Mord an Abu Akleh: Al Jazeera verklagt israelische Streitkräfte in Den Haag (Update)

Seite 2: Tod keineswegs außergewöhnlich

Der Tod der palästinensischen-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh vor einem halben Jahr ist keineswegs außergewöhnlich. Denn Gewalt findet alltäglich in den von Israel kontrollierten und okkupierten Palästinensergebieten Westjordanland und Gazastreifen statt. In der letzten Woche wurden allein neun Palästinenser in Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee getötet.

Seit 2018 sind insgesamt mindestens 144 palästinensische Journalisten von israelischen Sicherheitskräften in den besetzten Gebieten verwundet und zwei getötet worden, berichtet Reporter ohne Grenzen. Abu Akleh wäre, wenn man der Indizienlage folgt, das dritte Opfer.

Über 45 palästinensische Journalisten sind seit dem Jahr 2000 von israelischen Streitkräften erschossen worden, so das palästinensische Informationsministerium. Nach UN-Angaben sind im letzten Jahr zudem 380 Palästinenser, darunter 90 Kinder, von israelischen Soldaten getötet worden.

Was den Fall Abu Akleh besonders macht, ist, dass das übliche Unter-den-Teppich-Kehren diesmal nicht wie sonst funktioniert. Das hat seine Gründe. Denn bei der Getöteten handelt es sich um eine bekannte TV-Journalistin mit US-Pass, und der Vorfall wurde von einer Reihe von Journalisten beobachtet und aufgenommen.

Der neue und ergreifende Dokumentarfilm "The Killing of Shireen Abu Akleh" für die Sendung "Fault Lines" von Al-Jazeera-Reporter Sharif Abdel Kouddous ist daher nicht nur ein Film über den Tötungsvorgang selbst, sondern auch einer über die israelische Vertuschungs-PR danach.

The Killing of Shireen Abu Akleh | Fault Lines

Er dokumentiert, wie ein Schuss unterhalb des Schutzhelms die prominente wie beliebte Al-Jazeera-Journalistin – die seit einem Vierteljahrhundert für den Sender berichtete und in der arabischen Welt allseits geschätzt wurde – in den Kopf traf und tötete. Shireen Abu Akleh trug wie ihre Kolleg:innen eine blaue Schutzweste mit "Presse"-Aufschrift, als sie sich in Dschenin im Westjordanland aufhielt, um von dort zu berichten.

Unmittelbar nach dem tödlichen Schuss behauptete Israel, dass ein palästinensischer Schütze die Journalistin erschossen habe. Nachdem ein Video der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem diese Erzählung widerlegte und Zeugen, einschließlich einer Reihe von Journalisten vor Ort, aussagten, dass Abu Akleh von israelischen Soldaten getötet worden sei, änderten die Behörden ihre Aussage.

Schließlich wurde behauptet, Abu Akleh sei ins Kreuzfeuer geraten, als "ein palästinensischer Bewaffneter mehrere Schüsse auf den israelischen Soldaten abfeuerte". Untersuchungen von diversen Medien wie der New York Times oder CNN belegen jedoch, dass es keine Gefechte vor Ort gegeben habe und die tödlichen Schüsse von der Stelle gekommen sind, wo sich die israelischen Scharfschützen befanden.

Aufgrund der Beweislast und des internationalen Drucks änderte das israelische Militär erneut die Storyline. Jetzt behauptete man, dass Abu Akleh möglicherweise von einem israelischen Soldaten getötet wurde, aber der Schuss ein unbeabsichtigter Unfall inmitten eines Schusswechsels gewesen sei.

Eine UN-Untersuchung kommt jedoch zu dem Schluss, dass es sich um "mehrere einzelne, anscheinend gezielte Schüsse … aus Richtung der israelischen Sicherheitskräfte" auf die sieben gut erkennbaren Journalisten gehandelt habe. Gefechte vor Ort habe es nicht gegeben.

Der Al-Jazeera-Dokumentarfilm liefert nun einen Video-Beweis dafür, dass es sich um eine gezielte Tötung gehandelt hat. Die darin zum ersten Mal veröffentlichten Aufnahmen, die vor und während der Erschießung gemacht wurden, dokumentieren nicht nur, dass es vor Ort keine Gefechte gegeben hat, sondern auch, dass mindestens ein israelischer Soldat die Journalisten mehrmals bewusst beschoss.