Mündet der laue Herbst in ein heißes Jahr 2023?

Seite 2: Bei dieser Streikwelle ist etwas anders

"Müssen noch mehr Streiks wirklich sein?" "Wie angemessen sind Streiks?" Oder: "Einfach eine Zumutung." Angesichts massiver Arbeitskämpfe in Deutschland liegen die Nerven blank. Denn am kommenden Montag bewegt sich wohl kaum mehr etwas. Bahnen und Busse werden bestreikt, ebenso der Flugzeug- und Schiffsverkehr.

Mit einem doppelten Warnstreik werden die Eisenbahngewerkschaft (EVG) und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi den Verkehr im Land lahmlegen. Ausfälle und Verspätungen werden Millionen Menschen zu spüren bekommen.

Da regt sich Unmut und die stets wiederkehrende Frage wird laut: Wieso müssen Bürger leiden, wenn bestimmte Belegschaften für Entlohnung und Arbeitsbedingungen kämpfen? Befördert wird dieses Narrativ von interessierter Seite.

Selbst immer noch mächtige Verdi steht im Visier, was lange nicht vorgekommen ist. Einige solcher Töne erinnern an die Kampagne gegen den Streik der Lokomotivführer 2014, als von "Partikularinteressen" und "Geiselhaft" die Rede war.

Doch es hilft alles nichts: Der Fernverkehr werde am Montag eingestellt, informierte die Bahn AG Am Donnerstag. Auch der Nahverkehr werde bundesweit massiv beeinträchtigt sein: "Wenn möglich, verschieben Sie bitte geplante Reisen."

Für ihre 2,5 Millionen Bundes- und Kommunalbediensteten fordern Verdi und der Beamtenverband (dbb) 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro monatlich. Die EVG streitet mit mehreren Bahnunternehmen um mehr Geld für ihre Mitglieder, vor allem aber mit der Deutschen Bahn.

Die Arbeitgeber hatten drei und zwei Prozent Erhöhung in diesem und dem kommenden Jahr angeboten, hinzu sollten Einmalzahlungen gegen die inflationsbedingte Belastung kommen. Die Inflation lag 2021 und 2022 aber bei elf Prozent – und hält an.

Der Sozialkampf hat politische Folgen. Die Belastungen durch die Corona-Krise und dann den Ukraine-Krieg und die Folgen der Sanktionen sind bis weit in den Mittelstand zu spüren. Ob die Menschen noch die Haltung von Außenministerin Annalena Baerbock teilen?

Die Grünen-Politikerin sagte Anfang Februar in Kiew, "Deutschland" sei mit Blick auf die Russland-Sanktionen "bereit, dafür einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen".

Arbeitgeberverbände fordern angesichts der Kampfmaßnahmen der Gewerkschaften bereits eine Einschränkung des Streikrechtes. DGB-Chefin Yasmin Fahimi äußerte sich dazu sehr deutlich:

In Summe ist Deutschland ein Niedrigstreikland. Es wird bei uns im Vergleich zum europäischen-internationalen Vergleich extrem wenig gestreikt. Insofern ist das der Versuch, Stimmung gegen das Streikrecht zu machen, was ich wirklich hochproblematisch finde.

Yasmin Fahimi

Klar ist bislang: Der heiße Herbst ist ausgeblieben. Aber soziale Unsicherheit und wirtschaftliche Krisen sorgen für merkbaren Unmut. Dass die Arbeitgeberseite angesichts der zu erwartenden Arbeits- und Sozialkämpfe schon jetzt das Streikrecht in Frage stellte, ist ein Indiz dafür, wie die sich überlagernden Krisen das Fundament der deutschen Nachkriegsgesellschaft ins Wanken bringen. DGB-Chefin Fahimi weist zurecht darauf hin, dass hier mal eben so laut über die Abschaffung oder Einschränkung eines Grundrechts nachgedacht wird.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Schafft es die Ampel-Koalition, die Herausforderungen zu meistern?

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