Nach Dresden die Sintflut?
Der Mensch als Faktor bei der Erderwärmung ist - und bleibt - eine Glaubensfrage
Mitte August passierte etwas, was kein Mensch für möglich gehalten hätte: Der Zwinger mitten in Dresden stand unter Wasser. Ende 2002 erschienen die ersten Bücher dazu. Eines davon ist "Die große Flut", eine sehr gelungene Kombination aus Zeitdokument, Einführung in die Klimaforschung für Laien und Aufruf zu Vorbeugungsmaßnahmen.
"Müssen wir auf weitere Indizien einer Klimaänderung warten?" fragte Harald Schützeichel, Vorstand der S.A.G. - Deutschlands größter Solarstromproduzent - in der Ausgabe des Firmen-Magazins, die direkt nach der Flut erschien. In der Tat: Man könnte noch das Oder-Hochwasser von 1997, den Jahrhundertsturm Lothar von 1999 und das Jahrhunderthochwasser an der Elbe von 2002 anführen - sind das nicht unschlagbare Beweise dafür, dass das Klima der Erde sich ändert? Wenn nicht, was ist dann mit der Flut in China, die fast gleichzeitig mit dem Elbe-Hochwasser stattfand, oder mit der Flut von 2000, die fast ganz Mosambik bedeckte? Und schmelzen nicht die Gletscher weltweit (Das Dach der Welt tropft)?
In Dresden fielen an einem Tag 158 mm Regen; der bisherige Rekord lag bei 77 mm
Ganz klar: Die Antwort auf die Frage, ob irgendeine von diesen Katastrophen als Indiz dafür herangezogen werden kann, dass die Erde wärmer wird, muss trotz aller scheinbaren Logik Nein lauten - und zwar nicht weil das Klima sich nicht ändert, sondern weil man Wetter und Klima nicht verwechseln sollte. Diese und andere Einsichten liefert das Buch "Die große Flut", herausgegeben vom TV-Wettermann Jörg Kachelmann. Bereits der Titel zeigt, dass hier auf Übertreibung à la "Jahrtausendflut" verzichtet und auf eine sachliche, allgemein verständliche Darstellung gelegt wird.
Was sollte der Laie wissen? Zum Beispiel, dass man nicht beweisen kann, dass die Menschheit für die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Selbst wenn in 100 Jahren die Temperatur um ein paar Grad gestiegen und die große Katastrophe bewiesenermaßen ausgebrochen ist, wird man nicht mit Sicherheit sagen können, dass die Verbrennung von fossilen Energieträgern schuld war. Aber das darf uns auch nicht davon abhalten, unseren höchst wahrscheinlichen Einfluss im Auge zu behalten.
Denn es ist unstrittig, dass es den Treibhauseffekt schon immer gegeben hat; sonst wäre die Durchschnittstemperatur auf der Erde etwa -18°C statt knapp 15°C. Und die Konzentration der Gase, die diesen Effekt hervorrufen, steigt, seit wir fossile Brennstoffe verfeuern. Die CO2-Konzentration liegt zum Beispiel seit 450.000 Jahren immer zwischen 175 und 300 ppm. In den letzten 50 Jahren jedoch steuern wir jährlich auf 400 ppm zu.
Unstrittig ist auch unter den Klimaexperten, dass es im 21. Jahrhundert häufiger zu Naturkatastrophen kommen wird (Das Wetter läuft Amok). Steigt der Meeresspiegel, wird man nicht etwa weniger Strand haben, sondern ein Teil des Wassers wird sintflutartig auf die Kontinente und Meere regnen. Dabei wird es paradoxerweise vielerorts zu Dürren kommen, denn wenn der Regen in immer kürzeren, heftigeren Ergüssen fällt, fließt er schneller ab. Nach der Flut kommt dann die Dürre.
Was tobt mehr: das Klima oder die Klima-Debatte?
Gab es nicht Anfang 2003 eine außergewöhnlich lange Trockenperiode mit rekordverdächtig viel Sonnenschein? Und der frühe, rekordverdächtige Sommereinbruch im Juni? Gab es schon immer so viele Windhosen hierzulande? Einerseits behaupten manche Umweltorganisationen wie das Worldwatch Institute unmissverständlich:
With global average temperatures climbing to 14.52 degrees Celsius, 2002 was the second hottest year since record keeping began in the late 1800s. The nine warmest years on record have occurred since 1990, and scientists expect that the temperature record set in 1998 will be broken with a new high in 2003. Scientists predict that higher global temperatures will translate into a greater number of extreme weather events. The number of big weather catastrophes worldwide has quadrupled since the 1960s, a trend that many attribute to rising global temperatures.
Andererseits wird man heute wie noch nie von Wetterinformationen überschwemmt. Sind die Stürme nicht weltweit schlimmer geworden, sondern die Informationen darüber nur zahlreicher?
Man ist leicht versucht, der obigen Argumentation von Herrn Schützeichel zu verfallen, doch sollte man dabei bedenken, dass die Kritiker der These von der Erderwärmung genauso vorgehen und lokale Wetterereignisse für Ihre Thesen verwenden. Ja, die Deutschen sind sich so einig, dass etwas gegen die globale Erwärmung getan werden muss, dass man sich hierzulande den Ausmaß der Debatte im Ausland - vor allem in den USA - nicht vorstellen kann.
So hat zum Beispiel das George C. Marshall Institute Anfang des Jahres einen Bericht veröffentlichte, in dem behauptet wird, die Erde war vor 1.000 Jahren noch wärmer als heute. Die "Wissenschaftler von Harvard" - so wurden die Autoren des Berichts in der Presse gehandelt - hätten damit die Behauptungen des 1.000 Seiten starken IPCC-Berichts von 2001 widerlegt. Die 500 internationalen Wissenschaftler (und 300 internationalen Gutachter) beim Intergovernmental Panel on Climate Change hatten nämlich errechnet, dass die Erde in den 1990ern noch nie so heiß gewesen sei, seit man überhaupt messen kann.
Die Handvoll Autoren von Harvard stützt sich in ihrer Widerlegung dieser These zum Beispiel auf die Tatsache, daß es in Grönland offenbar zwischen etwa 1100-1500 wärmer als heute war. Hier wird klar, warum man Wetter nicht mit Klima verwechseln kann, denn das Wetter in Grönland liefert keine Basis für globale Aussagen.
Dabei sind die Autoren von Harvard keineswegs neutral, sondern hinter dem George C. Marshall Institute und einigen anderen Klimawechsel-Kritikern wie dem Competitive Enterprise Institute stehen die Ölinteressen der USA, vor allem Exxon Mobil. Manche dieser "Organisationen" klingen echt, z.B. das Science & Environmental Policy Project (SEPP, doch die Newsletter dieses Projekts zeigen, wie absurd deren Argumente sind. So hat das SEPP entgegen aller Berichte, dass Alaska im Schlamm versinkt, weil die Tundra auftaut, auf die Webseite des Alaskan Climate Research Center hingewiesen. Dort stellt man richtig, dass die durchschnittliche Temperatur nicht, wie in der New York Times berichtet, um 7 Grad F (rund 3,6 C), sondern um 2,7 F (rund 1,4 C) seit 1971 gestiegen sei. Das SEPP betitelte darauf hin die ganze Diskussion als "global warming fiction".
Kann man was tun?
Man könnte die ganze Debatte in den USA belächelnd abtun; schließlich wird dort immer noch vielerorts die Evolution als Gotteslästerung angesehen. Leider hat aber das Klima ernste Konsequenzen, und die Amerikaner - 5% der Bevölkerung der Erde - verbrauchen schätzungsweise 25% der Energie und verursachen bis zu 50% des Mülls weltweit. Ohne die Amerikaner kann es hier keinen Vorschritt geben. Und "Die große Flut" weist zu Recht daraufhin, dass vor allem arme Länder wie Bangladesch und Mosambik an den Folgen der Klimaerwärmung leiden werden. Letztlich leidet die Dritte Welt dann an den Folgen unseres Lebensstils: Am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg wurde ein Zusammenhang zwischen der Dürre in der Sahel-Region und Luftverschmutzung in Europa aus Nordamerika nachgewiesen.
Dabei belegen manche Studien, dass die Zunahme der Temperatur in den letzten Jahrzehnten das pflanzliche Wachstum gefördert habe - laut Science gibt es 6% mehr Biomasse als vor 20 Jahren. Manche Kritiker der Erderwärmungsthese glauben deshalb, dass die Erderwärmung alles eher besser machen wird, wie z.B. der berühmt-berüchtigte dänische Umweltminister und Autor von "Apocalypse No" Björn Lomborg.
Die meisten Menschen fallen irgendwo dazwischen und fragen sich, was man zu welchem Preis ändern kann. Die Bush-Regierung versucht mittlerweile auch nicht mehr, die Erderwärmung als "unsound science" abzutun, sondern zielt nunmehr darauf, alle Klima-Maßnahmen als zu teuer abzustempeln und den Zusammenhang zwischen der Verbrennung von fossilen Brennstoffen und der Erderwärmung zu relativieren (Bush-Regierung: Klimaerwärmung durch Menschen verursacht). So hat z.B. die Bush-Regierung in ihrer letzten Klimastudie alle Verweise auf einen solchen Zusammenhang gestrichen.
Die Marktgesetze können wir ändern, die Naturgesetze nicht.::Rudolf Hickel, in "Die große Flut"
"Die große Flut" zeigt, dass auch in Deutschland viel getan werden kann - und muss. Die Bodenversiegelung ist ein großes Problem, denn das Wasser fließt ungenutzt ab. Wenn es in außergewöhnlich großen Mengen fällt, entstehen reißende Ströme, wo einst Strassen waren. Gleiches gilt für die Entwaldung, denn Wälder speichern große Wassermengen.
Dann muss man den Flüssen wieder freien Lauf lassen. Die Flussbegradigung läuft seit Vaubans Zeiten auf Hochtouren, ohne dass dem Thema in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Wie Autor Klaus Lanz in "Die große Flut" erklärt:
Ein Tropfen Rheinwasser brauchte im Jahre 1955 noch 65 Stunden für die Fließstrecke von Basel nach Karlsruhe, durch die Begradigung und Kanalisation des Rheins sind es heute nur noch 28 Stunden.
Und Wettermann Jörg Kachelmann weist daraufhin, dass sein Wetterdienst 10 Stunden vor dem Deutschen Wetterdienst eine Warnung ausgesprochen hätten, d.h. man muss das deutsche Warmsystem verbessern, denn wie im Falle des Orkans Lothar von 1999 gab es im August 2002 keine rechtzeitige Warnung. Letztlich liefert Kachelmanns Wetterdienst Wetterdaten an die S.A.G., und Mitautor York Ditfurth ist Pressesprecher bei der S.A.G. Die Photovoltaik-Branche sowie der gesamte Erneuerbare-Energie-Sektor kommen hier nicht zu kurz.
Außerdem wäre es ratsam, die Verwendung von toxischen Stoffen zu reduzieren, denn diese werden bei einer Flut aus den "sicheren" Industriestandorten in die Umwelt freigesetzt, wie das Beispiel von Prag zeigt, wo ein Jahr nach der Flut die Lebensmittel immer noch zum Teil verseucht sind.
Schließlich liefert "Die große Flut" die Ansichten und Gefühle einiger Betroffenen. Wer sich also für den Streifen Kultur an der Elbe im Osten interessiert und wissen will, was ein "Wossi" ist, dem sei dieses Buch auch empfohlen.
Kachelmann, Jörg (Hrsg.): Die große Flut. 272 S. rowohlt, € 14,90
Craig Morris übersetzt bei Petite Planete.