"Moldawischer Maidan" und Verbindungen nach Deutschland
Droht ein gescheiterter Staat am Rande Europas?
Das zwischen Rumänien, der Ukraine und dem Schwarzen Meer eingeklemmte Moldawien gehört - politisch und wirtschaftlich gesehen - zu den bedauernswertesten Regionen des Kontinents. Seine 3,1 Millionen Einwohner sind die ärmsten Europäer; im Human Development Index der Vereinten Nationen rangiert das Land auf Platz 114 von 187 Ländern. Ein Gemeinwesen, das manche Politiker perspektivisch schon als EU-Mitglied handeln, sieht anders aus.
Moldawien ist auch ein Sinnbild für das Scheitern der EU-Politik gegenüber den nicht-russischen europäischen Sowjetrepubliken, Östliche Partnerschaft genannt. Der Grund liegt weniger in dem 24 Jahre alten eingefrorenen Transnistrien-Konflikt als in der offensichtlichen Unfähigkeit der moldawischen Eliten, trotz vergleichsweise geringer Einmischung von außen ein halbwegs funktionierendes Staatswesen auf die Beine zu stellen.
Seit 2009 Pro-EU-Parteien an der Macht
Noch vor wenigen Jahren machten die meisten Beobachter dafür die bis 2009 regierenden Kommunisten verantwortlich. Seitdem jedoch sind Parteien an der Macht, die sich ihrem Programm nach pro-westlich und pro-europäisch geben. Doch Wohlstand und Demokratie bleiben für den Großteil der Einwohner Wunschträume. Umso mehr wird die moldawische Politik von reichen und einflussreichen Geschäftsleuten bestimmt.
Deren vorläufigen Höhepunkt markierte ein Bankenskandal von vergleichsweise astronomischem Ausmaß. Ende 2014 tauchten Gerüchte auf, wonach die Eigentümer dreier Geschäftsbanken Einlagen im Umfang von insgesamt 1 Milliarde US-Dollar illegal außer Landes geschafft hatten - über zwölf Prozent der Jahreswirtschaftsleistung. Es kam zu massiven Protesten in der Hauptstadt, im Februar 2015 folgte ein Bankensturm, und der moldawische Leu brach um 40 Prozent ein. Seit Oktober 2015 sitzt der Oligarchen-Politiker Wlad Filat, Premierminister von 2009-2013, wegen dieser Machenschaften in Untersuchungshaft.
Hinter dem Regierungschef steht der reichste und mächtigste Moldawier
Regierungschef seit Januar 2016 ist Pawel Filip von der pro-europäischen Demokratischen Partei Moldawiens (DPM). Seit den Unruhen im Februar vergangenen Jahres ist er der fünfte Premierminister. Die Vorgänger scheiterten an Misstrauensvoten und strafrechtlichen Verfolgungen wegen gefälschter Schulzeugnisse oder übten das Amt nur als Platzhalter aus.
Hinter der DPM steht der reichste und mächtigste Moldawier: Wladimir Plahotniuc. Schon zu Zeiten des kommunistischen Präsidenten Wladimir Woronin bewegte der 1966 geborene Unternehmer und Politiker sich im Umfeld der Macht. Daran hat sich seit Woronins Abgang nichts geändert.
Plahotniuc gehören die TV-Sender Publika, Prime, Canal 2 und Canal 3, außerdem drei Radioanstalten. Allein die Fernsehsender machen 70 Prozent des moldawischen TV-Angebots aus. Zwei weitere TV-Stationen gehören einem Abgeordneten der Liberaldemokraten, drei Fernsehsender sind in russischer, einer in amerikanischer Hand. Hinter Jurnal TV steht Plahotniucs Rivale Viktor Zopa. Von ihm wird noch zu hören sein.
Bewegung "Würde und Wahrheit"
In den Tagen der Bankenkrise wurde im Februar 2015 in der Hauptstadt Chisinau die zivilgesellschaftliche Bewegung "Würde und Wahrheit" gegründet. Ihr Leiter ist der frühere Staatsanwalt Andrei Năstase. Als Organisatorin weiterer Demonstrationen, so im September 2015, als über 100.000 Menschen - drei Prozent der Gesamtbevölkerung - in Chisinau gegen Korruption und Oligarchen-Herrschaft aufmarschierten, erwarb "Würde und Wahrheit" sich im Westen bald den Ruf eines "moldawischen Maidan" in Anlehnung an die Kiewer Protestbewegung 2013/14. Im Dezember 2015 entstand daraus eine Partei namens Plattform Würde und Wahrheit.
In jener Zeit tauchten auch die ersten Berichte auf, wonach die vermeintliche Grassroots-Bewegung in Wirklichkeit ein politisches Werkzeug zweier nicht verwandter Oligarchen mit demselben Familiennamen - Zopa - im Kampf gegen ihren Erzfeind Wladimir Plahotniuc sei. Beide Zopas, Viktor und Wiorel, leben seit einigen Jahren in Frankfurt am Main. In ihrer moldawischen Heimat wurden die beiden zu zehn bzw. acht Jahre Haft wegen Betrugsvergehens verurteilt. Darüber hinaus wird ihnen Waffenhandel und Geldwäsche vorgeworfen.
In Deutschland sind sie angeblich als politisch Verfolgte geduldet. Die Zopas selbst behaupten, nur aufgrund von Intrigen des Rivalen Plahotniuc, der sie um große Aktienpakete betrogen habe, überhaupt verurteilt worden zu sein. Ob ihre deutschen Gastgeber uneingeschränkt glücklich mit den beiden sind, ist fraglich. So sollen sie 2011 in den dubiosen Verkauf des deutschen Regierungs-Airbus‘ "Theodor Heuss" über die Ukraine in den Iran verwickelt gewesen sein.
In einer Stellungnahme aus dem letzten Jahr behaupten beide Zopas, mit der "Entstehung und Etablierung" der Bürgerplattform "Würde und Wahrheit" nicht das Geringste zu tun zu haben und sie auch keinesfalls finanziell zu unterstützen. Das wird von anderer Seite bezweifelt.
In moldawischen Internetmedien kursieren Fotografien, die angeblich Victor Zopa Ende April 2016 mit Andrei Năstase, dem Chef der Plattform Würde und Wahrheit, vor einem Frankfurter Lokal zeigen; auch eine Mercedes-S-Klasse mit Frankfurter Kennzeichen, die Năstase gehören soll, wird abgebildet.
Năstase soll auch Zopas Trauzeuge gewesen sein. Zur Finanzierung der Bewegung und jetzigen Partei heißt es, auf den Konten von Năstases Mutter und Schwiegermutter seien über 200.000 Euro von Offshore-Gesellschaften eingegangen. Gelder aus Offshore-Quellen finanzieren demzufolge auch Viktor Tsopas Kanal Jurnal TV. Dort wird massiv Werbung für "Würde und Wahrheit" betrieben.
Erinnerungen an die 1990er Jahre in Russland
Die Situation in Moldawien erinnert fatal an die neunziger Jahre in Russland. Ob Medien, Parteien oder Institutionen, alles wird mobilisiert im Dienst ambitionierter Superreicher auf der gierigen Suche nach noch mehr Macht und noch mehr Geld. Auch das Ausland, ob Russland oder die westlichen Länder, dient nur dem eigenen Zweck. Man weiß exakt, was die Diplomaten und Journalisten gerne hören, und je nach ihrer Herkunft wird die Botschaft maßgerecht angepasst.
Zu glauben, was die einen über die anderen oder auch von sich selbst behaupten, ist aussichtslos. Jeder dementiert alles, was der Rivale äußert. Alle wetteifern beim Sammeln kompromittierenden Materials, und jeder setzt es genüsslich ein, wenn die Zeit gekommen ist.
Wie das funktioniert mit der Mimikri, verrät beispielhaft ein Satz aus der zitierten Stellungnahme der Zopas: "Wir wenden uns (…) an alle Unternehmen und treuen Menschen, die unabhängigen Medien zu unterstützen im Hinblick auf den Aufbau eines demokratischen Staates und einer Gesellschaft, die auf echten europäischen Werten beruhen."