Mit dem Telefon einen Atomkrieg auslösen

Uneinigkeit um Computer-und Internetverbote

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Man könnte sagen, dass es eine Art Fatwa war, die über den wegen Hackens verurteilten Kevin Mitnick verhängt und vorgestern aufgehoben wurde.

Menschen, die wegen Mordes verurteilt werden, sitzen nicht so lange im Gefängnis wie ich.

Kevin Mitnick

Ein Staatsanwalt erzählte dem Richter, dass ich mit einem Telefon einen Atomkrieg auslösen könne.

Kevin Mitnick

Fanatisch wie die Bundesregierung zu Zeiten der RAF und voller abergläubisch unwissender Angst vor dem undurchschaubaren Monster am Rechner urteilen Gerichte Hacker oft mit drastischen Strafen ab. Im Falle Mitnicks waren es knapp fünf Jahre Gefängnis, darunter acht Monate Einzelhaft plus ein dreijähriges Funk-, Handy-, Computer- und Internetverbot. Vorgestern ging Mitnick in der Fernsehsendung Freedom with the Screen Savers zum ersten Mal wieder online. Trotz beständiger Solidarität seitens seiner Fans und seiner Freunde, die für ihn E-Mails checkten und ausdruckten, kann man die ungute Wucht und die demoralisierende Wirkung eines solchen Banns kaum überschätzen. Screen Savers fragte auf seiner Homepage: Was würdet ihr als erstes tun, wenn ihr drei Jahre (eigentlich waren es bei Mitnick acht) nicht im Netz gewesen wärt? Aus den zahlreichen Kommentaren lassen sich leicht bestimmte Typen herauskristallisieren:

Der Konsumtyp:

Ich wäre wahrscheinlich frustriert zu sehen, dass die meisten meiner Lieblingssites mittlerweile eine Registrierung oder eine Subskription verlangen. Mir würd's aber besser gehen nachdem ich mir einige Clips der Tony Mendez Show sowie den Apple Spot Big and Small angeschaut hätte.

Der Jesus-und-seine-12-Apostel-Typ:

Ich würde 12 Computer um mich herum versammeln und googlen wie ein Irrer. Ich werd schon verrückt, wenn ich einen Tag lang nicht online gehe.

Der Rage-against-the-machine-Typ:

Ich würde Artikel über das Freiheitsbeschränkungen und Diskriminierungen von entlassenen Verbrechern suchen. Da gibt es so viele Horrorgeschichten und nicht genug Menschen, die dagegen kämpfen.

Der Erfolgszuversichtliche:

Ich würde die Sites besuchen, die ich einst gehackt habe, einfach mal hallo sagen und anfragen, ob sie einen Sicherheitsexperten brauchen.

Der Misserfolgsängstliche:

Ich wäre wahrscheinlich zu aufgeregt und würde versehentlich Gator, Bonzi Buddy usw. herunterladen.

Der Spieler:

Ich würde meine Games updaten.

Der Spielverderber:

Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass Kevin das erste Mal wieder surft, seit er aus dem Gefängnis draußen ist??!

Der Provokateur:

Porno, Porno, PORNO!!!

Der Normalo:

Ich würde meine E-Mails checken.

Der Napoleon-Typ:

Als erstes käme natürlich die Google-Suche, um herauszufinden, was meine Nase in Gold wert ist. Dann würde ich alle wissen lassen, dass ich aus dem Exil zurück bin.

Bild:Nitrozac und Snaggy,www.geekculture.com

Anlässlich von Mitnicks virtueller Wieder-Mündigsprechung bemerkt die New York Times (Courts Split on Internet Bans), wie gespalten die Gerichte im Lande sind, wenn es um den "internet ban" geht. Hierzu gab es in der letzten Zeit in den verschiedenen Bundesstaaten einige Präzendenzfälle. Darf man Menschen, die den Computer als gefährlichen Gegenstand benutzen, von diesem Gegenstand per Gerichtsbeschluss, also mit Gewalt, fernhalten?

Das Berufungsgericht für den fünften Bezirk (zuständig für Louisiana, Mississippi und Texas) hat diese Frage für sich mit ja beantwortet. Die Vermeidung einer potentiellen Schädigung der Gesellschaft sei höher zu bewerten als der Eingriff in die persönlichen Rechte des auf Bewährung Freigelassenen. Dass dies eine recht rigide Beschneidung der Freiheit ist und sich auch negativ auf die Arbeitssuche auswirken kann, ließ das Gericht kalt. In einem anderen Fall, es ging um einen Mann, der sich mit Kinderpornografie strafbar gemacht hatte, entschied dasselbe Gericht sogar, nicht nur ein Internetverbot, sondern auch ein Computerverbot zu verhängen.

Für ebenso lebenswichtig und selbstverständlich im täglichen Leben wie das Telefon befand hingegen ein anderes Gericht, zuständig für den Staat New York, den Computer, weshalb man den Umgang mit ihm zwar überwachen aber nicht komplett verbieten werde. Ein drittes Gericht wiederum fällte zwei gegensätzliche Urteile, das jüngste befand ebenfalls, dass ein Verbot eine brutalere Freiheitsbeschneidung darstelle als vernünftig betrachtet notwendig sei.

Vor fünf bis zehn Jahren war man mit solchen Verboten noch weit weniger zimperlich. Kevin Mitnick kann ein Lied davon singen, (welches übrigens evtl. mit Kevin Spacey verfilmt werden soll). Computer waren damals noch etwas exotischer, als heute - jetzt gilt jeder als Exot, der keinen besitzt. Irgendwann werden solche Computer-und Internetverbote so absurd werden wie die Vorstellung, dass man einem Mörder verbietet, zum Brotbuttern ein Messer zu benutzen oder einem Schreibtischtäter den Schreibtisch. Einstweilen ersetzt das Computerverbot bei der Erziehung den Hausarrest.