrbaren Kameramast ausgestattet, auf dem eine bewegliche Einheit aus Videokamera mit Zoomfunktion, aber auch ein Richtmikrofon fixiert ist. Die Mercedes-Fahrzeuge werden vom italienischen Finmecchanica-Ableger Elettronica gefertigt und sollen aktuelle Lageinformationen visuell und akustisch aufzeichnen sowie computergestützt weiterbearbeiten. Die aufbereiteten Video- und Audio-Daten werden an die Lagezentren übermittelt. Zwei "Operateure" sind an ihrem Arbeitsplatz entweder für Kamerabedienung, Mastbedienung und Aufzeichnung oder Video- und Bildbearbeitung zuständig.
"Entdecken, identifizieren und stören", fasst Geschäftsführer Gerhard Henselmann die Leistungsmerkmale der Elettronica-Produkte zusammen. Die Firma in Meckenheim beliefert unter anderem die Bundeswehr mit mobilen Anlagen zur Ortung und Identifizierung feindlicher Aktivitäten und mit Störsendern. Um Flugzeuge vor Raketen zu schützen, arbeitet Elettronica mit einer israelischen Firma an einer "lasergestützte Selbstschutzeinrichtung".
Militärische Peiltechnik könnte auch in den neuen "Beweissicherungs- und Dokumentationskraftwagen" zur Anwendung kommen, wirbt die Partnerfirma Medav. Die Kombination der Fähigkeiten "Sehen" und "Peilen" könne bei "verdeckt oder offen geführten Ermittlungen und Einsatzszenarien, z. B. Demonstrationen, Versammlungen sowie Personen- und Objektsuche" zur Anwendung kommen.