Moral oder Geschäft?

Warum soll eigentlich über die Lösegeldzahlung und andere Einzelheiten des Geschäfts, durch das Thomas Nitzschke und Rene Bräunlich aus der Geiselhaft im Irak befreit werden konnten, nicht gesprochen werden?

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Lösegeldzahlungen sind ein schwieriges Thema. Menschen, die gefangen genommen und verschleppt wurden, werden zu einer Ware, die auf dem Markt angeboten werden. Bei rein kriminellen Geiselnahmen werden vermögende Privatpersonen erpresst, bei politischen Geiselnahmen versuchen die Geiselnehmer ein Ziel oder ebenfalls Geld für das Leben der Geisel zu erhalten. Dahinter steht die Frage, was ein Einzelleben wert ist.

Die Bundesregierung würde gerne verordnen, dass über Details Stillschweigen gewahrt wird, wie René Bräunlich und Thomas Nitzschke aus der Geiselhaft befreit werden konnten. Vor allem ist man aus verständlichen Gründen daran interessiert, dass möglichst nicht über Geld gesprochen wird, das für die Freilassung gezahlt wurde. Dass die Regierung Lösegeld zahlte, ist ein dennoch ein offenes Geheimnis. Auch wenn nicht explizit darüber gesprochen wird, wissen dies besonders auch potenzielle Entführer im Irak, die möglicherweise nur auf das nächste Opfer warten und schon einmal die Fallen aufstellen.

Geschäftsinformationen dürften in der irakischen Geiselindustrie sicherlich zirkulieren, da die Drahtzieher damit ausrechnen, ob sich der Einsatz lohnt. In den Insiderkreisen kennt man die Preise, die sich verlangen lassen. Sollen also eher die deutschen Bürger nicht wirklich Bescheid wissen? Niemand glaubt zudem allen Ernstes, dass die Bundesregierung nicht erpressbar sei, wie man dies seitens der Bundesregierung ritualhaft wiederholt, um damit vergeblich die bösen Geister zu vertreiben.

Die Bundesregierung lässt sich nicht erpressen, es ist unser Grundsatz, dass die Bundesregierung Lösegeldzahlungen ablehnt.

Staatssekretär Reinhard Silberberg

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios sollen über zehn Millionen Dollar für Kauf der Geiseln bezahlt worden sein. Das entspreche dem üblichen Geldwert für ausländische Geiseln im Irak. Damit steht auch ein Wert fest: 5 Millionen Dollar oder mehr pro Person. Das ist Verhandlungssache, und wie immer kommen auch die Mittelsmänner, die Händler, ins Spiel, die auch ihren Anteil haben wollen, damit die Ware vom Anbieter zum Käufer gelangt.

Kann man so über das glückliche Ergebnis sprechen, dass zwei deutsche Männer nach mehr als nach drei Monaten Geiselhaft wieder zurück zu ihren Angehörigen, in die Heimat und in die Freiheit kommen konnten? Ist das Leben von Menschen nicht 10 Millionen Dollar, vielleicht weniger oder auch mehr, wert – prinzipiell, auch wenn viele Menschen für sehr viel weniger Geld zu retten wären? Und warum sollte man nicht über das Geschäft sprechen, denn dem Handel haben die beiden deutschen Geiseln ja auch ihr Leben zu verdanken? Die Bundesregierung versucht mit der Aufforderung, möglichst nicht übers Geschäft zu sprechen, die Preise nicht weiter ansteigen zu lassen – sicher auch im Hinblick auf die noch festgehaltenen Geiseln anderer Staaten. Wer 5 Millionen pro Person bezahlt, gibt vielleicht auch sechs. Und wann ist das Ende erreicht? Wird das am üblichen Preis gemessen?

Geiselnahme und Rückkauf von Geiseln sind allerdings, wenn es sich nicht um ein Geschäft zwischen Geiselnehmern und Privatpersonen handelt, nicht nur eine Frage des Marktes, sondern auch der Politik, also beispielsweise der Beziehungen zu anderen Staaten. Andererseits ist Politik auch immer Wirtschaftspolitik. Und wenn der Staat Gelder zahlt, dann sind dies Steuergelder. Sollen dann die Bürger nicht darüber sprechen oder von den Politikern, die zu Händlern werden, Rechenschaft verlangen können?

Zudem gibt es prinzipielle Fragen zu klären: Hat jeder, der zur Geisel wird, einen Anspruch darauf, dass Millionen für ihn bezahlt werden? Gibt es eine Grenze nach oben? Kommt es auf die Region an? Wie wird bestimmt, ob Selbstverschulden vorliegt? Ab wann müssen sich die freigekauften Opfer – oder die Arbeitgeber, die sie geschickt haben – an den Kosten beteiligen? Sollten deutsche Staatsbürger, die in bestimmte Regionen als Journalisten, Geschäftsleute oder was auch immer fahren, eine Versicherung für Lösegelder – eine „Lebensversicherung“ - abschließen, wenn denn eine solche geschaffen werden könnte?

Der Staat steht zwar unter Handlungszwang, aber nicht unbedingt – siehe Schleyer. Unter welchen Bedingungen bleibt der Staat hart und lässt sich tatsächlich nicht erpressen? Hätten Bürger, trotz aller Probleme, die das für den Handel und für den Markt mit sich bringen könnten, nicht ein Recht darauf, darüber aufgeklärt zu werden oder darüber frei diskutieren zu können – auch in den Medien, die ja die Öffentlichkeit herstellen? Es kann sinnvoll sein, dass sich der Staat nicht erpressen lässt, aber dann wird ein Mensch oder wenige Menschen womöglich der Allgemeinheit geopfert – ähnlich wie dies beim Abschuss eines entführten Flugzeugs wäre, das sich in der Hand von Selbstmordattentätern befindet. Darf man Menschenleben quantitativ gegeneinander aufwiegen? Und wer darf dies im Namen von wem? Dass es gemacht wird, belegt aber der Handel, bei dem schließlich Lösegeld gezahlt wird – oder auch nicht. Moralisch freilich wäre es wohl ein Skandal, wenn für die einen Millionen gezahlt werden, während die anderen im Irak und anderswo einen stummen Tod als Opfer eines Anschlags oder einer Entführung sterben – oder auch nur, weil ein paar Dollar für Essen oder ein Medikament gefehlt haben.