Mit dem Masketragen verbundene psychische Folgen
Seite 2: Wir können uns nicht mehr spiegeln
- Mit dem Masketragen verbundene psychische Folgen
- Wir können uns nicht mehr spiegeln
- Ich kann Dein Lächeln nicht mehr erkennen
- Möglicherweise ein historischer Vorläufer
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Spiegelneuronen wurden 1992 von einem Team um den Neuroforscher Giacomo Rizzolatti aus Parma entdeckt und sind ein eindeutiger biologischer Hinweis darauf, dass der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen ist, denn seine biologische Grundausstattung prädestiniert ihn zum Mitgefühl. Experimente belegen eindrücklich das Wirken der Spiegelneuronen. Eine Untersuchung von William Hutchison zeigt beispielsweise, dass in den Gehirnen der Probanden, die zusahen, wie sich der Untersuchungsleiter selbst in die Fingerkuppe stach, dieselben Nervenzellen feuerten, die auch beim Erleben des eigenen Schmerzes feuern würden. Vergleichbare Experimente am Max-Planck-Institut in Leipzig kamen zu demselben Ergebnis: Allein die Beobachtung von Schmerzen anderer führt dazu, dass Menschen ebenfalls Schmerzen empfinden. Dieses beschränkt sich jedoch nicht nur auf simplen körperlichen Schmerz. Der Neurowissenschaftler Christian Keysers führte ein Experiment durch, bei dem die Probanden eine Hand sahen, die sich ausstreckte, um jemanden zu streicheln, und dann von einer anderen Hand plötzlich und unerwartet weggestoßen wurde. Im Gehirn der beobachtenden Testpersonen feuerten nun die Spiegelneuronen, als hätten die Probanden selbst die Zurückweisung erfahren. Sie fühlten den Schmerz der Ausgrenzung unmittelbar mit.
Keysers beschreibt die Bedeutung der Spiegelneuronen mit eindrücklichen Worten: "Die Entdeckung der Spiegelneuronen machte mir klar, dass unsere Gehirne tatsächlich auf geradezu magische Weise miteinander verbunden sind." Der Neurowissenschaftler Marco Iacobini bringt es prägnant auf den Punkt: "Menschen sind auf Empathie programmiert." Der springende Punkt bei den Spiegelneuronen ist aber, dass die Menschen insbesondere das Gesicht der Mitmenschen sehen müssen, um deren Gefühle intuitiv zu spiegeln und so auch mitempfinden zu können. Die Schutzmaske macht dies jedoch kaum möglich.
Gerade für Babys und Kleinkinder katastrophal
Schon wenige Stunden nach der Geburt beginnen Säuglinge, bestimmte Gesichtsausdrücke, die sie sehen, spontan zu imitieren. Marco Iacoboni beschreibt die Ausbildung von Spiegelneuronen wie folgt: "Baby lächelt, die Mutter lächelt als Antwort. Zwei Minuten später lächelt das Baby noch einmal und auch die Mutter lächelt wieder. Aufgrund des Imitationsverhaltens der Mutter kann das Gehirn des Babys den zum Lächeln notwendigen motorischen Ablauf und die Sicht eines lächelnden Gesichts miteinander assoziieren."
Gerade in der Eltern-Kind-Beziehung wird offensichtlich, wie wichtig und existentiell die Möglichkeit ist, das Gesicht des Anderen ohne Einschränkung sehen zu können, denn nur so können Babys lernen sich zu spiegeln und Spiegelneuronen sich ausbilden. Auch wenn Schutzmasken wohl kaum in den heimischen vier Wänden getragen werden, dürfte es zweifelsohne jedoch so sein, dass in der gegenwärtigen Krise Babys häufig mit Menschen, die Schutzmasken tragen, interagieren, so dass die Gefahr besteht, dass die Babys weniger Spiegelerfahrungen erleben, die so wichtig und entscheidend für die Natur des Menschen sind. (Es ist an dieser Stelle positiv anzumerken, dass das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales betont, Mitarbeiter in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege sollten "während der Besuchszeiten sowie bei Veranstaltungen der Einrichtung ihr Gesicht (zwischen Kinn und Stirn) nicht verhüllen", wie der fundierte Artikel von Christof Kuhbandner kürzlich dargelegt hat).
Ein Experiment führt vor Augen, welche Gefahr für ein Baby bestehen kann, wenn eine erwartete Spiegelung ausbleibt: Wenn bei der sogenannten "Still face procedure" ein Erwachsener seine eigene emotionale Intuition absichtlich unterdrückt und das Baby völlig regungslos anschaut, wendet sich das Kind schnell ab. Wird diese Prozedur mehrere Male wiederholt, führt dies zu einem emotionalen Rückzug des Kindes.
Ein letztes "Spiegelproblem" für Babys besteht darin, dass sie die Lippen der Menschen nicht lesen können, wenn diese von einer Maske verdeckt sind. Um aber das Sprechen zu lernen, blicken sechs bis zwölf Monate alte Babys automatisch den Sprechenden auf den Mund. Eine Studie konnte die zentrale Bedeutung des Lippenlesens für die Sprachentwicklung beim Baby herausfinden. "Die Babys müssen erkunden, wie sie ihre Lippen formen sollen, um jene Laute zu bilden, die sie hören," erklärt hierzu der Entwicklungspsychologe David Lewkowicz von der Florida Atlantic University.
Ich kann mich nicht emotional anstecken lassen
Die Schutzmaske verringert nicht nur deutlich die Fähigkeit den Mitmenschen und dessen Gefühle zu lesen, sondern viel gravierender noch, es erschwert die emotionale Ansteckung. Menschen können von Natur aus gar nicht anders, als sich emotional anstecken zu lassen. Diese überaus beeindruckende Erkenntnis gelang Ulf Dimberg von der Universität Uppsala in den 1990er-Jahren (siehe auch hier und hier). Probanden wurden für jeweils nur eine halbe Sekunde auf einem Bildschirm Portraits menschlicher Gesichter gezeigt, wobei die Testpersonen gebeten wurden, möglichst neutral zu bleiben. Bei Bildern von lächelnden oder verärgerten Menschen reagierten die Probanden in Sekundenbruchteilen, indem sie unwillkürlich die Mimik des Portraits nachahmten. Ein solches Resonanzverhalten trat sogar dann auf, wenn den Probanden die Bilder nur so kurz gezeigt wurden, dass sie diese unmöglich bewusst wahrnehmen konnten. Wie Joachim Bauer, Professor für Psychoneuroimmunologie an der Universität Freiburg, bemerkt, mogelt sich "offenbar die Bereitschaft, spontanen emotionalen Gesichtsausdruck eines anderen Menschen zu spiegeln, mit Vergnügen an unserer bewussten Kontrolle vorbei."
Die emotionale Ansteckung ist "ein Wegbereiter für die Empathie". Es liegt daher auf der Hand, dass Schutzmasken somit die ungewollte Nebenwirkung entwickeln, die angeborene Fähigkeit des Menschen zur Empathie schlicht dadurch einzuschränken, dass der Mensch sich nicht emotional anstecken kann und so die Emotion seines Gegenübers nicht zu spiegeln vermag.
Ich kann Dein Gesicht nicht mehr lesen
Inwiefern sind Menschen in der Lage, Gefühle des Mitmenschens richtig zu deuten, sobald eine Schutzmaske den Großteil des Gesichts bedeckt? Genau dieser Frage ist Prof. Claus-Christian Carbon von der Universität Bamberg in einer Studie nachgegangen. Den Probanden wurden insgesamt zwölf verschiedene Gesichter gezeigt, wobei jedes Gesicht zufällig mit sechs verschiedenen Ausdrücken dargestellt wurde: wütend, angewidert, ängstlich, glücklich, neutral und traurig. Die Gesichter waren dabei entweder vollständig sichtbar oder von einer Gesichtsmaske bedeckt. Ergebnis: Waren die Gesichter durch eine Maske bedeckt, wurde das emotionale Lesen der Gesichtsausdrücke stark beeinträchtigt.
Prof. Carbon erläutert: "Die Teilnehmenden erkannten Emotionen weniger genau und vertrauten ihrer eigenen Einschätzung seltener. Spannend in diesem Zusammenhang ist vor allem, dass es zu charakteristischen Fehlinterpretationen von einzelnen Emotionen kam." So schätzten die Probanden einen deutlich angewiderten Gesichtsausdruck mit Maske als wütend ein. Einige Emotionen, wie Glück, Trauer und Wut, bewerteten sie als neutral. "Der emotionale Zustand wurde also gar nicht mehr wahrgenommen," gibt Prof. Carbon zu bedenken.
Es gilt also an dieser Stelle festzuhalten, dass die Schutzmaske zweifelsohne negative Nebenwirkungen auf das menschliche Miteinander hat. Daher empfiehlt Prof. Carbon: "Wir können die Unfähigkeit, Emotionen zu lesen, ausgleichen. Zum Beispiel können wir vermehrt Körpersprache, Gesten und mündliche Kommunikation einsetzen, um weiterhin effektiv sozial interagieren zu können."
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