NSU-Ausschuss: Verschleierungsversuche live

Seite 2: Sie wollten nicht, "dass da Fotos in die Welt gehen"

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Dann sei der Polizeiverantwortliche Michael Menzel erschienen, der das Kommando übernahm. Nun wurde die Geschichte, die Lotz den Abgeordneten und Zuhörern im Ausschusssaal präsentierte, zusehends befremdlicher. Zur Feuerwehr, die fotografierte, hätten er und Menzel gesagt: "Was soll das? Können Sie mal damit aufhören? Das ist ein Tatort mit Leichenfund. Der gehört der Staatsanwaltschaft!" Sie wollten nicht, so Lotz wörtlich, "dass da Fotos in die Welt gehen". Deshalb hätten sie die Kamera beschlagnahmt. Die Feuerwehr wollte aber nur den Speicherchip herausrücken, den er dann an sich nahm.

Mit dieser Aussage entlastete Lotz vor allem den Polizeiführer Menzel. Aber er diskreditierte zugleich die Feuerwehrleute und deren Aussagen vor dem PUA in Erfurt. Als ob die Feuerwehr Fotos von Tatorten aus voyeuristischen Gründen machen würde, etwa um sie ins Internet zu stellen.

Was mit den Fotos der Feuerwehr passierte und wer sie möglicherweise in seinem Besitz hat, ist bis heute nicht klar und wurde auch während der Ausschusssitzung in Berlin nicht klar. Dasselbe gilt für die Aufnahmen, die auch Lotz im Fahrzeug gemacht hat, als er es zusammen mit Menzel erneut betrat. Sie hätten sich einen Überblick verschaffen wollen, auch um zu klären wollen, ob für die Tötung der zwei Männer eine fremde Person in Betracht käme.

Das schlossen sie aber aus. Für sie sei klar gewesen, entweder habe jeder der Toten sich selber erschossen, oder einer den anderen und dann sich selbst. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Uwe Mundlos Uwe Böhnhardt erschoss, das Wohnmobil in Brand steckte und dann auch sich mit einem Schuss in den Rachen tötete (NSU-Terroristen: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese).

KOK Lotz: "Eventuell wurde Böhnhardt ja versehentlich von Mundlos erschossen"

Michael Lotz wartete dann aber noch mit einer dritten Tötungsversion auf. Zunächst wollte der Ausschuss wissen, was die Situation im Wohnmobil für die zwei so aussichtslos gemacht habe, dass sie sich umbrachten? Lotz antwortete: "Vielleicht, weil sie sahen, dass die Polizei bereits mit Streifenwagen da war." Daraufhin intervenierte der Regierungsvertreter des Landes Thüringen, der Zeuge äußere Mutmaßungen, man solle doch anders fragen. Nun sagte Lotz: "Eventuell wurde Böhnhardt ja versehentlich von Mundlos erschossen." Eine Antwort, derart unseriös, dass sie schlagartig die Authentizität der gesamten Zeugenaussage in Zweifel zog. Es gab noch weitere Beispiele für das tendenziöse Aussageverhalten des KOK Lotz.

Da ist die Frage, ob es eine dritte Person am und im Wohnmobil gegeben haben könnte. Der Ausschuss wollte vor allem wissen, ob das ausermittelt ist. Lotz berichtete von einer Meldung über eine männliche Person, die an der Autobahnauffahrt versuchte, Fahrzeuge anzuhalten. Ein Streifenwagen seit dorthin gefahren. Die Person sei aber nicht mehr feststellbar gewesen. Für ihn sei sowieso klar, dass eine dritte Person "keine Rolle gespielt haben kann". Aus dem Wohnmobil sei keine herausgekommen.

Daraufhin wurde ihm ein Foto des Fahrzeuges von der Fahrerseite gezeigt und der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger fragte: "Wer steht auf der anderen Seite des Wohnmobils?" Lotz: "Kann ich nicht sagen." Binninger: "Sehen Sie! Warum können Sie dann sagen, da kam keiner raus?" Und Lotz: "Die beiden Streifenbeamten, die kurz vor dem Brand ankamen, sagten, sie hätten keine dritte Person gesehen. Sie hätten unter dem Wohnmobil durchgeschaut und keine Füße gesehen."

Diese Aussage der beiden Streifenbeamten wäre neu. Hat Lotz sie erfunden? Beim Prozess in München wurden die Beamten ausgiebig danach gefragt, was sie gesehen haben, und es stellte sich heraus, dass sie so gut wie nichts gesehen haben konnten. Als sie sich damals dem Wohnmobil näherten, fielen drei Schüsse in kurzen Abständen. Die Polizisten gingen daraufhin hinter einem Pkw und einem gemauerten Müllcontainer auf der anderen Straßenseite in Deckung. Dort blieben sie noch, als die Löscharbeiten der Feuerwehr bereits begonnen hatten. Dass sie unter dem Wohnmobil durchgeschaut hätten, sagten sie nicht.

Für die Frage, ob eine dritte Person auf der Beifahrerseite aus dem Camper gekommen sein könnte, also untaugliche Zeugen. Der Ausschuss hat aber die Möglichkeit, sie selber zu befragen. Zumal Lotz sie mit einer weiteren fragwürdigen Aussage in Verbindung bringt. Der Streifenbeamte Uwe S. soll ihm gegenüber nämlich nicht von drei Schüssen berichtet haben, sondern nur von zweien. Auf Nachfrage habe er das bekräftigt. Im Prozess in München dagegen erklärten Uwe S. und sein Kollege Frank M., ebenfalls auf Nachfrage, es seien drei Schüsse in dem Camper gefallen.

Der Auftritt von Kriminaloberkommissar Michael Lotz wirft Fragen auf. Er äußerte sich nicht nur zum Tatgeschehen vom 4. November 2011, sondern auch zu Zeugenaussagen vor Untersuchungsausschüssen und zu Presseberichten. Verfolgte er eine bestimmte Absicht? War dieser Auftritt abgesprochen und vorbereitet? Ein letztes Beispiel stützt eine solche Annahme: In Berichten war davon die Rede, das Wohnmobil sei zum Abtransport auf eine Rampe mit 20-Grad-Neigung gezogen worden. Einmal war auch von 40-Grad-Neigung die Rede.

Lotz erklärte den Abgeordneten nun, dass er sich am 7. April 2016, also eine Woche vor seiner Zeugenaussage im Ausschuss, "genau diesen Wagen habe kommen lassen", um das zu überprüfen. Er habe nachgemessen: Die Neigung betrage genau acht Grad.

Was wird hier eigentlich ermittelt? Hier wird keiner ungeklärten Mordserie nachgegangen, sondern Presseberichten. Man erlebt einen Polizeiverantwortlichen, der sich nun selber in den NSU-Komplex verstrickt hat. Der Skandal bringt immer neue Handlungsebenen hervor, vor allem solche, die mit den Taten an sich nichts mehr zu tun haben.