Multipolare Weltordnung: Warum mehr Konkurrenten die Welt nicht friedlicher machen

Seite 2: Von einer Kriegserklärung gegen den Dollar wird einstweilen abgesehen

Mit den neuen Mitgliedern Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate repräsentieren sie immerhin rund 46 Prozent der Weltbevölkerung und haben einen Anteil von 36 Prozent an der Weltwirtschaftsproduktion.

Untereinander möchten sie ihre Geschäfte mehr in nationalen Währungen abrechnen als im Dollar. Russland, China und Indien praktizieren dies in Teilen bereits. Insgesamt aber betrifft dies nur ein geringes Volumen des Handels.

Außerdem legt nach wie vor der Dollar-dominierte Weltfinanzmarkt die Wechselkurse der nationalen Währungen fest. Die Abwertung des Rubels stellt zum Beispiel China und Indien vor Probleme.

Eine noch viel größere Nummer stellt der Plan einer gemeinsamen Währung der Brics-Gruppe dar. So könnte etwa das Ölgeschäft nicht mehr in Petrodollar laufen, sondern in Brics-Geld. Entsprechend geschwächt wäre das Weltgeld, und die Fähigkeit der USA, sich beinahe grenzenlos zu verschulden, gefährdet.

Vor dieser ökonomischen Kriegserklärung scheuen derweil die Brics-Staaten zurück. Die gemeinsame Währung steht nicht ganz oben auf der Agenda. Immerhin soll eine eigene Entwicklungsbank mehr finanziellen Rückhalt geben.

Aber auch die steckt in der internationalen Auseinandersetzung zurück: Dilma Rousseff, Chefin der "New Development Bank" (NDB), erklärte, man habe die Finanzierung aller Projekte in Russland eingefroren. Die Bank will vermeiden, Ziel von Sanktionen der USA zu werden. Zuvor hatte die Rating-Agentur Fitch das Risiko der NDB wegen der Teilhabe Russlands heruntergestuft (von AA+ auf AA).

Ohnehin stehen einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik bis hin zu einer gemeinsamen Währung die sehr starken ökonomischen Unterschiede der Brics-Staaten entgegen. Und außenpolitisch herrscht untereinander nicht immer Sonnenschein. China und Indien sind weiter in Asien eher Rivalen als Partner.

In Bezug auf den Westen verfolgt Indien auch eine Art Pendel-Diplomatie, will es sich nicht mit ihm verscherzen. Und die neuen Mitglieder bringen ebenfalls eine Menge Streitigkeiten ein, etwa die Konkurrenten Brasilien und Argentinien in Südamerika oder die arabischen Nationen versus Iran.

Auf dem Gipfeltreffen bremste Russlands Außenminister Sergej Lawrow die Erwartungen. Das Bündnis beabsichtige gerade nicht, ein 'neuer kollektiver Hegemon' zu werden, sondern sei vielmehr bestrebt, 'integrative Lösungen auf der Grundlage eines kollektiven Ansatzes' anzubieten."3

Deshalb ist immer häufiger die Rede vom "Multilateralismus" statt von Multipolarität. Das hört sich nicht so sehr nach Gegensatz an. Der Angriff auf die Weltmacht Nr.1 kommt so als gegen niemanden gerichtete, allzu berechtigte Forderung nach Gerechtigkeit daher.

Man kann es auch schlichter sagen: Im andauernden Kampf um die besten Geschäfte und den größten Einfluss auf der Welt begehren einige Staaten auf. Sie meinen sich dies gegen die bisherige Übermacht der USA und ihre Verbündeten leisten zu können. Denn sie haben mittlerweile einigen wirtschaftlichen Erfolg zu verbuchen.

Und es gibt mit China nun eine mächtige Alternative zum Westen. Was andererseits nicht heißt, dass der eine bisherige Pol gegen den anderen neuen getauscht werden soll. Das Mitmachen bei Brics führt im Idealfall dazu, das Beste aus beiden aktuellen Polen, USA und China, herauszuholen. Bleibt nur die Frage, ob die sich das gefallen lassen.

USA: Wir werden siegen. Und wer sich für die falsche Seite entscheidet…

China jedenfalls scheint zunächst zufrieden, überhaupt so etwas wie ein Gegengewicht zur Kampfansage des Westens zu schaffen. Die spannendere Frage lautet die nach der Antwort der USA. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, hat sie so formuliert:

Wir führen unser Engagement mit einer positiven Agenda, die sich darauf konzentriert, die Vorteile unseres Regierungs- und Wirtschaftsmodells zu demonstrieren. (…) Die Politik der USA verlangt von unseren Partnern nicht, sich zwischen den Vereinigten Staaten und anderen Ländern zu entscheiden. Wir haben wiederholt betont, dass die USA die Partnerschaften der Länder mit anderen Ländern nicht einschränken wollen. Aber wir wollen, dass die Länder auch die Wahl haben, wie sie ihren Bürgern Ergebnisse liefern wollen.

Deutlich klarer hat das ihr Chef Joe Biden in seinen "Remarks on America's Place in the World" im Februar 2021 beschrieben:

American leadership must meet this new moment of advancing authoritarianism, including the growing ambitions of China to rival the United States and the determination of Russia to damage and disrupt our democracy. (…) If we invest in ourselves and our people, if we fight to ensure that American businesses are positioned to compete and win on the global stage, if the rules of international trade aren't stacked against us, if our workers and intellectual property are protected, then there's no country on Earth – not China or any other country on Earth – that can match us.

Die Aussagen von Pressesprecherin und Präsident zusammengenommen: Die Staaten der Welt dürfen sich ihre Partner natürlich aussuchen. Nur sollten sie dabei nicht vergessen, mit wem sie den meisten Erfolg haben, um den "Bürgern Ergebnisse (zu) liefern". Und da sind die Vereinigten Staaten das leuchtende Beispiel schlechthin und die einzig richtige Wahl.

Unter ihrer Führung (leadership) wird Autoritarismus bekämpft, sprich China und Russland. Das schaffen die Amis locker: mit ihrem starken Kapital, vor unfairem internationalem Wettbewerb geschützt, mit den entsprechenden Korrekturen der Welthandels-Regeln, mit dem Schutz geistigen Eigentums sowie der nationalen Arbeitsplätze vor ausländischer Konkurrenz. Dass das passieren wird, ist sich Biden sicher. So dass es weiter kein Land der Welt mit den USA aufnehmen kann – oder eine Staatengruppe wie die nun erweiterte Brics.

Pol hin, Pol her – die Welt wird kein bisschen friedlicher

Ob der bisherige Hegemon tatsächlich sich behauptet, oder neue Pole sich gegen ihn aufstellen können beziehungsweise mehrere Staaten multilateral miteinander verkehren ohne Einbeziehung der USA – das werden die Erfolge und Misserfolge auf dem Weltmarkt entscheiden. Und nicht zuletzt auch die jeweils dafür nötige Gewalt, diese Geschäfte für die jeweilige Seite vorteilhaft abzusichern.

Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, China, Russland und der Staatenbund Brics mitsamt den neu hinzustoßenden Nationen ringen um ihren Anteil an Reichtum und Einfluss in der Welt. Vielleicht kommt es dabei zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse, vielleicht verhindert dies die überragende Finanz- und Militärmacht der USA.

Eines ist aber sicher: Egal, wie viele Pole und deren Vasallen sich bilden – eine multipolare Weltordnung macht das Leben für die Mehrheit der Menschheit weder schöner noch friedlicher. Mehr Gewalten, die um die Macht in der Welt kämpfen, bedeutet eben nicht weniger Schaden für die, mit und auf deren Rücken das ausgetragen wird.

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