NATO-Kriterien: Versteckte Rüstungsausgaben

Seite 2: EU-Verschiebebahnhof

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Mit dem neuen mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 will die Europäische Union zum großen Rüstungsschlag ausholen. Erstmals wird eine Art EU-Verteidigungsministerium namens "Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum" eingerichtet, die über beachtliche Mittel verfügen soll. Dazu gehören laut derzeitigen Vorstellungen der Kommission 16 Mrd. Euro für militärisch relevante Weltraumprogramme, insbesondere Copernicus (Erdbeobachtung) und Galileo (Satellitennavigation).

Für "Militärische Mobilität", also für primär militärisch motivierte Infrastrukturmaßnahmen zur schnellen Verlegung von Gerät und Truppen an die Grenze Russlands, sind 6,5 Mrd. Euro vorgesehen. Und mit einem "Europäischen Verteidigungsfonds" (EVF) soll die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern aus dem EU-Haushalt mit 13 Mrd. Euro bezuschusst werden. Hinzu sollen noch 10,5 Mrd. Euro für einen irreführenderweise "Europäische Friedensfazilität" (EFF) benannten Topf kommen, der zwar kein offizieller Teil des EU-Haushaltes sein wird, aber dennoch u.a. für die Finanzierung von EU-Militäreinsätzen gedacht ist.

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang eine parlamentarische Anfrage des Linken-Abgeordneten Tobias Pflüger, aus der hervorging, dass sich der deutsche Anteil nach einem britischen Austritt auf 25 Prozent belaufen würde. In derselben Antwort räumte die Bundesregierung zudem ein, dass zumindest die Gelder des Europäischen Verteidigungsfonds keineswegs dem BMVg-Etat entnommen werden: "Beiträge für den EU-Haushalt werden im Einzelplan 60 (Allgemeine Finanzverwaltung) etatisiert."

Und auf die Frage, ob besagte Gelder dann auch bei der NATO angerechnet werden, kam als Antwort eine nur leicht verklausulierte Zustimmung: "Für eine Klassifizierung als Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien ist es im Verständnis eines 'single set of forces' unerheblich, innerhalb welcher Internationalen Organisation militärische Fähigkeiten erforscht, entwickelt und beschafft werden."

Zwar liegen über die anderen EU-Budgets - Weltraum, Military Mobility und EFF - noch keine eindeutigen Aussagen der Bundesregierung vor. Angesichts der Verfahrensweise mit dem EVF ist aber davon auszugehen, dass auch diese Gelder bei der NATO abgerechnet werden dürften.

Allein was diese neuen EU-Töpfe anbelangt, sprechen wir also von bis zu 46 Mrd. Euro, die für militärische Zwecke ausgelobt wurden, was nach einem Brexit einem deutschen Anteil von über 11,5 Mrd. Euro oder rund 1,6 Mrd. Euro im Jahr entspricht.

Ausweitung der NATO-Kriterien

Auch über die aktuellen Klimmzüge mit Blick auf die kommenden EU-Militärhaushalte hinaus, sind derzeit der Kreativität in Sachen NATO-Kriterien anscheinend kaum Grenzen gesetzt. Vor wenigen Tagen schlug der ehemalige hohe NATO-Mann Ben Hodges in der FAZ vor, auch "andere Ausgaben in die zwei Prozent einrechnen" zu lassen.

Dazu zählt er zum Beispiel "Investitionen in den Cyber-Schutz der für die Nato wichtigen deutschen Häfen oder Flughäfen sowie des Schienennetzes". Ferner wäre dabei auch an "Dual-Use-Projekte" für "Start-ups und Unternehmen" zu denken und auch universitäre "Forschungen, die militärischen Nutzen haben" seien auszuweiten.

Auch für die Bahn vorgesehene Gelder des Verkehrsministeriums sollen künftig entlang der militärischen "Logik" verausgabt werden, schlägt Hodges vor:

Auch das deutsche Schienensystem ist in militärischer Hinsicht verbesserungsfähig. Die Deutsche Bahn wäre derzeit im Krisenfall nicht in der Lage, Ausrüstung für Nato-Streitkräfte schnell in notwendigem Umfang zu transportieren. Investitionen in die Bahnkapazitäten würden dabei natürlich nicht nur der Nato, sondern auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland und der Zivilgesellschaft nutzen.

Ben Hodges

Aber natürlich müsse laut Hodges auch dafür Sorge getragen werden, dass der offizielle und "besser" direkt in die Ausrüstung investierbare Militärhaushalt ebenfalls weiter steige. Hierfür bedürfe es allerdings einer Begradigung der hierzulande immer noch wenigstens halbwegs kritischen Debatte in Sachen Militär, Rüstung und Rüstungsausgaben:

Darüber hinaus bedarf es jedoch - so glaube ich - auch im Ministerium, im Bundestag und in der deutschen Zivilgesellschaft einer "Kultur der Einsatzbereitschaft", am besten eingebettet in eine strategische Debatte über Deutschlands Rolle in der Welt. Denn es sind noch weitere erhebliche Investitionen erforderlich, um die Bundeswehr in einen Zustand zu versetzen, der Deutschlands Rolle als eine der weltweit größten demokratischen Wirtschaftsmächte mit hohen moralischen Standards gerecht wird. Sind es nicht auch deutsche Interessen und Werte, die eines militärischen Schutzes bedürfen?

Ben Hodges