NSU-Zeuge in den Niederlanden festgesetzt

Grafik: TP

Torsten O. begab sich in das Nachbarland, bat um Asyl und ist seither in Abschiebehaft - Hintergründe unklar

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Seit Mitte Oktober 2017 wird der Bundesbürger Torsten O. in den Niederlanden festgehalten. Weder ist klar, was ihm konkret vorgeworfen wird, noch die Rechtsgrundlage, auf der die Zwangsmaßnahme geschieht. Das Besondere: Torsten O. ist ein Zeuge im NSU-Skandal. Im Jahr 2003 hatte er gegenüber einem Beamten des Verfassungsschutzes von Baden-Württemberg von einer Terrororganisation namens "NSU" berichtet.

2015 wurde O. dazu vom Untersuchungsausschuss in Stuttgart vernommen. Damals bestritt er überraschend den Sachverhalt. Wenige Monate später bestätigte er ihn aber gegenüber dem Autor doch (vgl. Erfuhr der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg doch 2003 von NSU?. In der Vergangenheit war er auch Informant des Geheimdienstes.

Vielschichtige Geschichte

So vielschichtig wie Torsten O.s Geschichte ist auch das, was gegenwärtig in den Niederlanden abläuft.

O. lebte zuletzt in Sachsen. Im Januar 2017 wurde er nach Absitzen einer langjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen. Zugleich stellte ihn das Landgericht aber unter Führungsaufsicht. Er bekam unter anderem die Auflage, sich regelmäßig zu melden. O. fühlt sich von deutschen Behörden seit Jahren verfolgt. Er berichtet, dass nach seiner Entlassung, wiederholt Polizei bei ihm vor dem Haus stand.

Mitte Oktober packte er seine sieben Sachen und fuhr in die Niederlande. Dort beantragte er am 15. Oktober Asyl. Zwei Tage später wurde er in Gewahrsam genommen, wo er sich bis zum heutigen Tage befindet, seit mehr als neun Wochen also. Seit Mitte November ist er im zentralen Abschiebegefängnis der Niederlande in Zeist in der Nähe von Utrecht untergebracht.

Doch abgeschoben wird er bisher nicht. Als Bundesbürger hat er das Recht, sich in ganz EU-Europa frei zu bewegen. Sein Anwalt hält O.s Arretierung für ungesetzlich und hat Beschwerde eingelegt. Bundesdeutsche Stellen äußern sich bisher nicht zu dem Fall. Sie müssen aber involviert sein.

Möglich, dass dieser ungewöhnliche Umgang etwas mit der Rolle von Torsten O. im anhaltenden NSU-Skandal zu tun hat. Bekannt gemacht hat den Zeugen der frühere Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von Baden-Württemberg, Günter S. Bereits im August 2003, also acht Jahre vor Auffliegen des NSU, hat O. den LfV-Beamten auf eine "Terrororganisation in Ostdeutschland" aufmerksam machte, die sich "NSU" nannte und zu der mindestens fünf Leute gehörten, zwei hießen Mundlos und Böhnhardt. Man kann davon ausgehen, dass das entsprechende Gespräch mit diesem Inhalt tatsächlich stattgefunden hat. O. ist der erste Zeuge, der zu einem so frühen Zeitpunkt vom "NSU" gesprochen hat. Andere Zeugnisse sind schriftlicher Natur.

Im Zuge der NSU-Aufklärung nach 2011 bestritten Ermittler und Verfassungsschützer allerdings offiziell immer, dass O. etwas über NSU ausgesagt habe.

Im März 2015 waren er und der frühere Verfassungsschützer vor den Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg geladen: Günter S. blieb bei seiner Darstellung, O. habe ihm von "NSU" berichtet. Torsten O. hingegen bestritt das - und stützte damit die offizielle Version (Siehe Befragungen von "T.O." und "G.S.").