Moldawien: Seltsamer Schulterschluss zwischen EU- und Russlandfreunden
Seit einer Woche hat das Land zwei Staatsführungen, die sich gegenseitig nicht anerkennen
Im September gibt es vielleicht nicht nur in Österreich, Israel, Sachsen und Brandenburg Parlamentswahlen, sondern auch in Moldawien. Zumindest hat sie dort Pawel Filip für den 6. September ausgerufen. Ob der Politiker der sozialdemokratischen Partidul Democrat din Moldova (PDM) die Befugnis dazu hatte, ist allerdings umstritten, weil er nicht zum Staatspräsidenten gewählt, sondern am 9. Juni vom moldawischen Verfassungsgericht dazu ernannt wurde.
Das hatten die Richter gemacht, weil sich der bis dahin (und nach Ansicht des bestehenden Parlaments auch heute noch) amtierende moldawische Staatspräsident Igor Dodon weigerte, das bestehende Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen, wie es das Gericht vorher verlangt hatte. Anlass dazu war ihm, dass sich Dodons postkommunistische Partidul Socialiștilor din Republica Moldova (PSRM) und das ACUM-Bündnis nicht bis zum 7., sondern erst am 8. Juni auf eine Regierungsbildung einigten. Ihrer Ansicht nach hatten sie dazu ab dem 9. März drei Monate Zeit. Nach Ansicht der Verfassungsrichter waren es nur 90 Tage.
Koalitionsparteien vorher als Gegenpole wahrgenommen
Dass die beiden Parteien so lange brauchten, um sich auf eine Koalition zu einigen, hat auch damit zu tun, dass sie vorher als Gegenpole wahrgenommen wurden: Das ACUM-Bündnis (in dem sich zwei EVP-, eine ALDE-orientierte, und eine Partei, die für eine Vereinigung des Landes mit Rumänien eintrat, zusammenschlossen), galt als EU-euphorisch, die PSRM dagegen als Befürworterin guter Beziehungen zu Russland.
Bei der Wahl am 24. Februar hatten die Moldawier die bis dahin regierenden Sozialdemokraten von der PDM mit einem Verlust von neun Punkten und einem Koalitionspartner zwar abgewählt, aber weder ACUM noch der PSRM eine Mehrheit verschafft. ACUM kam im insgesamt 101 Sitze umfassenden Parlament auf 27, die PSRM auf 34 und die PDM auf 30 Mandate. Sieben Sitze fielen an die neue EU-skeptische Mișcare Social-Politică Republicană Ravnopravie (ȘOR), drei an unabhängige Kandidaten. Deshalb ging anfangs auch Dodon davon aus, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen würde (vgl. Moldawien: Sozialdemokraten abgewählt).
Dann jedoch verabschiedete sich ACUM von seiner Ankündigung, weder mit der PSRM noch mit der PDM zu koalieren. Erleichtert haben dürfte ihr diesen Sinneswandel, dass sie als deutlich kleinerer Koalitionspartner mit der ehemaligen Weltbank-Beraterin Maia Sandu die Ministerpräsidentin und mit Andrei Nastase den Innenminister stellen kann.
Frische Verfassungsrichter
Dass die Verfassungsrichter so vehement auf eine ihrer Ansicht nach abgelaufene Frist zur Regierungsbildung beharrten und alle Handlungen der neuen Parlamentsregierung vorab für nichtig erklärten, könnte auch damit zu tun haben, dass sie nach überraschenden Rückzügen aus gesundheitlichen Gründen mehrheitlich erst in den letzten Monaten an ihre Ämter kamen. Also zu einer Zeit, als die Sozialdemokraten noch regierten, aber schon um ihre Macht bangen mussten.
Vorsitzender dieser Partei ist nicht Filip, sondern der schwerreiche Vlad Plahotniuc. Der galt bis zum Aufstieg des ACUM-Bündnisses als Mann Brüssels, weil er sich Moskau-skeptisch gab - aber auch als Oligarch mit Hang zur nicht ganz sauberen Trennung von öffentlich und privat. Die neue Regierung erwartet sich deshalb das eine oder andere Aha-Erlebnis von einem Untersuchungsausschuss, den die neu gefundene Mehrheit im Parlament am Montag einsetzte. Er soll die Hintergründe des "Verschwindens" von über einer Milliarde US-Dollar von moldawischen Bankkonten 2015 aufklären (Demonstranten stellen Ultimatum an die Regierung).
Deshalb waren manche Beobachter überrascht, dass sich nicht nur die PSRM und ACUM, sondern auch Moskau und Brüssel darauf geeinigt zu haben scheinen, Plahotniuc fallen und seinem Schicksal zu überlassen. Beide erkannten die Parlamentsregierung an. Und auch die USA, die den Sozialdemokraten zu Zeiten der Obama-Administration noch eindeutiger bevorzugt hatten, ließen inzwischen durchblicken, dass sie sich dieser Entscheidung anschließen, auch wenn die moldawischen Verfassungsrichter Filip derzeit als Staatspräsidenten und geschäftsführenden Regierungschef sehen. Dem Willen der Parlamentsregierung nach sollen nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der UN-Sicherheitsrat die Verfassungskrise lösen.
Moldawien gehörte im 19. und 20. Jahrhundert abwechselnd zu Russland (beziehungsweise der Sowjetunion) und zu Rumänien (beziehungsweise dem Fürstentum Moldau). Von den etwa drei Millionen Einwohnern sprechen etwa drei Viertel vorwiegend die Amtssprache Rumänisch und ungefähr 15 Prozent Russisch. Darüber hinaus gibt es eine ukrainische, eine bulgarische und eine christlich-türkische (gagausische) Minderheit.
Beim Zerfall der Sowjetunion machten die Russen und Ukrainer östlich des Dnjepr und die Gagausen im Süden eigene Ansprüche auf Unabhängigkeit von der ehemaligen Sowjetrepublik geltend. Die Gagausen akzeptierten 1994 einen Verbleib bei Moldawien mit weitgehenden Autonomierechten, während sich in Transnistrien - wo die Bevölkerung zu etwa gleichen Teilen aus Russen, Rumänen und Ukrainern besteht - nach einem Krieg mit über tausend Toten ein De-Facto-Staat mit eigener Verwaltung und eigener Währung etablierte, der seit fast 30 Jahren von dort verbliebenen russischen Streitkräften geschützt wird. Ein Angebot Moskaus, Moldawien als Bundesstaat wiederzuvereinen, wurde 2003 von der Regierung in Kischinau zurückgewiesen.
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