Mut zum Antisemitismus

Seite 3: Nicht rechts, nicht links, sondern völkische Querfront

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Compact, Elsässer, die Neue Rechte, autonome Nationalisten, die Identitären, sie alle bedienen sich einer Strategie der Umwertung bzw. Umdeutung von Begriffen. Sie okkupieren Begriffe, die einstmals im eher linken politischen Spektrum oder gar in antikapitalistischen Zusammenhängen gebraucht wurden. Es ist nicht nur die Strategie des "Marsches in die Mitte", sondern es sind Versuche eine "Querfront" aufzubauen. Ganz im Sinne der berühmten Reichstagsansprache von Wilhelm II.: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche".

Es soll also kein links und kein rechts mehr geben, sondern nur noch "das Volk". So eröffnet Elsässer ja auch seine Reden mit: "Mein Name ist Jürgen Elsässer und meine Zielgruppe bleibt das Volk!" Gibt es jenseits der Bestrebungen aus dem völkischen und nationalistischen Lager auch Bestrebungen von linken Gruppierungen zu einer Querfront? Also, nur weil Rechte die Begriffe der Linken übernehmen, heißt es ja noch nicht, dass sich Linke auch von den rechten Thesen angesprochen fühlen?

Mir fällt es schwer zu glauben, dass es Linke gibt, die sich von Sarrazin, Akif Pirinçci oder aktuell Schultze-Rhonhof angesprochen fühlen. Und wenn dem so sein sollte - was ist daran dann noch links? Oder handelt es sich dann nicht eher um Rechte, die höchstens von sich selbst glauben, sie seien eher links, weil sie nicht zu den "Nazis" zählen wollen.

Kevin Culina: Rechte versuchen natürlich ihre Zielgruppe und ihren Einflussbereich auszuweiten. Das kann gewissermaßen durch die Aneignung von - auch durch die Linke - besetzte Begriffe oder durch die Adaption (sub-)kultureller Trends passieren. Diese Bedeutungsverschiebung von bestimmten Begriffen kann man schon bei den historischen Vorläufern der Querfront-Idee beobachten. Und heutzutage beziehen sich Teile der Neuen Rechten beispielsweise auf den Marxisten Antonio Gramsci und dessen Theorie der "kulturellen Hegemonie".

Ähnlich verhält es sich auch bei konkreten Querfront-Projekten: Es geht darum, die teils marginale Peer Group zu verlassen und Einfluss auf breitere Teile der Gesellschaft zu nehmen. Als Beispiel hierfür dürften die Versuche der extrem rechten "Blut und Boden"-Ideologie stehen, in der Ökologie-Bewegung der 1970er Jahre Fuß zu fassen und damit die teilweise anhaltende Tabuisierung neonazistischer Inhalte zu überwinden. Dennoch, und da kommen wir zu linken Querfront-Projekten, sind für die erfolgreiche Vervielfältigung reaktionärer Positionen und Bewegungen immer ideologische Anknüpfungspunkte innerhalb der Linken notwendig.

In der Compact wird das offensichtlich: Sie selbst greift auf Fragmente antiimperialistischer Positionen zurück. Elsässers lange Zeit geduldetes oder begrüßtes Engagement innerhalb der als links geltenden "Mahnwachen für den Frieden" oder der Zuspruch für ihn in deren friedensbewegten Abspaltungen belegen das. Eine Romantisierung des "Volkes" innerhalb der Linken und die ungeduldige Sehnsucht nach einer großen Massenbewegung befördern entsprechende Querfront-Tendenzen mit Sicherheit.

Ob Elsässer nun Rechter ist, sei dahingestellt; er selbst positionierte sich vor nicht allzu langer Zeit noch als Linker. Nationalismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus sind vor allem in der politischen Rechten zu Hause, aber gerade diese Ideologien haben auch ihre Tradition in der Linken, der Antiamerikanismus insbesondere in der Friedensbewegung. Somit ergeben sich inhaltliche Schnittmengen, die eben mehr sind als eine Strategie der Rechten.

Jonas Fedders: Ich denke nicht, dass es allzu viele linke Fans von Pirinçci oder Sarrazin gibt. Das liegt daran, dass diese Autoren ja vor allem durch Rassismus und im Falle von Pirinçci auch durch Sexismus und Homosexuellenfeindlichkeit auffallen. Obwohl natürlich auch die Linke nicht frei von solchen Positionen ist, gehören diese wohl nicht gerade zu ihrem Kerngeschäft. Bei anderen Themen verhält sich das anders, und da kann es schon ziemlich schwierig werden zu definieren, was eigentlich "objektiv" links und rechts ist. Klar, es gibt gewisse Unterscheidungskriterien, die sich im Laufe der Zeit etabliert haben und die auch nach wie vor Gültigkeit für sich beanspruchen können.

Aber letztlich ist vieles ja auch eine Selbstdefinition. Was ist denn einer, der antiimperialistisch, antizionistisch und antiamerikanisch eingestellt ist? Man könnte sagen, das sind alles Themen, die historisch und bis heute für viele Linke relevant sind. Gleichzeitig teilen auch Rechte und sogar Neonazis diese Positionen. Wenn jetzt noch der Nationalismus und der Antisemitismus dazu kommen, wird dann ein selbst erklärter Linker automatisch "objektiv" rechts? Ab einem bestimmten Punkt mit Sicherheit.

Aber ich bin davon überzeugt, dass emanzipatorische Linke es sich zu leicht machen, wenn sie schlicht all jenen, die problematische Positionen teilen, ihr "Links-sein" absprechen. Natürlich müssen Linke gegenüber solchen Kreisen einen klaren Trennungsstrich ziehen, weil mit ihnen kein emanzipatorisches Projekt zu machen ist.

Aber um Antisemitismus effektiv bekämpfen zu können, gilt es anzuerkennen, dass es sich bei ihm um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt, das in allen Schichten und in allen politischen Milieus vorkommt - eben auch unter Linken. Das heißt nicht, dass Linke und Rechte im Grunde doch näher beieinander sind, als allgemein angenommen, auch wenn es genau das ist, was Querfront-Strategen und Verfechter der Extremismustheorie immer wieder behaupten. Das ist großer Unfug. Mein Punkt ist bloß: Wer den Antisemitismus exklusiv an die extreme Rechte delegiert, wird der Realität nicht gerecht.