Moralische Gründe für die Forschung an embryonalen Stammzellem
Amerikanische Wissenschaftler und Ethiker warnen vor dem Nachgeben gegenüber religiös motivierten Verboten
Während in Deutschland, zumindest was die Präsenz in den Medien angeht, die Gegner der Forschung an embryonalen Stammzellen eher Oberhand zu haben scheinen und argumentieren, sie hätten das Grundgesetz hinter sich, wenn sie derart angeblich bedingungslos die Würde des Menschen von Beginn der Befruchtung an gegen Anmaßungen der Wissenschaft und der Regierung verteidigen, treten in den USA wie zuvor schon in Großbritannien zumindest die Wissenschaftler stärker an die Öffentlichkeit. Das haben bereits eine Reihe von Nobelpreisträgern gemacht (Das therapeutische Potenzial von embryonalen Stammzellen ist außerordentlich groß). Jetzt fordern Wissenschaftler von Advanced Cell Technology, auch im Bereich Klonen von Tieren tätig, und Bioethiker in der neuesten Ausgabe von Science (18.05.2001:1299), dass aus moralischen Gründen die Forschung mit staatlichen Geldern gefördert werden müsste.
Zwar geht in den USA nicht wie in Deutschland um eine Ermöglichung der Forschung an embryonalen Stammzellen, denn die kann ganz legal ausgeführt werden. Strittig ist lediglich, ob diese Forschung mit öffentlichen Geldern finanziert werden soll. Die Clinton-Regierung hatte dazu bereits die Weichen gelegt (US-Regierung wird staatlich finanzierte Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen erlauben), doch die konservative Bush-Regierung hat schon einmal das erste Treffen des Komitees der National Institutes of Health (NIH) abgesagt, bei dem die Anträge auf Förderung von Stammzellenforschung begutachtet werden sollten. Das war bereits ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bush-Regierung die Förderung einstellen will. Von einem Verbot, wie es in Deutschland besteht, ist deswegen noch keine Rede.
Schon allein die durch die Absage verursachte Verzögerung wird von den Wissenschaftlern gebrandmarkt, denn sie führe zu wirklichen Kosten in Bezug auf das Leiden der Menschen. Angeblich würden nach den Daten der Centers for Disease Control täglich 3.000 Amerikaner an Krankheiten sterben, die in Zukunft möglicherweise mit Stammzellen geheilt werden könnten.
Für die Förderung der Forschung würden überdies drei moralische Gründe sprechen. Zwar würde die Forschung verlangsamt, wenn sie nicht vom Staat gefördert werde, aber sie würde deswegen nicht eingestellt werden: "Private Organisationen und Wissenschaftler im Ausland werden die Lücke füllen. In einigen Fällen werden sie dies ohne die umfassende ethische Kontrolle machen, die von den gesetzlichen Regelungen für Menschen in den USA erfordert wird." Das mag zwar realistisch sein, ist jedoch eigentlich kein moralisch Argument, sondern bestenfalls ein pragmatisches.
Der zweite moralische Grund für die Stammzellenforschung ist, dass das Verbot einer Forschungsförderung nicht den Tod menschlicher Embryos verhindern würde. Jedes Jahr würden Tausende von Embryos, die für die künstliche Befruchtung nicht gebraucht würden, getötet werden. Für die Forschung sei nur eine sehr kleine Zahl notwendig, um Kulturen von Stammzellenlinien anzulegen, die es dann sowieso erlauben würden, ohne die zusätzliche Tötung von Embryos weiter zu forschen. Die moralische Entscheidung sei, ob man die Embryos einfach wegwerfe oder zum Nutzen der Menschheit verwende. Wenn überzählige Embryos hergestellt wurden, dann ist in der Tat kaum zu begründen, warum nicht Zellen von ihnenfür die Forschung verwendet werden könnten.
Als drittes Argument wird aufgeboten, dass die USA ein religiös und moralisch pluralistischer Staat seien. Diejenigen, die Forschung an embryonalen Stammzellen ablehnen, würden dies in aller Regel aus religiösen Gründen heraus machen, die aber nicht von allen Bürgern geteilt werden. Daher sollte hier der Staat neutral bleiben und sich auf eine Politik beschränken, die dem allgemeinen Wohl dient. Und just dies wäre eine Förderung der Stammzellenforschung.
So einfach können amerikanische Wissenschaftler und Ethiker in einem angesehenen Wissenschaftsjournal argumentieren. In Deutschland würden sie gleich von einigen in die Mengele-Fraktion eingereiht werden. Natürlich stecken hinter dem Aufruf, die vielversprechende Forschung mit embryonalen Stammzellen zu fördern, handfeste Interessen. Aber die könnten auch hinter der Position derjenigen stecken, die sie weiterhin verbieten wollen.