Nach Putin wird es nicht schöner: Experten warnen vor falschen Hoffnungen

Protestplakat mit dem Konterfei Putins und darauf die Zeile: "All I want is Peace. A little Peace of Ukraine"

Bild: Amani / Shutterstock.com

Fröhliche Realisten Christian Hacke und Herfried Münkler über die Geopolitik des Ukraine-Krieges und die Folgen. Warum der Westen sich gründlich verrechnet hat.

Denn im Allgemeinen heißt der Mensch lieber ein Bösewicht, aber gescheit, als ein Dummkopf, wenn auch anständig; des einen schämt er, mit dem andern brüstet er sich.

Thukydides

"Der Westen hat sich verkalkuliert! Das können wir nicht unter den Tisch fallen lassen", insistierte der Politikwissenschaftler Christian Hacke.

Lebendige Debatte

Es war der Höhepunkt einer an Höhepunkten reichen, sehr lebendigen zweistündigen Debatte: Christian Hacke stritt sich mit Herfried Münkler, ebenfalls Politikwissenschaftler, über die Bewertung des Ukraine-Krieges und seiner Vorgeschichte, über notwendige Antworten und vermutliche Folgen.

Im Gegensatz zu Münkler betonte Hacke:

Die Amerikaner führen einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine, um da Putin zu stellen, um da Russland kleinzumachen, um dort dem Killer nie wieder den Rang als eine europäische Macht zu erlauben!

Dieser Plan, militärisch, mit den Ukrainern als Kanonenfutter, Sanktionslisten und viel Militärhilfe, sei gescheitert und zu Durchhalteparolen geschrumpft:

Auch Demokraten sind nicht frei von Illusionismus.

Große Begriffe oder Bodenhaftung

Aus dem Saarland kommen nicht nur politische Köpfe wie Karl Marx, Erich Honecker und Oskar Lafontaine; Filmemacher wie Max Ophüls und merkwürdige Gerichte, die Dibbelabbes heißen, sondern auch die Stiftung Demokratie Saarland (SDS), einer der besten gegenwärtigen Veranstalter öffentlicher Vorträge und Diskussionsrunden.

Dieses Urteil ergibt sich daraus, dass die SDS zum einen ihre Veranstaltungen schnell und breit verbreitet, etwa im hauseigenen YouTube-Kanal, der natürlich viel schneller ist als die hauseigenen Publikationen. Zum anderen, weil sie einen sicheren Instinkt für Gäste hat, die gleichzeitig Niveau besitzen und trotzdem in ihren Positionen kontrovers genug sind, um breites Interesse zu garantieren.

So etwa vor einer Woche als die beiden Politikwissenschaftler Christian Hacke (Bonn, Hamburg) und Herfried Münkler (Berlin) miteinander über die Geopolitik des Ukraine-Krieges diskutierten.

Große Begriffe fielen vor allem in der Einleitung der Veranstaltung: Epochenbruch, Bewährungsprobe, neue Antworten, veränderte Realität, Neuorientierung deutscher Außenpolitik.

Münkler und Hacke argumentierten beide mit mehr Bodenhaftung, waren sich auch in vielem einig – Putin dürfe nicht pathologisiert werden; die Entspannungspolitik gegenüber Russland nach dem Ende der UdSSR 1991 war richtig – im Entscheidenden aber uneins.

"Da müssen wir nicht gucken wie die Unschuldslämmer"

Zum einen die Rolle des Westens. Während Münkler den zwar öfter erwähnte, als es konkreter und strittiger wurde, aber vornehm schwieg, weigerte sich Hacke hier überhaupt von einer Einheit zu sprechen.

Es seien die US-Amerikaner, die entscheiden, die Deutschen müssten folgen:

Ich sage nur Nord Stream 2 und einen Satz dazu: Dass wir das geduldet haben, dass mit uns so umgegangen wird – was wir dort verloren haben, ist unsere nationale Würde. Von da an sind wir die Pudel der Amerikaner geworden. ... Wenn wir uns jetzt beschweren, dass ein Cyberkrieg geführt wird, dann ist das die Konsequenz.

Da müssen wir nicht gucken wie die Unschuldslämmer. Wenn wir als zweitstärkste Macht nach den USA die ganze Unterstützung der Ukraine leisten – dann bekriegen uns die Russen jetzt auf eine andere Weise.

Christian Hacke

Hacke lehnt eine nibelungentreue Militärhilfe für die Ukraine und die damit verbundene Militarisierung der Außenpolitik ab und hat starke Zweifel, "ob die deutsche Politik so rational war und so klug? Ich darf daran erinnern, wie hier vor zwei Jahren argumentiert wurde: Sieg!!! Die besetzten Gebiete zurückerobern!! Die Krim zurück! Und wir unterstützen. Was ist davon geblieben?".

Immerhin habe Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner zögernden Reaktion auf die Forderungen der Ukraine recht: Nun komme langsam etwas mehr Realismus in die Lageeinschätzungen.

"Wir sehen in Putin das geborene Monster. Das ist Märchenlogik"

Um seine Position zu umreißen, zitierte Hacke den Schriftsteller Eugen Ruge, der im Gespräch mit der NZZ, überschrieben mit "Wir sehen in Putin das geborene Monster. Das ist Märchenlogik", Folgendes gesagt hatte, das der Politikwissenschaftler zitierte:

Es ist für mich schwer, jetzt zu sagen, was richtig ist, nachdem jahrelang eine Politik gemacht wurde, die ich für falsch halte. Wir sehen in Putin das geborene Monster. Das ist Märchenlogik. Putin war ursprünglich keineswegs ein Feind des Westens. Er hat sich – im Gegenteil – um den Westen bemüht, ja den Westen bewundert.

Er wollte nicht mit China gehen, sondern mit Deutschland. Der Westen hat Russland zurückgestossen (!), sicher auch durch die Osteuropäer beeinflusst. Man hat sich nicht gekümmert, was dieser blöde Putin will. Man hat die Nato erweitert, Abrüstungsverträge gekündigt, Truppenparaden an der russischen Grenze durchgeführt.

Man muss den Standpunkt nicht teilen, aber man könnte versuchen, nachzuvollziehen, wieso Russland sich bedroht fühlt. Ich glaube nicht, dass man Frieden erzwingen wird, indem man Russland weiter unter Druck setzt.(…)

Woher kommt diese Behauptung, dass Putin andere Länder angreifen will? Russland hatte konkrete Forderungen, man kann sie nachlesen: eine neutrale Ukraine, keine westlichen Truppen an Russlands Grenze – was nicht bedeutet: keine Nato-Truppen –, Autonomie des Donbass, der russischsprachig ist und der mit überwältigender Mehrheit Janukowitsch gewählt hat. Man hat diese Forderungen als dummes Zeug abgetan. ...

Henry Kissinger, der nicht zimperlich war, warnte 2014 davor, dass der unbedingte Wille des Westens, die Ukraine in seinen Einflussbereich zu bekommen, nicht gut enden werde. Er sagte: "Um zu überleben und sich zu entwickeln, darf die Ukraine niemandes Vorposten sein."(…)

Für mich ist es einfach wahnsinnig traurig, dass diese historische Chance verspielt wurde. Ich sehe die Beziehungen zwischen Europa und Russland für Jahrzehnte zerstört und die russische Gesellschaft auf einem schrecklichen Weg Richtung Iran und Korea. Nein, Kissinger hatte vollkommen recht, man hätte das friedlich lösen können und müssen.

Es ist ein Grauen, was passiert. Und die Toten sind nicht mehr wiederzuerwecken.

Eugen Ruge,NZZ

Deutsche Entspannungsvormacht in der Mitte?

Hacke bedauert die außenpolitische Schwäche Deutschlands in den letzten Jahrzehnten und hofft zugleich, "dass Deutschland wieder zum Herz der Diplomatie wird, und unsere große Entspannungstradition wieder aktualisiert".

Nur bei seinem Plan zur Umsetzung dieser Hoffnung ging Hacke sein Temperament durch: "Ich würde plädieren, dass die Alt-Bundeskanzlerin Merkel von Scholz in irgendeiner Form zur Geheimdiplomatie beauftragt wird. Und weil ein Mann wie Schröder natürlich mit einem Mann wie Trump umgehen kann und seine Beziehung zu Putin hat" sollten beide ein Duo bilden, "und unsere alte Tradition als Entspannungsvormacht in der Mitte wieder aktivieren".

Der Zeitgeist der Ökonomisierung der Politik

Münkler reagierte auf diesen Vorschlag souverän, aber auch kühl ironisch: "Könnte sein", um zu ergänzen: Jeder Verhandler müsse in der Lage sein, der Ukraine Sicherheitsgarantien zu geben. Man könne Putin vielleicht an den Verhandlungstisch bringen.

Aber wenn man nicht in der Lage ist und bereit ist, zu sagen: Wir übernehmen für die Ukraine Sicherheitsgarantien ... dann wird man keine aktive Rolle spielen. Das gehört gewissermaßen zum Spiel dazu.

Scholz schrecke erkennbar vor solchen Garantien zurück – und stehe damit in den Fußstapfen von Merkels Außenpolitik. Diese habe zwar Russland "als potentiell revisionistischen Akteur" erkannt, aber durch Wohlstandstransfer zu pazifizieren versucht.

Für Münkler liegt dies in der Tradition, alles, auch die Analyse der Politik, zu ökonomisieren. Diese Tradition sei auch eine Entsprechung des "Zeitgeists bei uns im Westen" gewesen.

"Jede Seite beginnt mit Maximalforderungen"

Hacke nimmt Putin ernst und unterstellt seinem Handeln durchweg eine Strategie: Er habe das Vorrücken ("Erweiterung") der EU und der Nato entgegen der russischen Grenzen lange akzeptiert. Aber die beginnende Vereinnahmung der Ukraine habe das Fass zum Überlaufen gebracht: Der Zugang zum Schwarzen Meer und der Hafen von Sewastopol sei für Russland "unverzichtbar" gewesen.

Im Dezember 2021 habe Russland ein letztes Vertragsangebot unterbreitet. "Jede Seite beginnt mit Maximalforderungen." Aber der Westen habe darauf nicht geantwortet. Er habe gar kein Interesse, zu verhandeln. "Aus diesem Rationalismus heraus hat er dann angegriffen. Aber er wollte nicht die gesamte Ukraine besetzen, er wollte ein Faustpfand, um dann zu verhandeln."

Das Gesetz der fortschreitenden Selbstverdummung eines Autokraten

Herfried Münkler kann eine solche Strategie im russischen Handeln dagegen so wenig erkennen wie ernsthafte Verhandlungsbereitschaft: Er warnte davor, Russland mit der Sowjetunion bis 1991 gleichzusetzen.

Diese sei "eine saturierte Großmacht" gewesen, Russland nicht. Münkler erklärt das russische Handeln aus der Binnenlogik des Innenpolitischen und dem "Gesellschaftsvertrag autoritärer Regimes": Jedes Mal, wenn Putin "einen kleinen, überschaubaren, erfolgreichen Krieg" geführt habe, seien danach seine Beliebtheitswerte angestiegen. Erst mit dem militärischen Vorgehen im zweiten Tschetschenien-Krieg sei Putin als Präsident überhaupt sichtbar geworden.

Das war seine Grunderfahrung ... bis dahin war er ja nur der Nachfolger von Jelzin; ein eher uncharismatisches Gesicht.

Jeder Krieg habe den gleichen Effekt gehabt: "Die gedemütigte russische Bevölkerung hatte das Gefühl: Das ist ein Präsident, der sorgt dafür, dass wir wieder wer sind."

So ist Putin zwar auch für Münkler "ein rationaler Nutzenmaximierer" der Politik. Aber doch einer, der zunehmend an Realitätssinn eingebüßt habe:

Ich habe das mal das Gesetz der progredierenden Selbstverdummung eines Autokraten genannt: Je länger er im Amt ist, desto weniger wird er erfahren. Weil die wenigen, die ihm etwas sagen könnten, immer mehr Angst haben, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie belügen ihn nach Strich und Faden.

"Wir müssen hoffen, dass der russische Erfolg in der Ukraine so überschaubar bleibt"

Wie kann es 2025 weitergehen? In Kiew sei Realismus eingetreten, waren sich beide Gesprächspartner einig. Der Krieg sei für die Ukraine verloren, es gehe darum, den staatlichen Bestand der Ukraine zu sichern, auch unausgesprochen als einen Cordon Sanitaire, eine neutrale und neutralisierte Friedens- und Pufferzone, die die Akteure auseinanderhält.

Münkler fragte, was "die Lerneffekte politischer Akteure" aus dem Ukraine-Krieg sein werden? Es bestehe die Gefahr, dass viele zu dem Ergebnis kommen werden, "Wer keine Atomwaffen hat, steht dumm da", und sich in der Folge atomar zu bewaffnen suchen.

Darum gelte: "Wir müssen hoffen, dass der russische Erfolg in der Ukraine so überschaubar bleibt, dass er diesen Vorbildcharakter nicht gewinnt, und dass keiner auf die Idee kommt, dass das Bespielen nationaler Ressentiments etwas ist, das sich lohnt."

"Nach Putin wird es nicht schöner"

Die strategische Herausforderung an die Europäer sei die Möglichkeit einer eigenständigen Rolle, so Münkler:

Wollen wir dabei sein bei denen, die Regeln und Normen geben? Oder sind wir die Empfänger von Regeln, die andere beschließen?

Gerade die deutsche Politik leide unter Machtvergessenheit (Hans Peter Schwarz). Mit dem Scheitern des Projekts, die internationale Politik zu juridifizieren, müsse sich die deutsche Außenpolitik neu erfinden: "Wir müssen uns abgewöhnen, die internationale Politik durch die rosarote Brille zu betrachten."

Münkler forderte mehr skeptischen Pragmatismus statt abstrakter Moralprinzipien. Und bessere Vorbereitung:

Was man daraus lernen kann: Man wird nicht mehr mit einem Plan durchkommen. Man braucht im Prinzip mindestens drei Varianten.

Hacke stimmte dem zu und plädierte abschließend für "eine starke Kooperation zwischen Autoritären und Demokraten":

Ein europäische Friedensordnung geht nicht gegen Russland. Sie geht doch nicht ohne Russland. Sie geht nur mit Russland. Wie diese aussehen wird, kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß nur: Nach Putin wird es nicht schöner.

Sie seien eben fröhliche Pessimisten, lachten beide zum Ende der Veranstaltung.

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