Mut zum Antisemitismus

Seite 4: Struktureller und sekundärer Antisemitismus

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Die Ausgangsfrage der klassischen "Studien über Autorität und Vorurteil" war: "Gibt es etwas in der seelischen Verfassung des heutigen Menschen, das ihn auf die Demagogie skrupelloser Agitatoren positiv reagieren lässt, und was ist die Technik dieser Demagogie?" Eine Frage wie dafür gemacht, um sich auch mit Compact auseinanderzusetzen.

Adorno und andere, in der Nachfolge Erich Fromms, entdeckten, dass sich faschistisches Gedankengut und autoritäre Einstellungen über die gesamte Breite der Gesellschaft nachweisen lassen. Antisemitismus und Chauvinismus finden sich demnach eben nicht nur bei Rechten, sondern auch bei Linken und auch in der sogenannten Mitte. Der Antisemitismusbericht des Bundestages von 2012 zeigt auf, dass etwa jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch ist. Und auch die "Mitte-Studien" der Uni Leipzig sowie zahlreiche weitaus weniger populäre Autoritarismus-Studien haben seit Jahren aufgezeigt, dass rechte und rechtsextreme Einstellungen bis weit in die Mitte und ins linke Spektrum anschlussfähig sind. Dabei geht es häufig nicht darum, dass die Menschen zum Beispiel offen antisemitisch sind, sondern dass sie Aussagen zustimmen, die strukturell oder sekundär antisemitisch sind. Was ist darunter zu verstehen?

Jonas Fedders: Man muss natürlich unterscheiden zwischen einzelnen antisemitischen Stereotypen, die in der Tat sehr weit verbreitet sind, und einem geschlossenen antisemitischen Weltbild. Unsere These wäre aber schon, dass Menschen, die auf Ersatzartikulationen wie den sekundären Antisemitismus zurückgreifen, auch klassisch antisemitische Einstellungen teilen. Der Antisemitismus wird dabei eben nicht offen ausgesprochen, sondern codiert. Denn offen antisemitisch in dem Sinne, dass man sagt "Die Juden sind unser Unglück" ist heute fast niemand mehr, weil der Antisemitismus seit 1945 tabuisiert ist und zum Teil auch juristisch sanktioniert wird.

Mit dieser sozialen Tabuisierung sind antisemitische Denkweisen aber keineswegs aus den Köpfen der Menschen und dem historisch tradierten Wissen einer Gesellschaft verschwunden. Aus diesem Grund haben sich "kommunikative Umwege" entwickelt, wie dies der Antisemitismusforscher Samuel Salzborn nennt.

Kevin Culina: Die Erfahrung der nationalsozialistischen Vernichtung des europäischen Judentums - der Shoah - wurde von Antisemiten problemlos in das eigene Weltbild integriert. So wird etwa, aufbauend auf den antisemitischen Judenbildern von Gier, Profitstreben und unlauteren Mitteln, jüdischen Menschen unterstellt, den Holocaust für eigene Interessen auszunutzen - beispielsweise wenn behauptet wird, dass Israel sich deutsche U-Boote mit Verweis auf Auschwitz "erpressen" würde.

Zudem, und das gehört gewissermaßen zum Kerngeschäft der Texte in der Compact, werden Begriffe, die eigentlich den NS-Faschismus beschreiben, für aktuelle politische Auseinandersetzungen genutzt - etwa, wenn der Gaza-Streifen als "Konzentrationslager" bezeichnet und Auschwitz dabei relativiert wird. Dieser sogenannte "sekundäre Antisemitismus" wird deshalb häufig als Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz bezeichnet.

Jonas Fedders: Der Antisemitismus geriert sich zuweilen selbst als "Antikapitalismus". Dabei wird aber der Kapitalismus nicht wirklich einer Analyse unterzogen. Er wird vielmehr kontrafaktisch aufgespalten in "schaffendes Kapital", das angeblich ohne Ausbeutung funktioniere, und "raffendes Kapital", das Jüdinnen und Juden zugeordnet wird. Diese Dichotomisierung in eine gute und eine schlechte Sphäre des Kapitalismus, etwa durch die Gegenüberstellung einer angeblich "schützenswerten" industriellen Produktion versus einer "parasitären" Finanzwirtschaft, ist weit verbreitet, auch unabhängig von der Zuordnung zu Jüdinnen und Juden. Das ist dann deswegen auch nicht gleich Antisemitismus.

Der Begriff des "strukturellen Antisemitismus" bezieht sich auf jene Denkmuster und Weltanschauungen, die der intrinsischen Logik des Antisemitismus in ihrer spezifischen Argumentation strukturell ähneln. Für uns beschreibt er also keine ausgeprägte Judenfeindschaft, sondern er weist auf die nicht zu unterschätzenden Gefahren und Anknüpfungspunkte hin, die eben jener strukturellen Ähnlichkeit geschuldet sind und die - wenn die spezifischen Denkweisen erst einmal verinnerlicht sind - leicht in einen manifesten Antisemitismus umgemünzt werden können.

Compact ist quasi das inoffizielle Medium von AfD und Pegida. Dass die AfD ein ernsthaftes Antisemitismusproblem hat, wurde gerade erst demonstriert. Laut Bundesschiedsgericht der AfD ist das Bild, das der AfD-Politiker Jan-Ulrich Weiß auf Facebook teilte, nicht antisemitisch, da unter anderem die Begriffe "jüdisch" oder "Jude" nicht vorkämen. Deshalb darf Weiß auch nicht aus der Partei ausgeschlossen werden. Auch die Staatsanwaltschaft hatte Weiß wegen Volksverhetzung angeklagt. Das Amtsgericht Prenzlau sprach ihn gerade erst frei mit der bedrückend einfältigen Begründung, dass "das Bild nicht eindeutig gegen eine religiöse Gruppe gerichtet" sei. In welcher Beziehung stehen AfD und Compact und welche Rolle spielt Compact "auf der Straße und in den Parlamenten" wie es in eurem Buch heißt?

Links: Auf dem Bild, das der AfD-Politiker Weiß auf Facebook teilte, mögen weder AfD noch das Amtsgericht Prenzlau Antisemitismus erkennen. Rechts: Der König Rothschild. Antisemitische Karikatur auf der Titelseite der französischen Zeitschrift Le rire (16. April 1898).

Jonas Fedders: Genau genommen ist die Compact das inoffizielle Medium eines bestimmten Teils von Pegida und AfD. Anfangs präsentierte sich die Compact als Debattenmagazin für die AfD, mittlerweile wird eindeutig der völkische Flügel um Björn Höcke und André Poggenburg von der Zeitschrift hofiert. Höcke ließ sich in einem Interview mit der Compact über den "Laissez-faire-Individualismus" der USA aus, der zu einer "Trivialisierung des Menschen" führe. Gleichzeitig distanzierte er sich von den "Transatlantikern" in der Partei. Solche antiamerikanischen Positionen kommen in der Compact gut an.

Nachdem es mit den Montagsmahnwachen irgendwann nicht mehr so richtig klappen wollte, schien mit den Aufmärschen von Pegida seit Ende 2014 eine politische Massenbewegung für die Compact Realität zu werden. Häufig werden Cover des Magazins bei Pegida-Aufmärschen als Plakate mitgeführt. Die Zeitschrift wiederum unterstützte die wöchentlichen Demonstrationen von Beginn an mit einer wohlwollenden Berichterstattung. Aber nicht um jeden Preis: Die eigene Grundposition wird beibehalten.

Als etwa der bekannte niederländische Rechtspopulist Geert Wilders eine Rede bei Pegida in Dresden hielt, stieß das bei Elsässer auf harsche Kritik, schließlich betreibe er "Israel-Lobhudelei". Zum Auftritt von Wilders schrieb Elsässer auf seinem Blog: "Der Kampf zur Zurückdrängung amerikanistischer oder zionistischer Einflüsse muss innerhalb der Pegida-Bewegung geführt werden, nicht durch Verabschiedung von Pegida." Elsässer und seine Compact bemühen sich also, die Pegida-Bewegung und auch die AfD nach ihren Vorstellungen zu formen.

Kevin Culina: In den letzten Monaten kam in der inhaltlichen Ausrichtung der Zeitschrift immer stärker ihr antimuslimischer Rassismus zum Vorschein. Im Kontext der Debatte um Asylsuchende betrieb das Magazin offen rassistische Hetze gegen "Invasoren" oder nach der Kölner Silvesternacht gegen "orientalische Gangbang-Rudel". Eine Zusammenarbeit mit Pegida und der AfD liegt hier also nahe.

Hier sieht man allerdings, dass die Compact sich stark nach aktuellen Trends ausrichtet: Zur Zeit der Mahnwachen waren antiamerikanische Texte häufiger zu lesen; im Kontext der antifeministischen "Besorgten Eltern" wurde gegen Homo- und Transsexuelle gehetzt; nun wird Pegida mit rassistischen Pamphleten flankiert. Es geht dabei natürlich auch um den Resonanzraum: Die Zeitschrift orientiert sich an den derzeit erfolgreichen reaktionären Bewegungen, unterstützt sie und profitiert sowohl wirtschaftlich als auch politisch davon.

Es wird sich zeigen, wie stark sich Compact in der politischen Rechten - denn dort bewegt sie sich derzeit - etablieren und festigen wird. Ihre Verbindungen zu staatsnahen russischen Think-Tanks, der deutschen Neuen Rechten und in den angesprochenen völkischen Flügen der AfD deuten zumindest an, dass die Zeitschrift nicht allzu schnell von der Bildfläche verschwinden wird - und damit die brandgefährlichen Bewegungen in ihrem Umfeld ebenso nicht. Uns steht die Auseinandersetzung mit solchen Spektren also noch bevor.

Kevin Culina und Jonas Fedders: Im Feindbild vereint. Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact. Edition assemblage, 96 Seiten, 9,80 Euro.