Mordanschläge gegen prorussischen Journalisten und Politiker in der Ukraine
Kiew macht ausgerechnet Moskau verantwortlich, Verschwörungstheorien gedeihen
In der Ukraine haben in letzter Zeit Anschläge überwogen, die vermutlich von Separatisten ausgegangen waren. Zudem wurden vom Geheimdienst SBU immer mehr Menschen verhaftet, die des Separatismus verdächtigt wurden, eine politische Haltung, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ebenso wie jetzt auch kommunistische Symbole und Propaganda verboten sind und russische Journalisten nicht mehr aus der Ukraine berichten dürfen.
Zu vermuten ist, dass Anschläge und Sabotageakte sich weiter mehren - nicht nur dank des Kriegs mit den abtrünnigen "Volksrepubliken", sondern auch wegen der Lustration, also der Säuberung von öffentlichen Posten, wo wie auch immer begründet oder willkürlich tausende Beschäftigte, die dort während der Janukowitsch-Regierung gearbeitet haben, entlassen werden. Die politische Klasse sorgte allerdings dafür, dass die Abgeordneten nicht lustriert werden, sonst hätte es auch Angehörige der Regierungsparteien erwischt. Präsident Poroschenko, der sich auch von seinen Unternehmen und Beteiligungen nicht wie gefordert trennen will, war beispielsweise Wirtschaftsminister unter Janukowitsch. Der Ex-Übergangspräsident, Ex-Präsident des Parlaments und jetziger Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats Olexandr Turtschynow war zweitweise unter Janukowitsch kommissarischer Regierungschef.
Es gab zwar auch sonst immer mal wieder Übergriffe auf Politiker und Regierungskritiker, jetzt sind aber kurz aufeinander zwei Mordanschläge geschehen, die aufhorchen lassen. Sie setzen die Ukraine unter Druck. So fordern sowohl die OSZE als auch selbst das US-Außenministerium eine schnelle Aufklärung. Präsident Poroschenko sah sich genötigt, sich dazu zu äußern. Er verlangt eine schnelle Aufklärung, das sei eine Sache der Ehre. Allerdings kommt die Aufklärung auch bei großen Fällen wie den Schüssen auf dem Maidan oder der Katastrophe in Odessa nicht voran.
Am Mittwochabend wurde Oleh Kalaschnikow, ein früherer Abgeordneter der Partei der Regionen, vor der Eingangstür zu seiner Wohnung erschossen. Er war bei der Maidan-Bewegung nicht beliebt, weil er einer der Organisatoren des Anti-Maidan war, als zur Unterstützung von Janukowitsch ein Zeltlager auf dem Mariinsky-Platz eingerichtet wurde. Zuletzt hat er dazu aufgerufen, den 70. Jahrestag des Siegs im Großen Vaterländischen Krieg auch in der Ukraine zu feiern und offenbar Todesdrohungen deswegen erhalten. Er ist der vierte Abgeordnete der Partei der Regionen, der eines unnatürlichen Tods gestorben ist. Mikhail Chechetov soll sich am 28. Februar aus dem Fenster getürzt haben, um Selbstmord zu begehen, nachdem er wegen Betrugs und Amtsmissbrauch angeklagt wurdem. Am 10. März folgte Stanislav Miller, der sich angeblich selbst erschossen hat, und am 12. März der frühere Gouverneur der Region Zaporozhye, Alexander Peklushenko,
Gestern haben Unbekannte den ukrainischen, aber regierungskritischen bzw. prorussischen Journalisten Oles Buzyna (45) vor seinem Haus im Kiew erschossen. In seinem letzten Interview hat er noch einmal seine Maidan kritische Haltung dargelegt und gesagt, dass seine Haltung der ukrainischen Regierung unangenehm sei. Nach einer Mitteilung des Beraters des Innenministers, Anton Herashchenko, hätten die Täter in einem Ford Focus gesessen - mit einem Kennzeichen aus Litauen oder Weißrussland, angeblich aber nicht aus der Ukraine (er wurde mittlerweile unweit des Tatorts mit einem italienischen Nummernschild gefunden). Es sehe so aus, so schrieb er, als würden Zeugen im "Anti-Maidan-Fall kontinuierlich erschossen". Wollte Herashchenko damit Angst in gewissen Kreisen erzeugen? Jedenfalls schrieb er weiter, dass alle, die "mit der Organisierung und Finanzierung des Anti-Maidan oder anderen illegalen Aktionen gegen den Maidan verbunden sind und ihr Leben bedroht sehen", sich bei der Polizei melden sollen, "um nicht Kalashnykov and Buzyn zu folgen".
Herahchenko wies den auch gleich mit dem Finger auf Moskau. Er könne nicht ausschließen, dass der Mordanschlag von Moskau länger geplant worden sei. Er könne die Destabilisierung der Ukraine und das Schüren von anti-ukrainischer Stimmung in Russland bezwecken. Nachdem gestern die Morde auch bei der "Bürgersprechstunde" von Putin zum Thema wurden, wiederholte er die Vermutung, dass dies von Moskau geplant gewesen sein könnte, da der Moderator so gut Bescheid wusste. Putin hatte gesagt, es sei nicht der erste politische Mord, der in der Ukraine geschehen sei.
Zur Ermordung von Kalashnykov hatte der Berater erklärt, es würden vier Theorien verfolgt, ein Grund könne seine Aktivität beim Antimaidan sein, es könne sich um geschäftliche Interessen gehandelt haben, in Frage kämen auch persönliche Beziehungen oder einfach Raub. Er habe viel gewusst, wie und wer den Antimaidan in Kiew finanziert habe und wird diese Geheimnisse mit in sein Grab nehmen. Aber nicht nur er habe viel gewusst: "Wie man sagt, Dokumente verbrennen nicht." Offenbar wollte er damit den Verdacht auf ehemalige Kreise der Janukowitsch-Zeit lenken. Ein Abgeordneter schreibt auf Facebook, habe angeblich vor seinem Tod zugestimmt, als Zeuge gegen Geldgeber des Antimaidan aufzutreten.
Die Gerüchteküche brodelt also. So wird etwa in einem Kommentar gesagt, "Putin braucht Leichen in der Ukraine", um endlich beweisen zu können, dass es faschistischen Terror gibt, was er bislang nur behaupten konnte. Bislang seien alle Destabilisierungsversuche durch Anschläge nicht erfolgreich gewesen, um Angriffe auf die russische Bevölkerung zu provozieren. Der russische Geheimdienst habe mit den Mordanschlägen jetzt begonnen, eine neue Offensive vorzubereiten, die bis zum 9. Mai erwartet werde.
Auch die ukrainische Nachrichtenagentur Unian veröffentlichte zur Stimmungsmache ein Interview mit dem Leiter des Zentrums für Angewandte Politische Studien, Volodymyr Fesenko, der Verschwörungstheorien verbreitete. Nach seiner Ansicht sind die Morde kurz bevor Putins Fragestunde inszeniert worden, "um die These eines angeblichen politischen Terrors in der Ukraine zu bestätigen". Die beiden bekannten, aber in der "Protestbewegung" relativ unwichtigen prorussischen Personen seien "ein rituelles Opfer auf dem Altar der russischen Propaganda", was gleichzeitig das Ausmaß der in der Ukraine von vielen Stellen verbreiteten Propaganda belegt. Alles weise daraufhin, dass diese Morde für die Russen, aber auch zur Diskreditierung der Ukraine in Europa ausgeführt wurden.
Auch Poroschenko ist der Überzeugung, dass die Morde der prorussischen bzw. separatistischen Sympathisanten auf das Konto von Moskau gehen, ohne mehr als Verschwörungstheorien vorzulegen: "Es ist offensichtlich, dass diese Verbrechen den gleichen Hintergrund haben. Ihre Natur und ihr politischer Sinn sind klar. Es handelt sich um eine bewusste Provokation, die unseren Feinden zugutekommt. Sie zielt auf die Destabilisierung der internen politischen Situation in der Ukraine und sucht die politische Entscheidung des ukrainischen Volks zu diskreditieren." Das kommt schnell aus der Hüfte geschossen und sollte die EU tatsächlich misstrauisch machen. Während man beim Nemzov-Mord sofort einhellig auf den Kreml zeigte, sollte man hier eine Verwicklung von antirussischen ukrainischen Kräften nicht einfach deswegen beiseiteschieben, weil sie der russischen Propaganda entspricht.
Im Informations- oder Medienkrieg, der von allen Seiten, inklusive Nato und EU, geführt wird, werden Menschen kaltblütig ermordet. Aber man sollte deswegen aus extrem vorsichtig sein, ohne Beweise einer bestimmten Seite die Schuld anzulasten.