Mit dem Masketragen verbundene psychische Folgen

Seite 4: Möglicherweise ein historischer Vorläufer

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Der Chirurg und Geburtshelfer Ignaz Semmelweis entdeckte in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Bedeutung der Hygiene. Insbesondere führte er das Kindbettfieber auf mangelnde Hygiene zurück. Semmelweis, der ein tragisches Ende fand, dürfte sicherlich Hunderttausenden Menschen durch seine bahnbrechende Erkenntnis, die sich erst im 20. Jahrhundert durchsetzen konnte, das Leben gerettet haben.

Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnis über die geradezu existentielle Bedeutung der Hygiene wurde gerade in Waisenhäusern massiv auf das Einhalten der Hygienevorschriften geachtet und aus Sorge vor Infektionskrankheiten auf möglichst jeden Körperkontakt verzichtet. Insbesondere Dr. John Watson, der Mitbegründer des Behaviorismus, machte sich für diese Richtung stark und gab seinen generellen Erziehungsrat: "Umarmen und küssen Sie (Ihre Kinder) niemals, lassen Sie sie nie auf Ihrem Schoß sitzen. Wenn es denn sein muss, küssen Sie sie einmal auf die Stirn, wenn Sie 'Gute Nacht' sagen. Geben Sie ihnen am Morgen die Hand."

Einige Mediziner und Verhaltensforscher plädierten sogar für den vollständigen Verzicht auf körperliche Nähe. Der Haptikforscher Prof. Martin Grunwald von der Universität Leipzig gibt hierbei zu bedenken: "Dass körperliche Nähe einen Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes haben könnte, erschien angesichts der vielen medizinischen Erfolge bei der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit Anfang des 20. Jahrhunderts geradezu absurd."

Resultat der Beherzigung dieser scheinbar absoluten wissenschaftlichen Erkenntnis: In den 1910er- und 1920er-Jahren lag in den Waisenhäusern der USA die Kindersterblichkeit in den ersten beiden Lebensjahren bei unfassbaren 32 bis 75 Prozent. In einigen Waisenhäusern erreichte die Sterblichkeit sogar 100%. Erst als 1931 die Kinderärztin Harry Bakwin einen Zusammenhang zwischen Säuglingssterblichkeit und emotionaler Verkümmerung feststellte, fand die bislang praktizierte Radikalkur ein Ende.

Kind nicht mit dem Bade ausschütten

Selbstverständlich hinkt dieses historische Beispiel sehr stark als Vergleich zur aktuellen Krise. Dennoch sollte es die Gefahr eines monokausalen Denkens und der Unkenntnis der menschlichen Natur aufzeigen. Maßnahmen, die aus rein medizinischer Sicht unbezweifelbar Sinn machen, gehen nicht zwangsläufig ohne gravierende Nebenwirkungen einher. In diesem Sinne stellt sich die wichtige Frage, ob derzeit in ausreichendem Masse die Nebenwirkungen eingeschätzt und berücksichtigt werden.

Ein grundlegender Gedanke soll die Untersuchung der möglichen Nebenwirkungen der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus abschließen. Alle dargestellten Maßnahmen trennen die Menschen von einander und schaffen eine Distanz unter ihnen. Dabei brauchen wir gerade jetzt mehr Solidarität, Zusammenhalt und Altruismus denn je. Aber die geschaffene Distanz erschwert das Mitgefühl, weil diese Nähe bedarf, um empfunden zu werden. Es gilt sich dieses Problems bewusst zu sein und für diese Zeit auch ganz bewusst die Antennen des Mitgefühls auszufahren und für den Mitmenschen da zu sein.

Ebenso gilt es auch bei der Erziehung von Kleinkindern und Kindern sowie bei der Begegnung mit diesen zu berücksichtigen, dass diese Generation das Unglück hat, in einer Zeit zu leben, in der die natürliche Ausbildung von Spiegelneuronen und Mitgefühl eingeschränkt ist. Entsprechend bedürfen die Kleinkinder und Kinder unserer besonderen Aufmerksamkeit und Nachsicht. Eine bedrückende Darstellung des Alltags in den Grundschulen macht dies deutlich.

Benutzte Bücher: Bartens, Werner: Berührung. Bauer, Joachim: Warum ich fühle, was du fühlst. Bregman, Rugter: Im Gunrde gut. Breithaupt Fritz: Kulturen der Empathie. Grunwald, Martin: Homo Hapticus. Harari, Yuval Noah: Homo Deus. Keysers, Christian: Unser empathisches Gehirn. Keltner, Dacher: Born to be good. Ricard, Matthieu: Allumfassende Menschenliebe. Rifkin, Jeremy: Die emphatische Zivilisation. Thadden, Elisabeth von: Die berührungslose Gesellschaft. Tomasello, Michael: Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens.

Von Andreas von Westphalen ist im Westend Verlag das Buch erschienen: "Die Wiederentdeckung des Menschen. Warum Egoismus, Gier und Konkurrenz nicht unserer Natur entsprechen"

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