NSU-Zeugen im Schonwaschgang

Seite 3: Stephan L. und Markus Fr.

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Blood and Honour (B&H) war eines der tragenden rechtsextremistischen Netzwerke, seit 2000 verboten. Deutschlandweit zählte es etwa 200 Aktive. Dazu gehörten Stephan L. aus Berlin und Markus Fr. aus Baden-Württemberg. Die Führungskader allerdings waren zu einem großen Teil Agenten, Informanten und Spitzel der diversen Verfassungsschutzbehörden - in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und auch möglicherweise in Baden-Württemberg.

Vor einem Jahr kam heraus, dass selbst der Deutschland-Chef von B&H, eben Stephan L., jahrelang im Dienst des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) stand. Aus einem Papier des Landeskriminalamtes Berlin, Abteilung Staatsschutz, geht hervor, dass L. im Jahre 2000 "an das BfV vermittelt" wurde. Warum? War L. V-Person des LKA und sollte durch seine Umwidmung davor bewahrt werden, im anstehenden Prozess um die Band Landser als Zeuge aussagen zu müssen und damit enttarnt zu werden?

Sein Einsatz für das BfV soll bis zum Jahre 2010 gedauert haben, also vor dem Auffliegen des NSU. Das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe will er allerdings nicht gekannt haben. Auch nicht, dass enge Kameraden von ihm, wie Thomas Starke und Jan Werner, die drei gut kannten und nach dem Untertauchen noch in Kontakt mit ihnen standen.

Im Jahr 2001 siedelte L. von Berlin nach Baden-Württemberg um. Vor allem um Abstand von der Szene zu gewinnen, erklärte er jetzt vor dem NSU-Ausschuss in Stuttgart. Der erste öffentliche Auftritt nach seiner Enttarnung. Als er in München als Zeuge vernommen wurde, war seine frühere Doppelexistenz noch nicht bekannt. Das BfV ließ das Gericht darüber im Unklaren.

Er habe im März 2000 seine Ämter als B&H-Chef niedergelegt, wollte "schleichend" aus der Szene aussteigen, so L. Allerdings wohnte er anfänglich ausgerechnet beim ex-BaWü-Chef von B&H, Markus Fr. Fragwürdig ist auch, warum er für das BfV tätig wurde zu einem Zeitpunkt, als er aus der Szene ausgestiegen sein will. Was und worüber hat er berichtet?

Das durfte die Öffentlichkeit in der Ausschusssitzung allerdings nicht erfahren. Auf die Frage, ob er V-Mann des Verfassungsschutzes war, machte sein Anwalt ein Aussageverweigerungsrecht geltend. Sie würden weder ja noch nein dazu sagen. Herr L. könne sich sonst strafbar machen, weil er möglicherweise Dienstgeheimnisse offenbare. Das allerdings kann man streng betrachtet bereits als Eingeständnis einer BfV-Kooperation interpretieren. Denn nur wenn er V-Mann war, kann er ein Dienstgeheimnis verletzen. Der Ausschuss befragte ihn anschließend in nicht-öffentlicher Sitzung. Aus der erfuhr man nichts.

Ein Untersuchungsausschuss, dem die Interessen der Sicherheitsbehörden offenbar heilig sind und mehr gelten, als die Aufklärung einer Mordserie

Der Vorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) wollte hinterher nicht einmal sagen, ob das Gremium denn versucht habe, beim BfV eine Aussagegenehmigung für den Zeugen L. zu erwirken. Begründung: Aus der möglichen Antwort des Amtes könne man bereits schließen, ob L. V-Mann war oder nicht. Ein Untersuchungsausschuss, dem die Interessen der Sicherheitsbehörden offenbar heilig sind und mehr gelten, als die Aufklärung einer Mordserie.

Das zeigte sich in gewisser Weise auch bei der Vernehmung des anderen früheren B&H-Aktivisten Markus Fr. Der ist seit Jahrzehnten die zentrale Figur der rechtsextremen Szenen in Baden-Württemberg und mischt, wie man aus vielen Zeugenaussagen, aber auch aus Ermittlungen weiß, in zahlreichen Neonazi-Gruppen mit oder gründete sie.

Die nationalistische politische Vita des Mannes kann als belegt gelten - vor dem Ausschuss durfte er allerdings, ohne von den Abgeordneten groß Widerspruch zu erfahren, ein anderes Bild von sich zeichnen. Er sei früher aktiv gewesen, heute nicht mehr. Die Zahl der Mitglieder in den Gruppen sei eher weniger gewesen als mehr. Sie hätten eher Partys gemacht als Politik. Bei einer Kreuzverbrennung in Ku Klux Klan-Manier beispielsweise will er "garantiert nicht" dabei gewesen sein.

Viele andere Rechtsextremisten, die ihn gekannt haben wollen, will er nicht gekannt haben. Beispielsweise den KKK-Anführer von Schwäbisch Hall, Achim Schmid, der zugleich V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von Baden-Württemberg war und der mit dem KKK-V-Mann Thomas Richter zusammenarbeitete, der wiederum auf der Adressliste von Uwe Mundlos stand.

Alles in den letzten Jahren recherchierte und belegte Zusammenhänge. Doch vor diesem Untersuchungsausschuss durfte er sie verneinen und bestreiten und quasi eine völlig andere Geschichte erzählen. Der Ausschuss ließ das zu, kein Aktenvorhalt, der ihn widerlegt und gezwungen hätte, seine "alternativen" Darstellungen zu untermauern. Selbstredend will Fr. auch das NSU-Trio oder den Angeklagten Ralf Wohlleben nicht gekannt haben.

Im September 2013 ist der Neonazi-Aussteiger Florian H. aus dem Landkreis Heilbronn in seinem Auto verbrannt. Er will Wissen über die Täter des Polizistenmordes von Heilbronn gehabt haben. Der Prozess in München sei eine Farce, soll Florian seiner Familie gegenüber gesagt haben, solange dort nicht andere auf der Anklagebank säßen. Darunter nannte er den Namen von Markus Fr. Das hatte Florians Vater 2015 vor dem Untersuchungsausschuss in Stuttgart zu Protokoll gegeben. Florian soll sogar persönlich Kontakt mit Fr. gehabt haben. Der Name Florian H(...) sage ihm nichts, erklärte Fr. nun als Zeuge auf die entsprechende Frage. Und ob er ihm persönlich begegnet sei, Antwort: nicht dass er wüsste.