Nach Wahl-Debakel in Hessen und Bayern: Booster für neue Wagenknecht-Partei?
Ausschlussantrag: Prominente Mitglieder der Linkspartei geben Ex-Fraktionschefin die Schuld an Stimmenverlusten. Was oft übersehen wird.
Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Hessen und Bayern waren nicht nur für die Ampel-Parteien niederschmetternd, sondern auch und vor allem für die Partei Die Linke, deren ungewisse Zukunft eng mit dem Namen Sahra Wagenknecht verknüpft ist. Kurz vor dem Wahlsonntag, an dem Die Linke in Hessen aus dem Landtag flog, hatten sich die Anzeichen dafür verdichtet, dass die Ex-Chefin der Bundesfraktion demnächst eine eigene Partei gründen wird.
Die Gründung eines Vereins, der laut Satzung die "Gründung politischer Parteien unterstützen und durch den Einsatz auch der materiellen Mittel des Vereins fördern" soll, durch Personen aus Wagenknechts Umfeld hat nun für einige prominente Mitglieder ihrer Noch-Partei das Fass zum Überlaufen gebracht.
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In einem Ausschlussantrag von mehr als 50 namhaften Mitgliedern gegen die Politikerin heißt es, ihnen sei bewusst, "dass das Instrument des Ausschlusses aus einer politischen Partei die schärfste Ordnungsmaßnahme gegen ein Mitglied ist", heißt es darin. Sie sehen "die Funktionsfähigkeit der Partei als gefährdet an", falls die Antragsgegnerin nicht ausgeschlossen werde.
Unterzeichnet haben beispielsweise die Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut, Cornelia Möhring und Martina Renner sowie die Fraktionschefin in der Bremischen Bürgerschaft, Sofia Leonidakis. Auch die früheren Berliner Senatoren Elke Breitenbach und Klaus Lederer sowie der Ex-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler und der frühere Bundestagsabgeordnete Niema Movassat sind dabei.
In dem rund 30-seitigen Papier wird die Forderung nach einem Ausschluss vor allem mit Wagenknechts Planungen zur Gründung einer eigenen Partei begründet. "Längst gefährdet die fortdauernde Mitgliedschaft der Antragsgegnerin sowie ihre Position als Mandatsträgerin der Partei die grundgesetzlich vorgesehene Funktion der Partei, an der politischen Meinungs- und Willensbildung der Bevölkerung teilzuhaben, durch ihr in besonderer Weise schädigendes und illoyales Verhalten", heißt es darin.
Die Frage des Mandatsverzichts
Zum Mandatsverzicht wurde Wagenknecht vom Parteivorstand schon vor Monaten aufgefordert. Unterdessen kann der saarländische Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze sein auf dem Ticket der Linkspartei gewonnenes Mandat wohl ohne vergleichbar großen Widerspruch mit zur SPD-Fraktion nehmen. Sein geplanter Wechsel wurde vor wenigen Tagen bekannt. Direkte Sanktionsmöglichkeiten hat Die Linke in diesem Fall nicht; er geht schließlich von selbst.
Demokratiepolitisch ist es aber mindestens fragwürdig, wenn er sein Mandat behält, zumal Lutze im Gegensatz zu Wagenknecht nie als "Zugpferd" der Linkspartei galt, der er dieses Mandat verdankt. Er wurde somit von Menschen gewählt, die im Bundestag eine linke Opposition zu etablierten Parteien wie der SPD wollten, die in der letzten Legislaturperiode als Juniorpartner der CDU/CSU mitregiert hat.
Dass Wagenknecht seit Monaten mit der Möglichkeit einer eigenen Parteigründung kokettiert, ohne sich festzulegen, dürfte zumindest einer der Gründe für die schlechten Wahlergebnisse der Partei Die Linke sein. Auch wenn Wagenknecht selbst betont, ihre Überlegung sei mehr Resultat eines schon länger andauernden Niedergangs – der Dauerstreit lief bereits 2018, als Die Linke in Hessen noch den Wiedereinzug in den Landtag schaffte und sogar einen bescheidenen Stimmenzuwachs zu verzeichnen hatte.
Sahra Wagenknecht zeigte sich am Montag in einem Interview mit Welt-TV unbeeindruckt, da sie nicht zum ersten Mal mit Ausschlussforderungen konfrontiert sei. Es habe sich eben mal wieder gezeigt, dass es kein ausreichendes Wählerpotenzial für die politische Ausrichtung des Parteivorstandes "grüner zu sein als die Grünen, offene Grenzen" und "Bleiberecht für alle Menschen" gebe.
Zielgruppen im "Nichtwählerlager"
Den von ihr mitverursachten Schwebezustand der Partei und die Ungewissheit über deren Zukunft wollte sie dabei nicht in Rechnung stellen. Die Linke habe vor allem Stimmen an das "Nichtwählerlager" verloren, betonte Wagenknecht außerdem.
Darüber lohnt sich ein Nachdenken auch für Linke, die nicht mit Wagenknecht sympathisieren. Mit der Diagnose, dass es kein ausreichendes Stimmenpotenzial für die von ihr genannten Positionen gibt, könnte sie falsch liegen; aber das müsste Die Linke nach einer Trennung von Wagenknecht, sei es durch ihren Austritt oder durch einen Ausschluss, eben auch beweisen.
Noch hat es eine gewisse Berechtigung, die Ex-Fraktionschefin, die ihre Partei so gerne in Interviews mit bürgerlichen Medien kritisiert und laut über eine Ausgründung nachdenkt, zumindest teilweise für das Scheitern bei den letzten Wahlen verantwortlich zu machen.
Auch wenn es vielleicht nicht ganz so einfach ist, wie Ex-Parteichef Bernd Riexinger auf seiner Facebook-Seite schrieb: "Die Verantwortung für dieses Wahlergebnis liegt bei denjenigen, die das ganze letzte Jahr über unsere Partei destabilisiert haben und öffentlich mit einem eigenen Parteiprojekt spekulieren", so stimmt doch seine Einschätzung, dass dies "an keiner linken Partei spurlos vorübergehen" würde.
Wäre Wagenknecht nicht mehr gleichzeitig Mitglied und Dauerkritikerin der Partei, wäre diese Erklärung nicht mehr plausibel. Denn die Zielgruppe, der "die Grünen nicht grün genug" sind, hört sicher nicht auf Wagenknecht. Sie lässt sich nur möglicherweise dadurch abschrecken, dass momentan unklar ist, ob und wann Wagenknecht die Partei verlässt und der lähmende Dauerstreit endet.
Dass diese Zielgruppe existiert und zumindest theoretisch groß genug für den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde ist, darauf deuten Umfragen hin, in denen deutlich mehr als zehn Prozent Verständnis dafür äußerten, dass Teile der Klimabewegung auch zu sehr "nervigen" und den Alltag störenden Aktionsformen des zivilen Ungehorsams greifen – Stichwort "Klimakleber". Auch mit weiteren Beschneidungen des Asylrechts enttäuschen die Grünen im Rahmen der Ampel-Koalition einen Teil ihrer eigenen Basis.
Interessant wäre es, zu wissen, wie viele dieser Menschen zu den Wahlen gegangen sind, wie viele mit "Bauchschmerzen" Die Linke oder auch die Grünen gewählt haben – und wie viele sich Kleinparteien entschieden haben, die in Statistiken nur unter "Sonstige" aufgeführt werden.
Reale Zustimmung für Wahlsieger in Hessen und Bayern
Das "Nichtwählerlager" insgesamt ist sicherlich vielgestaltiger und in der bürgerlichen Demokratie eine vernachlässigte Größe: Um die reale Zustimmung für die Parteien bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern zu ermitteln, müssten in Hessen 34 Prozent und in Bayern 26,7 Prozent von deren Ergebnissen abgezogen werden – so viele waren es nämlich, die ihre Stimme trotz oder wegen der starken politischen Polarisierung nicht abgaben. In Hessen lag die Wahlbeteiligung mit 66 Prozent nur bei knapp zwei Dritteln, in Bayern mit 73,3 Prozent bei knapp drei Vierteln.
Die langjährige bayerische Regierungspartei CSU käme somit nur auf 27,1 statt auf 37,0 Prozent, die "Freien Wähler", mit denen sie voraussichtlich wieder koalieren wird, auf knapp 11,6 Prozent. Sie bräuchten dann einen dritten Koalitionspartner – und wenn CSU-Chef Markus Söder beim grundsätzlichen Nein zur AfD bliebe, müssten das die Grünen oder die SPD sein.
In Hessen stünde es noch schlechter um die demokratische Legitimation der bisherigen Regierungsparteien CDU und Bündnis 90/Die Grünen: Die CDU müsste mit 22,8 statt 34,6 Prozent der Stimmen vorliebnehmen, die Grünen mit knapp 9,8 Prozent.
Das Demokratieproblem an der Fünf-Prozet-Hürde
Noch geringer ist freilich die aktive Zustimmung für Kleinparteien, die unter fünf Prozent geblieben sind – dazu gehört Die Linke in Bayern gewohnheitsmäßig, in Hessen erst neuerdings wieder.
Allgemein dürften Kleinparteien jedoch häufiger Opfer eines taktischen Wahlverhaltens sein als etablierte Kräfte: Wenn eine Partei in den Umfragen deutlich unter fünf Prozent bleibt, geht es bei der Wahlentscheidung von Schwankenden nur noch bedingt um Sympathie und Überzeugungen. Viele wollen einfach ihre Stimme nicht "verschenken" und wählen das für sie kleinste Übel, dessen Einzug oder Wiedereinzug ins jeweilige Parlament als sicher gilt.
Für eine linke Partei mit erfahrenem Personal dürften Stimmen aus dem "Nichtwählerlager" aber als Zielgruppe entscheidend sein: Wer eine rechte "Alternative" zu den Ampel-Parteien will, dürfte sich bei der AfD gut aufgehoben fühlen. Für Linke mangelt es aber an Alternativen, solange die Partei Die Linke nur noch als zerstrittener Haufen daherkommt und eine mögliche Wagenknecht-Partei mit "linkskonservativer" Ausrichtung noch nicht gegründet wurde.
Für eine solche Partei wurde vor wenigen Wochen in Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ein Stimmenpotenzial von bundesweit 20 Prozent ermittelt. Etwa ein Fünftel der Wahlberechtigten könnte sich demnach grundsätzlich vorstellen, eine neue Partei unter Führung von Sahra Wagenknecht zu wählen.
Allerdings antworteten auf die entsprechende Frage nur sechs Prozent mit "Ja, auf jeden Fall" und 14 Prozent mit "Eher Ja". Den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde würde sie damit aber auf jeden Fall schaffen – falls die Gründung nicht an organisatorischen Fragen scheitert oder unvorhersehbare Skandale dazwischenkommen.