NSU-Terroristen: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese

Seite 2: Tatdauer: 30 Sekunden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In 20 bis maximal 30 Sekunden soll aus dem Wohnmobil auf die beiden Polizisten geschossen worden sein, soll Mundlos Böhnhardt erschossen haben, einen Brand im Wohnmobil gelegt und Selbstmord begangen haben.

Kritiker bezweifeln, dass dies in der von den Ermittlern angegebenen Zeitdauer möglich war. Ferner standen auf dem Gasherd des Wohnmobils laut einem LKA-Gutachten "mindestens zwei der drei Schaltknöpfe nicht in Position Aus", und auch das Ventil der Flüssiggasflasche sei "noch geöffnet gewesen", obwohl sich "auf dem Herd … kein Kochgeschirr [befand]". Deswegen sind, wie der Eisenacher Polizisten Seeland aussagte, "Teile der Dachverkleidung wegflogen". Es wird bezweifelt, ob das Gas im angegebenen Zeitraum auch noch aufgedreht werden konnte.

Unklares Motiv

Den Ermittlern blieb unklar, warum Mundlos und Böhnhardt, die über Polizeifunk mithörten, dass die Ringfahndung nach ihnen aufgehoben worden war, nicht einfach über die Autobahn flüchteten — ihr Wohnmobil stand 6,4 km entfernt von der Auffahrt zur A4.

Unklar bleibt, warum die beiden NSU-Neonazis nicht einfach mit ihrem Wohnmobil weggefahren sind, als die beiden Polizisten sie als tatverdächtige Bankräuber aufspürten. Als Grund, dass "die Täter, die zuvor zehn Menschen kaltblütig ermordet haben, nicht geflohen" sind, sondern einen Doppelselbstmord wählten, wurde eine "spontane Deradikalisierung" angenommen.

Die zweite Patronenhülse

Passend zu den zwei aus der Winchester "Pumpgun" Modell 1300 Defender abgegebenen Schüssen wurden zwei 70 Millimeter lange Patronenhülsen gefunden. Waffenexperten sagten aus, dass Mundlos seine Pumpgun nach dem Abfeuern des tödlichen Kopfschusses auf sich selbst nicht noch einmal nachladen und die Patrone auswerfen konnte. Die leere Hülse bliebe bei diesem Schusswaffentyp bis zum Nachladen im Lauf, aber die verwendete Munition töte sofort, so dass auch keine krampfartige Reaktion mehr möglich sei.

Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die "Pumpgun" nicht geladen war und vor dem ersten Schuss zuerst die erste Hülse ausgeworfen werden musste — was aber merkwürdig wäre, da alle anderen sieben Waffen geladen waren (Pumpgun Mossberg Maverick 88; Revolver Alfa -PROJ; Pistole Heckler und Koch, Mod. 2000, 9mm Luger; Pistole Heckler und Koch, Mod. P2000, 9mm Luger; Maschinenpistole Pleter 91; Revolver Melcher, ME900SA; Pistole Ceská 70, 7.65 Browning).

Kein Ruß, kein Rauchgas — keine Brandstiftung?

Falschdarstellung

Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes, sagte in der 58. (nichtöffentlichen) Sitzung des Bundestagsinnenausschusses vom 21.November 2011, "In dem einen Fall haben wir bei der Obduktion Ruß in der Lunge gefunden und in dem anderen Fall nicht. Daraus ergibt sich dann im Grunde die Abfolge, wer wen [erschossen hat]".

Richtigstellung: Hier sagte der Präsident des BKA dem Bundestag die Unwahrheit. Der obduzierende Rechtsmediziner Dr. Heiderstädt erklärte im NSU-Prozess, "sie hätten keine Spuren von Rauchgaseinatmung und keine Rußbestandteile in den Atemwegen gefunden".

Falschdarstellung

Wolfgang Schorlau behauptet in seinem auf Originalquellen gestützten Roman "Die schützende Hand" (in Kapitel 48): In den Obduktionsberichten zu Mundlos und Böhnhardt habe das Universitätsklinikum Jena am 23.11.2011 festgestellt, dass bei beiden Neonazis "eine Rauchgasvergiftung definitiv ausgeschlossen werden kann".

Schorlau schlussfolgert: Da Mundlos keinen Ruß und kein Rauchgas eingeatmet habe, hätte er den Brand im Campingwagen nicht gelegt haben können.

Richtigstellung: Dr. Heiderstädt hatte nicht erklärt, die beiden hätten kein Rauchgas eingeatmet, sondern ausgesagt: Das Kohlenmonoxyd, der wichtigste Bestandteil des Rauchgases, könne "solange Leben da ist, auch wieder abgeatmet werden. Er könne nicht ausschließen, dass Rauchgas und CO eingeatmet und wieder abgeatmet wurde. Erst zum Zeitpunkt des Todes würde die Konzentration dann so bleiben. Das schließe eine kurzfristige CO-Einatmung nicht aus."

Demnach beweist fehlendes CO in Mundlos' Blut nicht, dass er keinen Brand hätte legen können.

Wenig Gehirnmasse

Bei den beiden Kopfschüssen wurde "durch die Wucht der Explosion im Schädel … fast das gesamte Hirn herausgeschleudert".

Bei Mundlos (aufgefunden Resthirnmasse ca. 500 Gramm) und Böhnhardt (Resthirnmasse ca. 100 Gramm) fehlen laut obduzierendem Rechtsmediziner Dr. Heiderstädt insgesamt 2*1400 g - (500 g + 100 g) = 2200 g Hirnmasse.

Wo ist nun diese Gehirnmasse? In dieser Frage übernahm die ZDF-Sendung "Aspekte" eine Darstellung von Schorlau ("Was die bekannten Fakten betrifft, hält sich Schorlau streng an die Realität") und führt aus:

Falschdarstellung

Es "müsste hinter Uwe Mundlos, nachdem er sich eine Kugel in den Kopf gejagt hat, ungefähr ein Kilogramm Hirnmasse zu sehen sein. Das aber ist nicht der Fall - im ganzen Wohnmobil findet sich davon keine Spur."

Auf einem Tatortfoto, das den toten Mundlos zeigt, sei nichts davon an der Wand des Campingwagens zu sehen.

Richtigstellung: Es wurde sehr wohl Gehirnzellmasse im Wohnmobil gefunden. Dr. Heiderstädt sprach im NSU-Prozess bezüglich der Kleidung von Mundlos immerhin "von Gewebsanhaftungen, Hirnanteilen", und der Blogger "Fatalist" (zu seiner Glaubwürdigkeit: siehe unten) zeigt in seinem Blog mit Fotos und Lageskizzen die "Lage der Gehirnzellmasse".