Muss die Entwicklung des Menschen umgeschrieben werden?
Forscher haben Zähne einer angeblich neuen Menschenaffenart in Rheinhessen gefunden, die vor 10 Millionen gelebt haben und afrikanischen Hominiden wie dem Australopithecus ähnlich sein soll, die 5 Millionen Jahre später lebten
Schon vor einem Jahr haben Forscher in Rheinhessen zwei fast 10 Millionen Jahre alte Zähne eines Menschenaffen gefunden. Erst jetzt wurde der Fund bekanntgegeben, weil man sichergehen wollte, dass die Zähne so bedeutsam sind, wie man dachte. Es handelt sich um einen Hinweis auf eine bislang unbekannte Art von Menschenaffen. Die Zähne "weisen große Ähnlichkeiten mit Vormenschen-Gattungen auf, die man in eine Linie mit dem Homo sapiens stellt". Das Alter wurde bislang nur mit der Biostratigraphie, also der Einordnung von Fossilien anhand der Chronologie der Gesteinsschichten, geschätzt.
Herbert Lutz, Projektleiter der Grabung bei Eppenheim und stellvertretender Direktor des Naturhistorischen Museums Mainz, spricht von einem "Wahnsinnsfund" im Bett des Urrheins, wo sich vor ca. 10 Millionen Jahre fossilführende Kiese und Sande ablagerten. Gefunden wurden dort neben zahlreichen Fossilien von Säugetierarten auch solche von zwei Primatenarten, die zu dieser Zeit in Europa gelebt haben. Allerdings sind Primatenfossilien selten nördlich der Alpen.
Außergewöhnlich ist bereits die Beschaffenheit der Zähne, die von einem Individuum mit unbekanntem Geschlecht stammen sollen und trotz der langen Zeit - die Forscher gehen von 9,7 Millionen Jahren aus - sehr gut erhalten sind, auch wenn die Wurzel fehlt. Es handelt sich um einen Eck- und um einen Backenzahn. Sollte es sich in der Tat um Zähne von Vorfahren des homo sapiens handeln, so wäre es der erste Fund zu dieser Zeit außerhalb Afrikas, zudem hätten sie viel früher als die Gattung Australopithecus gelebt, deren Vertreter wie etwa Lucy vor etwa 4 Millionen Jahren in Südafrika lebten. Für Lutz ist klar, dass es am Urrhein eine Population dieser Hominiden gegeben haben muss.
Erstaunlich ist freilich, dass nirgendwo dort, wo Primatenfossilien aus dieser Zeit entdeckt wurden, Spuren von dieser Art auftauchten. Lutz sagt, es sei ein Geheimnis, wie die Zähne nach Eppenheim gekommen sind. Es mache klar, dass "die Löcher in unserem Wissen und in der Fossiliengeschichte viel größer als bislang gedacht" seien. Es müsse auch, sagt Lutz, ein Vertreter der letzten Menschenaffen gewesen sein, da es um die Zeit, als dieser lebte, mit der so genannten Vallesium-Krise zu einem Klimawandel gekommen war und es weniger feucht und kälter wurde.
Out of Europe?
In einem ersten Bericht über den Fund schreiben Herbert Lutz, Thomas Engel, Bastian Lischewsky und Axel von Berg, dass die reduzierte Größe und Form der Zähne Ähnlichkeiten mit ostafrikanischen Vertretern der Tribus Hominini aufweisen. So zeige die Lingualseite des Eckzahns den charakteristischen "diamond-shaped" Umriss und sei das Verhältnis von lingualer Kronenhöhe zu mesiodistaler Kronenlänge ähnlich wie bei Australopithecus afarensis und Ardipithecus ramidus sowie Ardipithecus kadabba, die vor 5,7 bis 4,4 Millionen Jahren in Afrika lebten, aber auch wie bei den Weibchen von heutigen Schimpansen.
Die Buccal-Höhe, die zur Wange gerichtete Außenfläche, sei beispielsweise ähnlich wie bei den Altweltaffen Dryopithecus oder wie bei dem Menschenaffen Ardipithecus ramidus. Abgeleitet von der Größe der Zähne schätzen die Forscher das Gewicht der neuen Art auf 12-15 kg.
Die Frage sei, ob die neu entdeckte Art mit den in Afrika 4-5 Millionen Jahre später lebenden Hominini verwandt sein könnten, was zu der verwegenen Hypothese führt, ob diese wie Lucy nicht Nachkommen der von Europa möglicherweise eingewanderten Art sind.
Aber das ist pure Spekulation, sofern sich eine Verwandtschaft überhaupt bestätigen lässt. In letzter Zeit haben auch andere Funde die Entwicklungsgeschichte des Menschen verändert bzw. Überzeugungen in Frage gestellt (Bislang ältester Homo-Sapiens-Fund stellt Wanderungs- und Entwicklungsvorstellungen infrage).