Musikverlage versus Musikinteressierte
Wie man durch zuviel Engagement, Notentausch, Gitarrentabs und Songtexte zum Feind der Musikindustrie wird
Die Musikindustrie macht weiter auf sich aufmerksam. Allerdings weniger durch hörenswerte musikalische Produktionen, sondern durch ein aggressives Vorgehen gegen nahezu jede denkbare Form von Urheberrechtsverstößen oder solchen, die dafür gehalten werden. Parallel zum Vorgehen gegen Filesharing über sog. Tauschbörsen und deren Nutzern wird seit geraumer Zeit gegen Songtextarchive ebenso vorgegangen wie jetzt auch gegen Notentausch und gegen Diskussionsforen von Musikern, in denen Noten oder Tabs ausgetauscht werden.
Die aktuelle Entwicklung
Der US-amerikanisch geprägten Musikindustrie ist inzwischen fast alles ein Ärgernis, was nur irgendwie nach Urheberrechtsverstößen aussieht und damit ihre wirtschaftlichen Interessen bedrohen könnte. Zwischen subjektiver Bedrohungslage und objektiven Schäden wird dabei kaum zureichend differenziert, geschweige denn informiert. Zunächst wurde in den USA – angefangen mit Metallica – gegen Tauschbörsen wie Napster vorgegangen. Inzwischen haben Tauschbörsenteilnehmer in Deutschland tausende Abmahnungen wegen illegalen Musikdownloads erhalten Cosi fan tutte?. Die Strategie stützt sich auf den Umstand, dass grundsätzlich Musik nicht nur in analoger oder digitaler Speicherungsform und deren akustischer Wiedergabe, sondern letztlich auch in Form gedruckter Noten, Tabulaturen oder in Form von Songtexten nach letztlich einschlägigen Rechtsordnungen urheberrechtlich geschützt ist, welche von Musikverlagen vermarktet werden, die mit den Musikproduktionsunternehmen meist konzernmäßig verbunden sind.
Die Musikindustrie und die dazu gehörenden Musikverlage belassen es indessen nicht beim Vorgehen gegen derartige Tauschbörsen, sondern gehen gegen Songtextarchive und auch gegen Diskussionsforen von Musikern vor, in denen etwa Noten getauscht werden, wie etwa www.olga.net oder www.guitartabs.com. Musiker pflegen eigene Szenen und Communities, in denen auch gern Noten oder Tabs ausgetauscht und darüber diskutiert wird. Tabulaturen (= Tabs) machen Kompositionen durch Griff- und Tastentabellen nachspielbar, so dass man keine Noten lesen können muss, um ein Stück nachzuspielen. Die Angriffe auf derartige Websites werden immer massiver, was aber auch zu einem "Umzug" auf schwer angreifbare Serverstandorte in entsprechende Regionen führt. Verletzer im Usenet zu identifizieren, dürfte ohnehin auf Schwierigkeiten stoßen, wenn gewisse Sicherheitsmaßnahmen eingehalten worden sind.
Derartige Aktionen wurden bereits im Herbst 2005 angekündigt, nachdem die Vereinigung der Musikverlage in den USA verkündet hat, dass nach ihrer Auffassung Partituren und Songtexte im Internet nicht mehr kostenlos verfügbar gemacht werden sollten. Die Aktionen sollen weltweit durchgeführt werden. Auch für Deutschland scheinen derartige Aktionen geplant zu sein, bzw. sind bereits in Umsetzung.
Die Musikverlage beabsichtigen derartige Aktionen schon länger. Einzelaktionen waren schon zuvor zu verzeichnen, wie der Fall pearLyrics in Österreich eindrucksvoll zeigt: Ein österreichischer IT - Forscher hatte ein interessantes Programm als Freeware-Plugin namens pearLyrics entwickelt. Dieses Programm für Apple iTunes unter MacOS X erlaubt es, die Songtexte zu abgespielter Musik anzuzeigen, wenn gleichzeitig die Texte entweder aus vorhandenen Itune-Dateien oder aber durch Internet-Suchmaschinen ausgelesen werden. Der Musikverlag WarnerChappell Music ging daraufhin gegen den Programmierer und Apple vor, die dazu führte, dass die Freeware im Netz nicht mehr verfügbar gehalten wird.
Im Streit war hier die Frage, ob es sich bei diesem Programm – wie bei den meisten anderen Suchmaschinen auch – nicht lediglich und durchaus rechtlich plausibel um nach der E-Commerce-Richtlinie rechtlich privilegiertes Caching handelt, da Suchmaschinen letztlich nicht proaktiv zwischen legalen und illegalen Inhalten unterscheiden können, was sich bei www.google.com immer wieder nachlesen lässt. Der Musikverlag entschuldigte sich zwar für sein Vorgehen, hielt aber am Bestehen des urheberrechtlichen Unterlassungsanspruches fest, so dass dem Urheber eine weitere Verwertung wirtschaftlich zu riskant war, was angesichts der unklaren Rechtslage völlig nachvollziehbar ist.
Erst diesen Sommer ist eine koordinierte, weltweite Aktion aller maßgeblichen Musikverlage feststellbar, nachdem diese vermeintliche oder tatsächliche Umsatzverluste bei Noten und Tabs festgestellt haben wollen. Das Vorgehen richtet sich auch gegen Diskussionsgruppen im Usenet, in denen es seit den nicht militärischen Anfängen des Internets Usus war und ist, Noten und Gitarren-Tabs zu tauschen. Damit richtet sich das Vorgehen massiv gegen Amateur- und Hobbymusiker und damit auch gegen den musikalischen Nachwuchs, der nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten die Chance erhält, einen Vertrag mit der Musikindustrie zu erhalten. In den USA wurde bereits durchgesetzt, dass entsprechende Webpages und Foren abgeschaltet oder im Angebotsumfang eingeschränkt wurden.
Die Musikverlage machen sich mit einem derartigen Vorgehen bei den Usern kaum beliebter und riskieren Konsumverweigerung, treiben die User möglicherweise sogar weiter in die Illegalität, da gerade bei Minderjährigen mit Trotzreaktionen zu rechnen ist. Dabei ist nicht zu verkennen, dass diese Foren wenigstens mittelbar für die Songs und die betreffenden Komponisten, Interpreten und Musiker Werbung machen, so dass ein derartiges Vorgehen wirtschaftlich durchaus fragwürdig sein kann, da es sich nicht um kommerziellen Vertrieb handelt, sondern um privaten Austausch in Communities, die Nichtmusiker kaum kennen werden. Hinzu kommt, dass zahlreiche Noten- und Tabpublikationen oftmals schon ein Jahr nach Erscheinen antiquarisch "verramscht" werden und eine relativ kleine Zielgruppe haben. Ob ein Songtext als öffentliche Wiedergabe ohne Song wirtschaftlich viel Wert ist, mag ebenfalls dahinstehen. Eine Quelle wäre nach § 63 UrhG ohnehin anzugeben. Es dürfte daher eher um massive Abschreckung gehen, um die User zu industriekonformen Verhalten zu bewegen. Stattdessen sprießen die Torrent-Seiten weiter aus dem Netz wie Weizen auf dem Feld.
Auch eine früher völlig unverdächtige Berufsgruppe ist jetzt in das Visier der Musikindustrie geraten, die Musiklehrer. In den USA wurde ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen einen Musiklehrer und dessen Internetprovider geltend gemacht, der eine Onlinemusikschule unter dem Titel Guitar Tab Universe betreibt. Demnächst benötigen Musiker zum Nachspielen eines Stückes noch eine Lizenz von einem Musikverlag im Vollzug einer Perfektionierung des Schutzes des geistigen Eigentums. Jedenfalls scheint dies der Wunsch der Musikoligopole zu sein.
Derartige Musikschulen finden sich auch in Europa ("Urheberrecht ist ein schweres Schaf…!"). Ohnehin wird der Zugang zum Internet in den USA gerade auch für ärmere Teile der Bevölkerung zunehmend unter dem Deckmantel einer zweifelhaften Kriminalitätsbekämpfung erschwert, wie das Beispiel des "Delating Online Predator Act" zeigt, der einen Zugang für Minderjährige zu "Community-Websites" sperrt, die von öffentlich mitfinanzierten Internetzugangsstellen aus zugreifen.
Das Internet verwandelt sich aus einem früher völlig frei zugänglichen Raum in ein kontrolliertes Machtgefüge, dass von Verwerterinteressen unter dem Deckmantel des Schutzes des geistigen Eigentums gelenkt werden soll. Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche entpuppen sich insoweit zunehmend als Steuerungsinstrument.
Songtexte, Tabs und Noten
Schon 2005 liefen erste Abmahnwellen von Musikverlagen gegen die Betreiber von meist nichtkommerziellen Webpages – oftmals Fanseiten –, die unter anderem Songtexte bereithielten. Grundsätzlich sind Songtexte bei entsprechender Schöpfungshöhe nach deutscher Rechtslage – die grundsätzlich unterstellt werden kann – nach § 2 UrhG als urheberrechtliches Werk gesetzlich für den oder die Urheber geschützt, so dass der Urheber über die Verwertung nach § 15 UrhG entscheidet.
Da die ausschließlichen Nutzungsrechte bei kommerzieller Verwertung aber meist nach § 31 UrhG bei den Musikverlagen liegen, entscheiden diese allein über das Vorgehen gegen derartige Verstöße. Bei internationalen Urheberrechten kommen indessen noch völkerrechtliche Verträge ins Spiel. Nach der besonders maßgeblichen revidierten Berner Übereinkunft in der Pariser Fassung von 1971 – dort Art. 5 – gilt der Grundsatz der Inländergleichbehandlung, so dass ausländische Urheber in den Vertragsstaaten wie Inländer behandelt werden, unabhängig davon, welche Schutzvoraussetzungen deren "Heimatrecht" vorsieht.
Nicht alle Liedtexte sind indessen betroffen, da das Urheberrecht in der EU 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers gemäß § 64 UrhG erlischt. Die betreffenden Liedtexte dürften aber nur eine kleine Minderheit interessieren. Allerdings sind auch hier Ausnahmen denkbar, wenn es sich um ein nachgelassenes, nicht erschienenes Werk handelt. In diesem Fall kann das Recht bestehen, dieses Werk zu verwerten, wie § 71 UrhG bestimmt
Für Gitarrentabs gilt grundsätzlich nichts anderes als für Songtexte, weil es sich dabei um eine akustisch reproduzierbare Niederschrift der Komposition handelt. Wer musikalisch geschult ist, kann aufgrund dieser Vorlage die Komposition spielen und letztlich auch aufnehmen. Der seitens vieler Betroffener aufgenommene rechtspolitische Kampf ändert an dieser Rechtslage nicht. Dabei ist nicht zu übersehen, dass derartige Webpages – wenigstens mittelbar – eher songbezogenes Marketing machen und mit diesen Aktionen auch die Werbung zentralisiert wird, möglicherweise um die konkreten Marken stärker in den Vordergrund zu stellen.
Auch für Noten gilt nichts wesentlich anderes. Die Sondervorschrift des § 53 Abs.4 UrhG macht insoweit gewisse Ausnahmen und erlegt dem Urheberrechtsschutz nach deutschem Recht gewisse Schranken auf. Zunächst gilt eine Ausnahme für Noten, die eigenhändig abgeschrieben wurden, was im vorliegenden Kontext irrelevant ist. Eine weitere Ausnahme gilt für den Fall, dass die Noten für die Aufnahme in ein eigenes Archiv nach § 53 Abs.2 Nr.2 UrhG vorgesehen sind, wenn die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist und als Vorlage ein eigenes Werkstück verwendet wird, was in diesem Kontext ebenfalls ausscheidet, da derartige Archive schon nicht öffentlich zugänglich sein dürfen, da es sich dann um eine weitere Vervielfältigungshandlung handelt. Ein Archiv zur Benutzung außenstehender Dritter gilt nicht als eigenes Archiv. Schließlich besteht eine Ausnahme für den eigenen Gebrauch, wenn die Noten seit mindestens zwei Jahren vergriffen sind, was in den meisten Fällen auch ausscheiden dürfte, da es sich um Noten handelt, die in publizierten Werken erreichbar sind. In allen anderen Fällen bedarf es zu einer Verwertungshandlung nach § 15 UrhG, einer Einwilligung des Berechtigten.
Musikerdiskussionsforen als Ärgernis?
Angesichts möglicher Rechtsverstöße geraten daher auch die Betreiber entsprechender Diskussionsforen in Gefahr. Die Forenhaftung ist gegenwärtig derart in Bewegung, dass verlässliche Aussagen zur Haftungssituation als einer Haftung für Dritte bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs nur eingeschränkt möglich sind.
Die deutsche Rechtsprechung versteht die Mitstörerhaftung von Betreibern von Internetdiskussionsforen sehr weit. Als Mitstörer wird verallgemeinert ausgedrückt angesehen, wer an der Störung eines anderen unstützend mitwirkt oder diese Handlung ausnutzt und die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Verhinderung dieser Handlung hatte. Eine Mitstörerhaftung setzt allerdings die Verletzung von zumutbaren Prüfungspflichten voraus, deren Umfang unklar ist. Die Rechtsprechung orientiert sich bei der Annahme der Mitstörereigenschaft – in Anlehnung an § 186 StGB – an der presserechtlichen Verbreitungsrechtsprechung, so dass die Mitstörereigenschaft regelmäßig in solchen Fällen ohne nähere Problematisierungen bejaht wird.
Als Störer ist unter Rückgriff auf die Dogmatik des § 1004 BGB bei einem traditionell weiten Störerbegriff jeder anzusehen, der willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung mitwirkt, ohne das ihn ein Verschulden treffen muss, indem er entweder durch eine eigene Handlung eine Rechtsgutsbeeinträchtigung herbeiführt (sog. Handlungsstörer) oder aber die Störungsquelle beherrscht (sog. Zustandsstörer).
Die Schwierigkeiten beginnen, wenn Dritte ins Spiel kommen. Insoweit ist lediglich anerkannt, dass die Haftung unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht unbeschränkt auf Dritte erweitert werden darf. Der BGH hat im Rolex-Urteil vom 11.03.2004, AZ: I ZR 304/01 entschieden, dass die §§ 9-11 TDG (= §§ 7-9 MDStV) aufgrund der Regelung des § 8 Abs.2 S.2 TDG (= § 6 II MDStV) generell außer Anwendung zu bleiben haben, so dass es letztlich auf Zumutbarkeitserwägungen im Einzelfall hinausläuft. Von generellen – „proaktiven“ – Prüfpflichten kann angesichts Art. 15 Ecommerce-Richtlinie nicht ohne weiteres ausgegangen werden, sofern keine Kenntnis der Rechtswidrigkeit besteht, die aber durch eine formlose Mitteilung schnell hergestellt werden kann, Beispiel.
Es ist daher nicht auszuschließen, dass gegen derartige Foren in Zukunft massiv vorgegangen wird, um in letzter Konsequenz deren Schließung herbeizuführen oder sie unter Kontrolle zu bringen. Dem öffentlichen Meinungsaustausch und der Diskussionskultur dürfte dies angesichts der wirtschaftlichen Relevanz der Verstöße kaum angemessen sein.
Ausblick
Die Musikindustrie scheint davon überzeugt zu sein, dass allein Abschreckung den Nutzer zu einem verstärkten Konsum bewegen kann. Diese Auffassung kann in die Irre führen und einen Konsumverzicht herbeiführen, der allerdings der Bedeutung der Musik als Kulturgut nicht gerecht wird. Unabhängig davon, können entsprechende Abmahnungen im Einzelfall – auch was die Kostenerstattung angeht – durchaus unberechtigt sein. Urheberrechtlich mag die Musikindustrie weitgehend das geltende Recht auf ihrer Seite haben, bei den Nutzern und bei den Musikern verliert sie zusehends an Boden, was auch eine Chance für Independents sein könnte. Immer mehr Bands vermarkten sich im Netz selbst (Beispiel) und suchen die Unabhängigkeit. Viele Musiker suchen nicht den großen Profit, sondern den Spaß an der Musik, der immer mehr auf der Strecke bleibt. Manchmal kann es klüger sein, möglicherweise bestehende Rechtsansprüche nicht geltend zu machen, insbesondere wenn die "politischen Kosten" höher sein könnten als der zu erwartende Grenznutzen.